Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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1967- ein persönliches Zeugnis

1967 – ein persönliches Zeugnis


Uri Avnery

Juni 2007

AM 25. MAI 1967, zwölf Tage vor dem Sechs-Tage-Krieg veröffentlichte ich in Haolam Hazeh, in dem von mir damals herausgegebenen Nachrichtenmagazin, einen Artikel mit dem Titel „Nasser ist in eine Falle geraten“. Das klang verrückt, weil in jener Zeit ganz Israel vor Angst zitterte.

Ein paar Monate früher war ich zu einem Vortrag in einen Kibbuz im Norden eingeladen. Nach dem Vortrag war ich noch zu einer Tasse Kaffee mit ein paar Kibbuzniks eingeladen. Dort sagte mir mein Gastgeber im Vertrauen, dass der Chef des nördlichen Kommandos, General David („Dado“) Elazar erst vor einer Woche da gewesen sei. Im selben Raum hatte er denselben vertrauenswürdigen Mitgliedern verraten: „Jede Nacht bete ich vor dem Schlafen-gehen, Nasser möge seine Truppen in der Sinaiwüste konzentrieren. Dort werden wir sie vernichten.“

Als Nasser Mitte Mai 1967 im Sinai seine Truppen im Sinai konzentrierte, schien dies wie die Erhörung dieses Gebetes. Während jeder um mich herum vor Angst zitterte, blieb ich unbesorgt.

Diese Angst war real. Es wurde viel über einen zweiten Holocaust geredet. Von Beginn der Krise an bis zum Kriegsanfang – drei Wochen lang - wurde die Angst, von der Israel gepackt worden war, von Tag zu Tag schlimmer. Die „Stimme des Donners“, die Radiostation Kairo, die in schlechtem Hebräisch Nachrichten verbreitete und bis dahin nicht ernst genommen worden war, äußerte nun grauenhafte Drohungen. Gamal Abd-al-Nasser selbst - der sich in Wirklichkeit vor einem israelischen Angriff zu Tode fürchtete und überhaupt nicht daran dachte, anzugreifen. - glaubte, mit der Drohung, Israel ins Meer zu werfen, er würde uns von der Idee des Krieges abbringen. Sie hatte natürlich die entgegengesetzte Wirkung.


DIE REIHE von Ereignissen, die den Krieg unvermeidbar machten, ähneln in gewisser Hinsicht denen, die dem 1.Weltkrieg vorausgingen, dem Krieg, „den keiner wollte“.

Syrien unterstützte den palästinensischen Guerillakrieg Yasser Arafats an seiner Grenze. Israel reagierte mit scharfen Drohungen. Der Generalstabschef Yitzhak Rabin drohte öffentlich damit, Damaskus zu besetzen und das Regime zu stürzen. Die Syrer bekamen Angst und baten Ägypten um Beistand.

Kurz vor Beginn der Krise bat mich der sowjetische Botschafter Chubakhin, ihn in seiner Botschaft in Ramat Gan zu besuchen. Er erzählte mir, dass Israel einen Angriff auf Syrien plante und schon seine Truppen an der Grenze konzentrieren würde. Er sah dies als einen Teil eines großen US-Planes an, überall in dieser Region pro-amerikanische Regime aufzubauen, was mit dem kürzlichen Staatsstreich der Offiziere in Griechenland (im April 1967) und den amerikanischen Intrigen im Iran begonnen hatte. Der Botschafter wollte, dass ich meine Position als Mitglied der Knesset und als Herausgeber eines bekannten Magazins nutzte, um die israelische Öffentlichkeit zu warnen.

Ich fürchte, dass meine Antwort ziemlich zynisch war: „Wenn Sie so etwas fürchten, warum bitten Sie nicht Ihren Botschafter in Damaskus, dass Ihre syrischen Freunde mit den Guerilla-Angriffen auf Israel wenigstens eine Zeitlang aufhören. Warum unserer Regierung einen Vorwand für einen Krieg geben?“

Chubakhins Antwort verblüffte mich: „Glauben Sie, dass irgendjemand in Damaskus auf unsern Botschafter hört?“

Die Geschichte von Israels „Truppenmassierung an der Grenze“ war natürlich lächerlich. Ein Sowjetgeneral mag glauben, dass vor dem Start einer Offensive Truppen an der Grenze massiert werden müssen. Aber in dem winzigen Gebiet von Israel war das Konzentrieren von Militär unmöglich und überflüssig.


Mit der syrischen Forderung um Unterstützung konfrontiert, und den sowjetischen Geschichten vom Massieren israelischer Truppen, sah Nasser eine Gelegenheit, seine Führungsrolle in der arabischen Welt zu behaupten. Er sandte sein Militär in den Sinai. Wenn er wirklich beabsichtigt hätte, einen Krieg zu beginnen, dann hätte er dies so geheim wie möglich gemacht. Aber seine Truppen fuhren am hellerlichten Tage durch Kairo – dies ist ein Beweis dafür, dass er nur eine Show abziehen wollte.

Zufällig traf ich Ezer Weizman, der bis vor kurzem der Kommandeur der israelischen Luftwaffe war, bei einer Party. Er sagte mir, er wäre erstaunt gewesen. Der israelische Militärnachrichtendienst wäre vom ägyptischen Truppenaufmarsch im Sinai vollkommen überrascht gewesen. Sie waren davon überzeugt gewesen, dass die ganze ägyptische Armee im entfernten Yemen stationiert wäre, wo Nasser in einem Bürgerkrieg intervenierte. Tatsächlich hatte die Fähigkeit der ägyptischen Luftwaffe, ihre Truppen dort zu versorgen, neidvolle Bewunderung bei Weizman erregt.

Am 23. Mai verkündete Nasser (irreführend), er habe den Seeweg nach Eilat mit Minen gesperrt. Das war für Israel ein Casus belli. Eilat ist Israels Tor nach Osten. Die freie Durchfahrt hat eine enorm emotionale Bedeutung weit über ihren tatsachlichen Wert hinaus. Ich erinnere mich, als ich damals von einer Knessetsitzung kam und meinen Kollegen der Neuen- Kraft-Partei-Führung sagte: „Der Krieg ist unvermeidlich“, und noch hinzufügte: „Dieser Krieg wird alles verändern.“

Um seine Schritte zu dramatisieren, bat Nasser den UN-Generalsekretär U-Thant, die UN-Truppen zurückzuziehen – aber nur von einem bestimmten Abschnitt. (Diese Truppen waren seit dem Sinaikrieg 1956 dort an der Grenze stationiert).

U Thant, der die Situation völlig missdeutete zog alle seine Truppen zurück. Nun mit der Möglichkeit eines Präventivschlages konfrontiert und seiner eigenen Propaganda glaubend, Israel sei nur eine Marionette der USA, sandte Nasser seinen Botschafter in die USA, um sie dafür zu gewinnen, Israel zu stoppen. Die Israelis sahen in der Zwischenzeit die Bedrohung und glaubten, dass sie jeden Moment angegriffen werden könnten.

Ich kann etwas von der Stimmung bis in die höchsten Kreise bezeugen. Ein paar Tage vor dem Krieg zog mich Menachem Begin in der Knesset zur Seite. „Uri,“ sagte er sehr erregt, „wir haben zwar verschiedene Meinungen, aber in einer existentiellen Krise haben wir doch dasselbe Ziel: Israel zu retten. Sie und Ihr Magazin haben großen Einfluss auf die jungen Leute. Bitte, benützen Sie es, um ihre Moral zu stärken!“

In meiner letzten Rede vor der Knesset vor dem Krieg sagte ich: „ Genau in solch einer Stunde - kurz vor dem Ausbruch eines Krieges - könnte ein großer israelischer Staatsmann die revolutionäre Initiative ergreifen und einen direkten Dialog beginnen – vielleicht geheim, vielleicht auch öffentlich und dramatisch, der zu einem grundlegenden Wechsel unserer Position in diesem Raum führen könnte.“


ZU DER allgemeinen Verzweifelung kam noch die Persönlichkeit Levy Eshkol, David Ben-Gurions Nachfolger als Ministerpräsident und Verteidigungsminister. Er schien - zu Unrecht – ein stümperhafter, unentschlossener und inkompetenter Führer zu sein. Bei einer wichtigen Rede im Radio stolperte er über ein Wort, das im letzten Augenblick von einem seiner Berater eingesetzt worden war – er schien zu stottern.

Im Laufe dieser „Tage der Angst“, wie sie seitdem genannt wurden, stand Eshkol unter großem Druck. Prominente Generäle (unter ihnen auch Matti Peled, der später mein Freund im Friedenslager wurde,) gingen zu Eshkol, überreichten ihm so etwas wie ein Ultimatum und forderten einen sofortigen Angriff. Mit fast der ganzen männlichen Bevölkerung mobilisiert und an der Grenze wartend, war das normale Leben tatsächlich zu einem Stillstand gekommen. Das ganze Land hielt den Atem an.


ICH ERHIELT fast täglich Berichte darüber, was im Kabinett vor sich ging. Meine Quelle war Yigal Allon.

Allon, der frühere Kommandeur der Palmach (Haganah-Schocktruppen) und der Kommandeur der südlichen Front von 1948, war jetzt Arbeitsminister. Wir waren nach dem Krieg 1948 Freunde geworden. Als 1967 die Krise begann, entschied ich mich, eine temporäre Tageszeitung zu veröffentlichen, die „Daf“ (Seite) genannt wurde. Doch war keine Druckerei bereit und in der Lage, sie zu drucken, außer einer, die zu Allons Kibbuzbewegung gehörte.

Während der Krisis traf ich mich fast täglich mit Allon, um darüber zu verhandeln. Bei diesen Gelegenheiten schüttete er mir sein Herz aus. Seine zweitrangige Position in der Regierung war für den Helden der Soldaten von 1948 frustrierend. Er hoffte, ins Verteidigungsministerium zu kommen – die schlimmer werdende Krisis brachte die Gelegenheit.

Täglich wuchs fast wahrnehmbar die Forderung, Eshkol möge sein Amt als Ministerpräsident abgeben oder wenigstens das Ministerium für Verteidigung aufgeben. Anfangs wurden etliche Namen als Kandidaten für das Amt des Verteidigungsministers erwähnt. Allon war auf der Liste ziemlich weit oben. Andere zuverlässige Kandidaten waren der alte Ben Gurion, der 1948 agierende Generalstabschef General Yigal Yadin, der frühere Stellvertreter des Verteidigungsministers Shimon Peres und Moshe Dayan.

Allon war zuversichtlich, dass er das Amt erhalten würde, da er schon ein Mitglied der Regierung war und ein erfolgreicher General im Krieg. Von Tag zu Tag strahlte er mehr. In der israelischen Öffentlichkeit wurde die Liste immer kleiner, bis sich am Ende die Forderung auf Moshe Dayan konzentrierte. Eine Gruppe Frauen (die sofort den Spitznamen „die lustigen Weiber von Windsor“ erhielten.) demonstrierten für ihn vor dem Hauptbüro der Laborpartei.

Ende Mai, als ich Allon das nächste Mal sah, war er wie geschlagen. Er hatte gerade gehört, dass Eshkol nachgegeben und Dayan ernannt hatte. Allon verachtete den berühmten General. Wie die meisten der Kommandeure von 1948 betrachteten sie Dayan als schlechten Soldaten, unfähig, eine ordentliche Stabsarbeit zu leisten und durch und durch unverantwortlich. (Tatsächlich hörte ich einmal, wie Dayan sich seiner „Verantwortungslosigkeit“ rühmte.)

Dayan hatte wenig Einfluss auf den Kriegsplan, aber er hatte einen großen Einfluss auf die Moral der Soldaten – charismatisch und mit einem Ruf als waghalsiger, aggressiver Kommandeur, eine Art israelischer Rommel.

Die mobilisierten Reservetruppen, die nur warteten und weiter warteten, begrüßten seine Ernennung mit Begeisterung. Sie begriffen, dass das lange Warten fast zu Ende war.


ALS UNSERE Armee angriff, war es, als ob eine zu sehr angespannte Sprungfeder losgelassen worden war.

Am ersten Kriegstag nach einer parlamentarischen Notsitzung war ich im Luftschutzbunker der Knesset, während die jordanische Artillerie aus Ost-Jerusalem uns bombardierte, als mir ein Freund ins Ohr flüsterte: „Wir haben den Krieg schon gewonnen. Die Luftwaffe hat die ägyptischen Flugzeuge auf dem Boden zerstört.“

Diese Information wurde der Öffentlichkeit noch vorenthalten. Alle Berichte über unsere unglaublichen Siege wurden vom Zensor zurückgehalten, weil die Regierung fürchtete, wenn dies bekannt würde, dann würde die UN eine Feuerpause verhängen, die die Armee jetzt nicht wollte. Also waren die Menschen der absurden Übertreibung der „Stimme des Donners“ aus Kairo ausgeliefert, nach der Tel Aviv brannte.

Viele der Gebiete wurden fast zufällig erobert. Es gab einen militärischen Plan für die Zerstörung der ägyptischen Truppen im Süden, aber es gab keine Pläne für einen umfassenden Krieg. Dayan war nicht nur gegen die Besetzung des Gazastreifens, sondern auch Ost-Jerusalems. Die Westbank wurde bei einer improvisierten Operation erobert, nachdem König Hussein unerwarteterweise das Feuer eröffnen ließ, um seine Solidarität mit Ägypten zu bekunden. Anfangs war Dayan sogar gegen eine Operation gegen Syrien – aus Angst, die Sowjetunion könnte eingreifen. Deshalb gab es auch keinen Plan für die Zukunft der großen Bevölkerung in den besetzten Gebieten.


AM FÜNFTEN Tag des Krieges, kurz nachdem unsere Armee die Westbank und den Gazastreifen erobert hatte, schrieb ich einen offenen Brief an Levy Eshkol und schlug ihm vor, die historische Gelegenheit zu ergreifen und dem palästinensischen Volk die Chance einzuräumen, einen eigenen Staat zu errichten. Ich hatte diesen Gedanken seit 1949 vertreten, aber ich war überzeugt, dass dieser Augenblick, in dem die ganze Region sich in einem Schockzustand befand, der richtige Zeitpunkt war, um mit den Palästinensern Frieden zu schließen, indem man ihnen ein historisches Angebot macht.

Direkt nach dem Krieg lud mich Eshkol zu einem privaten Gespräch ein. Er hörte mir geduldig zu, während ich ihm meine Idee erklärte. „Uri, was für eine Art Geschäftsmann bist Du?“ sagte er mit mildem Lächeln, „Bei Verhandlungen beginnt man, indem man ein Minimum anbietet und das Maximum fordert. Nach und nach kommt man mit dem anderen zu einem Kompromiss, der sich irgendwo in der Mitte befindet. Was Du vorschlägst, ist alles anzubieten, noch bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen haben.“

„Das stimmt, wenn man ein Pferd verkauft,“ antwortete ich, „Aber nicht, wenn man einen historischen Frieden erreichen will.“

Ganz im Gegensatz zu dem Eindruck, den er erweckte, war Eshkol in Wirklichkeit ein zäher Bursche. Er verbarg dies hinter einem freundlichen Wesen, einem jiddischen Sinn für Humor und einer Ausdrucksweise, die die Stenographen der Knesset zur Verzweiflung brachte. Er hat sein ganzes Leben für den Bau von Siedlungen eingesetzt, und nun konnte er eine große Ausdehnung des Landes sehen, die für neue Siedlungen verwendet werden könnten.

In den folgenden Monaten und Jahren hielt ich Dutzende von Reden in der Knesset (abgesehen von den Artikeln in der Wochenzeitschrift Haolam Hazeh) und setzte mich für die Idee eines palästinensischen Staates in den neu besetzten Gebieten ein. In einer meiner Reden berichtete ich, ich hätte mit allen prominenten Führern in der Westbank und im Gazastreifen gesprochen, einschließlich denen, die als „Anhänger Jordaniens“ bekannt waren. Sie vertrauten mir alle an, dass sie einen eigenen palästinensischen Staat der jordanischen Herrschaft vorziehen würden. Sowohl Eshkol als auch Dayan verleugneten das. Aber Eshkol sandte mir seinen Berater für die besetzten Gebiete, Moshe Sassoon, der mich privat über meine Informationen ausfragte. Am 13. August 1969 schrieb Sassoon einen Bericht an den Ministerpräsidenten (mit einer Kopie an mich), in dem er bestätigte, dass seine eigenen Informationen mit denen von mir übereinstimmten.

Zu meinem Erstaunen fand ich, dass ich in den oberen Rängen der Armee eine ganze Anzahl von Unterstützern hatte.

Generäle – so wird gesagt – bereiten sich immer auf den letzten Krieg vor. Sie sehen auch den letzten Frieden. 1956 hatten Präsident Eisenhower und die Führer der Sowjetunion Ben Gurion gezwungen, alle im Sinai-Krieg eroberten Gebiete an Ägypten zurückzugeben. Nun erwartete man, dass dasselbe wieder geschehen würde. Mit dieser Möglichkeit konfrontiert, zogen viele Generäle den Gedanken eines demilitarisierten Palästinas neben Israel der Aussicht, dass die Gebiete Jordanien zurückgegeben werden, vor. Sonst würde ein viel größerer Staat entstehen, der dazu dienen könnte, die Armeen Jordaniens, Syriens, des Irak und Saudi Arabien als Aufmarschgelände zu dienen. Bei öffentlichen Meinungsumfragen erreichte der Gedanke eines palästinensischen Staates neben Israel erstaunliche 37%.

Diese Phase verging sehr schnell. Die USA, die am Vorabend des Krieges unsere Regierung im Geheimen informiert hatten, dass sie nicht gegen einen Angriff unsrerseits wären, taten nun nichts, Israel zu zwingen, alles zurück zu geben. Nach und nach wurde der israelischen Führung bewusst, dass es keinen internationalen Druck gibt, etwas zurückzugeben. Dazu kamen die „drei Neins“, die im September 1967 beim Gipfel der gedemütigten arabischen Führer in Khartum („Kein Frieden, keine Anerkennung und keine Verhandlungen“) angenommen wurden – sie spielten in die Hände israelischer Annexionisten.

Gruppen aus der Kibbuzbewegung schwärmten schon in die Westbank und sahen nach geeigneten Örtlichkeiten. Man fand sie im Jordantal – flach, für Traktoren geeignet und vom Fluss her zu bewässern. Unmittelbar nach dem Krieg wurde eine große Anzahl von Flüchtlingen von 1948 aus dem riesigen Flüchtlingslager bei Jericho, nahe dem Jordan, vertrieben. Das Siedlungsunternehmen, das die Landkarte vollkommen veränderte, war auf dem Weg.


FAST AUTOMATISCH wurden Aktionen ethnischer Säuberung ausgeführt. Es wurde niemals in Erfahrung gebracht, wer die Befehle gegeben hat. Sie wurden mündlich weitergegeben. Über allen schwebte der Geist Moshe Dayans.

Direkt nach den Kämpfen kam der Schriftsteller Amos Kenan zu mir. Er befand sich in einem Schockzustand und erzählte mir, dass er gerade Zeuge geworden war, wie Tausende von Bewohnern der drei Dörfer im Raum Latrun vertrieben worden waren. Ich bat ihn, sich hinzusetzen und einen Bericht über das zu schreiben, was er gesehen hatte. Es war ein erschreckendes Dokument. Ich fuhr gleich danach zum Dorf Imwas (vielleicht der biblische Ort Emmaus) und sah, wie Bulldozer ein Haus nach dem anderen einebneten. Als ich versuchte, Photos zu machen, trieben mich die Soldaten weg.

Von dort eilte ich zur Knesset und verteilte an mehrere Minister Kopien des Berichtes - auch an Begin und die Mapan-Minister und die Assistenten des Ministerpräsidenten. Es half nichts. Die Arbeit wurde abgeschlossen, bevor jemand intervenieren konnte. Heute steht in dieser Gegend der Kanadapark.

In jener Zeit glaubte noch jeder, Israel würde gezwungen werden, die eroberten Gebiete zurückzugeben. Die Dörfer bei Latrun lagen in einer Art Ausbuchtung der Grünen Linie und beherrschten die Hauptstraße zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Aus diesem Grund hatte jemand entschieden, eine vollendete Tatsache zu schaffen, die den Druck nehmen würde, dieses Gebiet zurückzugeben.

Fast zur gleichen Zeit wurde mir berichtet, dass die Armee damit begonnen hat, die Stadt Kalkilia zu zerstören. Aus der Nähe dieser Stadt hatte jordanische Artillerie versucht, Tel Aviv zu beschießen – es liegt nur etwa 25km entfernt. Ich eilte dorthin und sah wie ein Stadtteil schon fast vollkommen zerstört worden war. Wieder ging ich zur Knesset, um den Ministerpräsidenten und die andern Minister dahin zu bringen, zu intervenieren. Tatsächlich wurde die Zerstörung gestoppt und die schon zerstörten Häuser wieder aufgebaut. Ich weiß nicht, welch genaue Rolle meine Intervention hier gespielt hat. Aber seitdem habe ich jedes Mal, wenn ich den Ort passiere, ein Gefühl der Befriedigung. (Auch wenn Kalkilia jetzt durch die monströse Mauer abgeschnitten ist).

Bald danach kam ein Soldat - einem Nervenzusammenbruch nahe - in mein Büro. Er erzählte mir, dass jede Nacht Flüchtlinge versuchen würden, den Jordan zu überqueren, um nach Hause zurückzukehren. Es war befohlen worden, jeden auf der Stelle zu töten, auch Frauen und Kinder. Ich schrieb einen langen Brief an den Generalstabschef Yitzhak Rabin und erhielt eine Antwort von seinem Bürochef Shmuel Gal, der vom 29. Oktober 1967 datiert ist. Darin steht, dass die Armee diese Sache untersuchen würde und „daraus die Schlussfolgerung ziehen würde, die daraus gezogen werden müsse“. So viel ich weiß, haben die systematischen Massaker daraufhin aufgehört.

(Vor ein paar Tagen traf ich diesen Soldaten wieder. Er spielte auf der Straße Flöte.)


AM ERSTEN Tag des Kampfes war es ein Verteidigungskrieg. Dayan erklärte, dass wir nicht die Absicht hatten, Land zu erobern. Fast alle Israelis dachten auch so. Ein Tag, nachdem der Kampf vorüber war, war er zu einem Krieg der Expansion und der Annektierung geworden. Die Öffentlichkeit war vollkommen berauscht von der biblischen Landschaft, der Flut von „Siegesalben“, den neuen patriotischen Liedern und den messianischen Slogans. Die Eshkol-Regierung hatte zwar zunächst offiziell beschlossen, über die Rückgabe der Gebiete zu verhandeln, vergaß das aber, als ihr klar wurde, dass dies nicht nötig sei.

In einem Artikel bald danach erzählte ich eine Geschichte, wie man Affen fängt. Man befestigt eine Flasche am Ast eines Baumes und legt eine Frucht hinein. Der Affe wird seine Hand in die Flasche strecken, die Frucht nehmen und nun die Hand wieder rausziehen wollen – doch seine Faust mit der Frucht ist zu dick. Auf diese Weise ist er gefangen. Er könnte natürlich jeden Augenblick frei kommen, wenn er die Frucht los lassen würde. Aber da er gierig nach der Frucht ist, ist er nicht in der Lage, dies zu tun. Solange wir gierig an den besetzten Gebieten festhalten, sind wir in der selben Weise Geiseln unserer Gier.

Nach dem Krieg sah Professor Yeshayahu (Jesaja) Leibowitz, ein orthodoxer Jude, voraus, dass die Besatzung uns korrupt machen und uns in ein Volk von „Geheimdienstagenten und Manager für ausländische Arbeiter machen wird“. (Ich nannte ihn „Prophet Jesaja III., was ihn wütend machte. Er sagte, dass ein Prophet die Worte Gottes ausspricht, während er nur die Sprache der Logik sprechen würde.


IN DER RÜCKSCHAU sieht es so aus, als wäre das ganze Szenarium das Werk eines genialen Direktors – die Angst, das Crescendo der Furcht, der wunderbare Sieg. Dies trägt zur Erklärung dessen bei, was später geschehen ist.

In der Legende von Faust zahlt Mephisto für die Seele des gelehrten Doktors mit jeder vorstellbaren Art von Vergnügen. So etwas Ähnliches ist uns im Juni 1967 geschehen. Die Reihe von Geschehnissen, die schienen, als ob sie von einem höheren Wesen dirigiert worden waren, sahen aus wie Versuchungen, die uns absichtlich vor die Füße gelegt worden waren, um uns zu testen. Was wie eine Gabe Gottes aussah, war tatsächlich eine Versuchung des Satans, ein Versuch, unsere Seele zu kaufen.

War es ihm gelungen? Hat Israel seine Seele verloren?

Ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass der Rausch nun endlich von uns weicht. Viele Dinge, die in der vergangenen Woche gesagt und geschrieben wurden, weisen darauf hin.

Vierzig Jahre nach dem Geschehen ist die Frage aber noch immer offen.

(Teile davon wurden im amerikanisch-jüdischen Magazin Tikkun veröffentlicht)

(dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)