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Ja, du kannst!
Falls Obama tatsächlich mit Netanyahu wegen der hartnäckigen Weigerung, den Siedlungsbau in der Westbank einzufrieren und wegen des Weiterbaus in Ost-Jerusalem zusammenstoßen solle, dann werden viele Israelis um einen Sieg Obamas beten. Sie wissen, dass in dieser Schlacht nicht Netanyahu, sondern Obama die wahren Interessen Israels vertritt.
Die Frage ist nur, ob Obama – wie seit Dwight Eisenhower kein vorausgegangener Präsident - die Macht hat, die Sache durchzuziehen.
Uri Avnery
ZUNÄCHST ein ehrliches Geständnis: Ich liebte das Shepherd Hotel sehr.
In den ersten Jahren nach dem Sechstage-Krieg war ich dort häufig zu Gast. Meine Arbeit in der Knesset verlangte, dass ich wenigstens zwei Nächte pro Woche in Jerusalem blieb, und nach dem Krieg wechselte ich von Hotels in West-Jerusalem zu solchen im östlichen Teil. Mein Lieblingshotel war das Shepherd. Dort fühlte ich mich wie zu Hause.
Der Charme der Örtlichkeit lag in seiner besonderen Atmosphäre. Es lag mitten in der alten arabischen Stadt, die schon selbst meine Neugierde weckte: seine Räume hatten hohe Decken und alte Möbel und es wurde von bemerkenswerten Leuten geleitet, zwei älteren arabischen Damen, die ihre Ausbildung in Beirut erhalten hatten und tief in der palästinensisch-libanesischen Kultur beheimatet waren.
Das Hotel liegt im Herzen des Stadtteils des Al-Husseini-Familienclans. Der Besitz dieser ausgedehnten Familie mit mehr als 5000 Mitgliedern, erstreckt sich über den größeren Teil des Sheikh-Jarrah-Viertels, das auch das legendäre Orienthaus mit einschließt.
Die Al-Husseini-Familie ist eine der handvoll aristokratischen Jerusalemer Familien und vielleicht die geachtetste (so denken mindestens ihre Mitglieder). Jahrhunderte lang hatten Familienmitglieder wenigstens eine der drei bedeutendsten Positionen der Stadt inne: die des Großmufti, des Bürgermeisters und die Verantwortung für die islamischen heiligen Stätten.
Das Shepherd-Hotel wurde von Haj Amin al-Husseini, dem Mufti, gebaut, der in den 30er Jahren die arabische Rebellion leitete, und der Araber war, den die hebräische Gemeinde am meisten hasste.
Ich verbrachte Stunden im Gespräch mit den beiden Damen, lernte eine Menge von ihnen und war dem Haus sehr verbunden. Es war für mich ein trauriger Tag, als es geschlossen wurde.
Ich weiß nicht, wie dieser Besitz in die Hände des amerikanischen Millionärs, des Bingo-Königs, gefallen ist, dessen erklärte Absicht es ist, jüdische Siedlungen in der ganzen arabischen Stadt anzusiedeln. Nun will er ein Häuserprojekt auf dem Grund und Boden des Shepherd-Hotels bauen. Das ist genug über ihn. Mein Geschäft ist mit Netanyahu.
NETANYAHUS Ziel ist es, Jerusalem zu judaisieren. In dieser Woche rühmte er sich, dass er während seiner letzten Amtszeit vor zehn Jahren den wie eine Festung aussehenden jüdischen Vorort Har Homa gebaut hat.
Zu Har Homa – dessen wirklicher Name „Jebel Abu Ghneim“, „Berg des Vaters der Schafe“ ist – habe ich auch eine besondere persönliche Beziehung. Ich hatte viele Tage und Nächte im Zelt dort verbracht, um den Bau dieses monströsen Wohnungsbauprojektes zu verhindern, das nun dort so drohend aufragt.
Der Führer dieses Kampfes war ein anderer Husseini – der unvergessliche Feisal. Ich habe ihn sehr verehrt. Ich zögere nicht zu sagen, dass ich ihn liebte. Er war ein Edelmann im wahrsten Sinn des Wortes: ein Nachkomme des Adels, aber bescheiden in seinem Verhalten, großzügig und zugänglich, ein Mann des Friedens, aber furchtlos bei seinen Konfrontationen mit den Besatzungstruppen, ein wirklicher palästinensischer Patriot, moderat in seinen Ansichten, weise und mutig. Er war der Sohn von Abd-al-Kader al-Husseini, dem Anführer der arabischen Kämpfer im 1948er-Krieg im Raum Jerusalem. Er wurde in der Schlacht um das „Castel“ nahe der Stadt getötet. Ich war an dieser Schlacht nicht beteiligt, fuhr aber wenige Stunden danach mit einem Hilfskonvoi für den belagerten jüdischen Teil Jerusalems dort vorbei. Wie die meisten meiner Kameraden achtete ich ihn als einen ehrenhaften Feind.
Har Homa war – für jene, die es vergessen haben sollten – ein Ort zwischen Jerusalem und Bethlehem von einmaliger Schönheit, ein lang gesteckter Hügel mit dichten Wald. Die Zerstörer Jerusalems und Bethlehems – jene brutale Koalition von Immobilien-Haien, fanatischen Zionisten, amerikanischen Millionären und religiösen Mystikern – haben entschieden, den letzten Fleck Schönheit zu vernichten, um eine dichte, befestigte und besonders hässliche jüdische Siedlung zu bauen. Unter der Leitung von Faisal und Ta’amri, dem früheren Mann einer jordanischen Prinzessin, wurde ein Zeltlager aufgestellt. Als die Bulldozer anfingen, die Bäume zu entwurzeln und die Hügelkuppe zu roden, hielten wir Dutzende von Demonstrationen und Nachtwachen ab. Bei einer von ihnen erlitt ich eine innere Blutung und würde dort mein Leben beendet haben, wenn es nicht einem palästinensischen Ambulanzwagen gelungen wäre, mich auf dieser weglosen Steinwüste zu erreichen und noch rechtzeitig in ein Krankenhaus zu bringen. Deshalb habe ich auch zu diesem Ort ein besonderes Verhältnis.
DIE SHEPHERD-Provokation ist Teil unermüdlicher Bemühungen, Jerusalem zu „judaisieren“. Einfacher gesagt: eine ethnische Säuberung auszuführen. Die Kampagne geht nun schon seit 42 Jahren, vom ersten Tag der Besatzung Ost-Jerusalems, vonstatten. Aber der Zeitpunkt dieser besonderen Operation hängt mit taktischen Erwägungen zusammen.
Netanyahu sieht sich schwerem amerikanischen Druck gegenüber, um den Siedlungsbau in der Westbank einzufrieren. Er ist nicht in der Lage, dies zu tun, solange er der augenblicklichen Koalition vorsteht, die er selbst so wollte, die aus Rechten, religiösen Zeloten, Siedlern und ausgemachten Faschisten besteht. Er hat mehrere „Kompromisse“ angeboten, die alle auf verschiedenen betrügerischen Tricks beruhen. Aber die Amerikaner haben die Lektionen aus der Vergangenheit gelernt und gingen nicht in seine Fallen.
Sein siamesischer Zwilling Ehud Barak ist eifrig dabei, in die Medien „Nachrichten“ über eine grandiose Operation zu schleusen: jeden Augenblick sollen mit einem Streich – wie Alexander der Große mit dem Gordischen Knoten – Dutzende von Siedlungs-“Außenposten“, die seit 2001 mit geheimer Regierungsunterstützung errichtet wurden, vernichtet werden. Aber außer den Medienleuten selbst glaubt keiner so recht daran, dass dies geschehen wird. Ganz gewiss nicht die Siedler, nach ihrem wissenden Lächeln zu beurteilen.
Was also tun, um die Auflösung der Außenposten zu verhindern? Netanyahu, der König von PR, hat eine Lösung: eine neue Provokation, um die Aufmerksamkeit von der letzten abzuziehen. Das Shepherd-Hotel zieht jetzt die Aufmerksamkeit der Welt von den Hügeln in ‚Judäa und Samaria’ weg. Wenn man Zahnschmerzen hat, vergisst man die Bauchschmerzen.
Was, sagt er, die Goyim wollen uns verbieten, in Jerusalem zu bauen, in unserer heiligen Stadt? Unsere ewige Hauptstadt, die für alle Ewigkeit vereinigt worden ist?! Was für eine Chutzpe! Wollen sie Juden verbieten, in New York zu bauen? Wollen sie Engländern verbieten, in London zu bauen?!
Netanyahu übertraf sich selbst, als er erklärte, dass jeder Araber in West-Jerusalem leben könne, warum könne dann ein Jude nicht ein Haus in Ost-Jerusalem bauen?
Das ist deutlich und auf den Punkt gebracht -- und absolut falsch. Wenn Netanyahu solche Dinge sagt, weiß man nicht genau, ob er bewusst Lügen verbreitet (obwohl sie leicht widerlegt werden können) oder ob er selbst seinen Unwahrheiten glaubt. So sagte er z.B., dass er sich noch an die britischen Soldaten vor seinem Haus erinnere, als er noch ein Kind war – doch der letzte britische Soldat hatte schon ein Jahr bevor er geboren wurde, das Land verlassen.
Die Wahrheit ist, dass abgesehen von äußert seltenen Ausnahmen, kein Araber eine Wohnung in West-Jerusalem erwerben, geschweige denn ein Haus dort bauen kann – obwohl große Teile der westlichen Stadt aus früheren arabischen Stadtteilen bestehen, deren Bewohner während des 1948er Krieges flohen oder vertrieben wurden. Den früheren Besitzern der Häuser in diesen Vierteln (Talbiya, Katamon, Baka’a, Dir Yassin), die in Ost-Jerusalem Zuflucht fanden, wurde es nicht erlaubt, zu ihren Häusern zurückzukehren, als Jerusalem 1967 „vereinigt“ wurde. Es wurde ihnen auch keine Kompensation gezahlt (wie ich es in der Knesset vorgeschlagen hatte).
Aber Netanyahu ist es gleichgültig, ob ihm die Leute glauben oder nicht. In dieser Woche war er, wie in den anderen Wochen seit seiner Rückkehr zur Macht, voll mit seinem Überleben als Ministerpräsident beschäftigt. Um zu überleben, muss die Koalition intakt bleiben. Um dies zu erreichen, muss er zeigen, dass er unter amerikanischem Druck nicht zusammenknickt. Es gibt keinen besseren Platz als Jerusalem, um dies zu beweisen.
Über Jerusalem, wie offizielle Sprecher nie müde werden zu sagen – über Jerusalem gibt es einen nationalen Konsens: von Wand zu Wand: von der Linken bis zur extremen Rechten.
Doch dieser Mythos ist längst gestorben. Solch ein Konsens besteht nicht mehr. Gerade jetzt sind die meisten Israelis bereit, die arabischen Viertel Ost-Jerusalems der palästinensischen Regierung für wirklichen Frieden zurückzugeben. Ich kenne keine jüdische Mutter, die bereit wäre, ihren Sohn in einem Krieg für das Shepherd Hotel zu opfern.
ICH MÖCHTE noch einen anderen Mythos widerlegen, der unnachgiebig von unsern Medien propagiert wird: dass sich gerade ein nationaler Konsens gegen Präsident Obama bildet.
Im klassischen Hebräisch sagen wir: Keine Bären, kein Wald. Oder im Umgangssprachlichen: Keine Vögel, keine Schuhe.
Viele Israelis, ja, sehr viele hoffen, dass Barack Obama für sie tun wird, was ohne ihn unmöglich ist: den Frieden bringen. Sie sind über unser politisches System verzweifelt, über beides, die Koalition und die Opposition, von der Rechten und der Linken, sie sind davon überzeugt, dass nur eine Macht von außen diese Hoffnung realisieren kann.
Falls Obama tatsächlich mit Netanyahu wegen der hartnäckigen Weigerung, den Siedlungsbau in der Westbank einzufrieren und wegen des Weiterbaus in Ost-Jerusalem zusammenstoßen solle, dann werden viele Israelis um einen Sieg Obamas beten. Sie wissen, dass in dieser Schlacht nicht Netanyahu, sondern Obama die wahren Interessen Israels vertritt.
Die Frage ist nur, ob Obama – wie seit Dwight Eisenhower kein vorausgegangener Präsident - die Macht hat, die Sache durchzuziehen.
Netanyahu glaubt es nicht. Seine amerikanischen Partner – die geschlagenen Republikaner, die Neo-Cons, die sich jetzt zurückhalten, die fast schweigenden evangelikalen Prediger – das ganze besiegte Lager hofft, sein Glück wieder zu gewinnen, indem es die jüdische Lobby und die israelische Regierung ermutigt, Obama zu provozieren. Netanyahu, der in der Vergangenheit den Kongress gegen das Weiße Haus mobilisierte, glaubt, er könne das noch einmal tun.
Unsere Zeitungen berichten mit Häme durch Tabellen und Schaubilder, dass Obamas Ansehen in Amerika im Sinken begriffen sei. Es ist nicht schwer zu erraten, dass diese Information aus Avigdor Liebermans Außenministerium stammt, aus derselben Quelle, die die amerikanischen Medien mit Berichten über die wachsende Opposition gegen Obama in der israelischen Öffentlichkeit versorgt. Bald werden die amerikanischen Medien zeigen, wie israelische Demonstranten Poster schwenken, auf denen Obama in SS-Uniform zu sehen ist, so wie es Yassir Arafat bzw. Yitzhak Rabin vor ihm geschehen ist.
In der Schlacht geht es nicht um 20 Außenposten und auch nicht um 20 Apartments auf Grund und Boden des Shepherd-Hotels. Jedes Haus in jeder Westbanksiedlung dient einem höheren Zweck: der Möglichkeit den Frieden zu zerstören. Jedes israelische Haus in Ost-Jerusalem dient demselben erhabenen Ziel. Die Gegner des Friedens wissen, dass kein arabischer Führer je ein Friedensabkommen unterzeichnen wird, das Ost-Jerusalem nicht als palästinensische Hauptstadt bestimmt, und kein arabischer Führer wird jemals ein Friedensabkommen unterzeichnen, das nicht die ganze Westbank dem neuen Staat Palästina vermacht.
Auf den Schultern Barak Obamas ruht eine schwere historische Verantwortung: nicht einzuknicken, nicht nachzugeben und keine „Kompromisse“ zu schließen. Auf dem totalen Einfrieren der Siedlungsaktivitäten zu bestehen – als erster und notwendiger Schritt in Richtung Frieden – um seinet- und auch um unsretwillen.
Als Israeli habe ich das Gefühl, ihm zurufen zu müssen: Ja, du kannst!
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)