Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

  • Bild Interview Sternenjaeger.ch Copyright 2012 - sternenjaeger.ch

Archiv

Jan 15, 2011

Die Krone und die Kohlen


DER LIBANON steckt in einer Krise. Was ist daran neu?

 

Seit der Gründung des Staates vor 90 Jahren ist das Wort „Krise“ untrennbar mit seinem Namen verbunden.

 

Aus israelischer Perspektive hat diese Krise eine doppelte Bedeutung.

 

Erstens gefährdet sie die Ruhe an der nördlichen Grenze Israels. Jede interne Krise im Libanon kann leicht zu einem Großbrand führen. Irgend jemand im Libanon mag eine Konfrontation herbeiführen, um die Aufmerksamkeit von internen Dingen abzulenken. Irgend jemand in Israel kann entscheiden, dass dies eine gute Gelegenheit sei, irgendein israelisches Programm weiterzubringen.

 

Wenn ein dritter Libanonkrieg ausbricht – Gott verhüte es - droht unsägliche Zerstörung auf beiden Seiten. Der zweite Libanonkrieg mag im Vergleich dazu wie eine Picknick aussehen. Dieses Mal wären alle israelischen Städte und Dörfer innerhalb der Reichweite von Hisbollahs Raketen. Während des großen Feuers auf dem Karmel vor ein paar Wochen wurde klar, dass nichts für die Verteidigung des Hinterlandes vorbereitet sei, abgesehen von einem eindrucksvollen Arsenal von Reden und Erklärungen.



Die Krone und die Kohlen

 

Uri Avnery

 

 

DER LIBANON steckt in einer Krise. Was ist daran neu?

 

Seit der Gründung des Staates vor 90 Jahren ist das Wort „Krise“ untrennbar mit seinem Namen verbunden.

 

Aus israelischer Perspektive hat diese Krise eine doppelte Bedeutung.

 

Erstens gefährdet sie die Ruhe an der nördlichen Grenze Israels. Jede interne Krise im Libanon kann leicht zu einem Großbrand führen. Irgend jemand im Libanon mag eine Konfrontation herbeiführen, um die Aufmerksamkeit von internen Dingen abzulenken. Irgend jemand in Israel kann entscheiden, dass dies eine gute Gelegenheit sei, irgendein israelisches Programm weiterzubringen.

 

Wenn ein dritter Libanonkrieg ausbricht – Gott verhüte es - droht unsägliche Zerstörung auf beiden Seiten. Der zweite Libanonkrieg mag im Vergleich dazu wie eine Picknick aussehen. Dieses Mal wären alle israelischen Städte und Dörfer innerhalb der Reichweite von Hisbollahs Raketen. Während des großen Feuers auf dem Karmel vor ein paar Wochen wurde klar, dass nichts für die Verteidigung des Hinterlandes vorbereitet sei, abgesehen von einem eindrucksvollen Arsenal von Reden und Erklärungen.

 

Aber diese libanesische Krise ist auch auf einer ganz anderen Ebene bedeutsam. Sie beinhaltet eine wichtige Lektion, die die existentielle Frage betrifft, mit der wir es gerade zu tun haben: Israel in seinen Grenzen von 1967 oder Groß-Israel, das über all das Land zwischen Mittelmeer und dem Jordan herrschen will.

 

Die libanesische Krise ruft uns zu: Seht, wir haben euch gewarnt!

 

 

DIE LIBANESISCHE Krankheit begann mit einer wichtigen Entscheidung, die an dem Tag, als der Staat geschaffen wurde, getroffen wurde.

 

In den Augen der Araber ist der Libanon ein Teil Syriens. Groß-Syrien – al-Sham auf Arabisch – schließt den gegenwärtigen syrischen Staat als auch den Libanon, Palästina, Jordanien und den Sinai mit ein. Dies ist ein Grundlehrsatz des modernen arabischen Nationalismus’.

 

Während der vierhundert Jahre ottomanischer Herrschaft in der Region gab es keine wirklichen Grenzen zwischen diesen Provinzen. Die verwaltungsmäßige Aufteilung wechselte von Zeit zu Zeit, war aber unbedeutend. Man konnte problemlos von Haifa nach Damaskus oder von Jerusalem nach Beirut reisen.

 

Der Libanon ist ein Land mit hohen Bergketten. Es ist eines der schönsten Länder der Welt. Diese topographische Realität ermutigte verfolgte Minderheiten aus der ganzen Region, dort nach einem Zufluchtsort zu suchen. Sie richteten sich zwischen den Bergen ein, organisierten eine Rundum-Verteidigung und hielten wild entschlossen an ihrer besonderen Eigenart fest. Die sehr tolerante ottomanische Herrschaft gab jeder Gemeinschaft weitreichende Autonomie ( das „Millet“-System).

 

So richteten sich die Drusen in den Chufbergen ein, die christlichen Maroniten in den zentralen Bergen und die Schiiten im Süden. Neben ihnen gab es andere christliche Gemeinschaften (hauptsächlich griechisch-orthodoxe und griechisch-katholische) und die sunnitischen Muslime. Diese letzteren waren besonders in den Küstenstädten – Tripoli, Beirut und Sidon – konzentriert, - und nicht durch Zufall - etablierten die sunnitischen Ottomanen sie angesichts all dieser verschiedenen Gemeinschaften dort als Wächter ihres Reiches.

 

 

DIE HISTORISCHE Veränderung in den Annalen des Libanon geschah 1860. Bis dahin lebten die beiden großen Gemeinschaften – die Maroniten und die Drusen – in angespannter Koexistenz. Es gab viele Zusammenstöße zwischen ihnen, und eine Zeit lang errichteten drusische Fürsten so etwas wie einen Ministaat in der Region. Aber die Beziehungen zwischen ihnen waren erträglich.

 

1860 eskalierten die lokalen Konflikte zu einer Katastrophe: die Drusen massakrierten die Christen. Auch die Juden waren in Gefahr, und der britische Jude Moses Montefiori eilte ihnen in seiner Kutsche zur Hilfe. Die Welt war schockiert – das war eine Zeit, in der die Welt von Massakern noch geschockt wurde. Die Situation wurde von den Franzosen ausgenützt, die schon immer ein begehrliches Auge auf die „Levante“ geworfen hatten. Die Regierung in Istanbul war gezwungen, sie als Beschützer der Christen im Libanon anzuerkennen. Um die Christen zu schützen, wurde den libanesischen Bergen ein autonomer Status innerhalb des Ottomanischen Reiches unter französischem Protektorat verliehen.

 

Mit dem Zusammenbruch des Ottomanischen Reiches am Ende des 1. Weltkrieges wurde die Region zwischen den beiden Siegermächten – Großbritannien und Frankreich – aufgeteilt.

In einem zynischen Verrat ihres erklärten Zieles („nationale Selbstbestimmung“) übernahmen die Franzosen Syrien (einschließlich des Libanon), während die Briten Palästina, Transjordanien und den Irak übernahmen. Die Araber wurden nicht um ihre Meinung gefragt. Als der Emir Feisal (der Bruder von Abdallah) ein syrisches Königreich in Damaskus errichtete, wurde er brutal von den Franzosen verjagt. Eine spätere nationale arabische Revolte gegen die Franzosen, seltsamerweise von den Drusen angeführt, wurde mit großer Grausamkeit niedergeschlagen.

 

Die Muslime, die die überwältigende Mehrheit im vereinigten Syrien darstellten, hassten die französischen Eroberer und hassten sie bis zum letzten Tag ihrer Herrschaft in Syrien, als die Briten sie im Laufe des 2. Weltkrieges ( und zwar mit Hilfe „illegaler“ jüdischer Kräfte in Palästina vertrieben. Es war bei dieser Kampagne, dass Moshe Dayan eines seiner beiden Augen verlor und sein Markenzeichen, die Augenbinde, gewann .)

 

 

DAS HAUPTZIEL der französischen Herrschaft vom ersten Tag an war, die libanesischen Berge zu einem soliden französischen Dominium zu machen, das sich auf die christliche Bevölkerung gründet. Sie entschieden, den Libanon von Syrien abzutrennen und zu einem separaten Staat zu machen. Diese Trennung verursachte unter den Muslimen einen riesigen Sturm – aber ohne Wirkung.

 

Dann stellte sich die wichtige Frage, die noch heute ihren Schatten über den Libanon wirft: Sollten die Christen mit einem kleinen Staat zufrieden sein, in dem sie eine entscheidende Mehrheit darstellen, oder sollten sie einen großen Staat bevorzugen und umfangreiche muslimische Gebiete annektieren. Dies wurde auf Französisch „le Grand Liban“ - der Groß-Libanon genannt.

 

Jeder Israeli kann dieses Dilemma leicht erkennen.

 

Es gibt eine jüdische Legende, die besagt, dass dem Pharao erzählt wurde, dass ein neugeborenes Baby mit Namen Moses dafür bestimmt wurde, König zu werden. Um es zu testen, bot Pharao dem Baby nebeneinander eine goldene Krone und einen Haufen glühender Kohlen an. Das Baby streckte seine Hand in Richtung der Krone aus, aber Gott sandte einen Engel, der die Hand in Richtung der Kohlen schob. Pharao war zufrieden, und Moses war gerettet.

 

Die Christen im Libanon wurden auch vor die Wahl gestellt – und sie wählten die Krone.

 

Die Franzosen willigten in ihre Forderungen ein und schlossen dem Libanon die muslimischen Städte Tripoli, Beirut, Sidon und Tyros, das Bekaa-Tal und den ganzen schiitischen Süden an. Alle Bewohner dieser „umstrittenen Gebiete“ – wie sie genannt wurden – einschließlich der Schiiten, opponierten heftig dagegen, aber vergeblich. Jede Opposition wurde brutal von den Franzosen niedergeschlagen.

 

 

SOGAR SCHON bei der Gründung von Groß-Libanon stellten die Maroniten eine Minderheit der Bevölkerung dar. Alle Christen zusammen, einschließlich aller verschiedenen Konfessionen, waren eine knappe Mehrheit. Es war klar, dass die Muslime mit ihrer höheren Geburtsrate in absehbarer Zukunft die Mehrheit im christlichen Staat sein würde.

 

Dies geschah natürlich. Die Muslime gaben ihren Traum, das Rad zurückzudrehen, auf. Sie forderten nicht mehr, die „umstrittenen Gebiete“ ihrem syrischen Heimatland zurückzugeben. Aber sie begannen, gegen die Vorherrschaft der Christen im Libanon zu kämpfen. Im Laufe der Zeit wurden die Christen gezwungen, Teile ihrer Privilegien an andere Gemeinschaften abzugeben. Eine unumstößliche kommunale Teilung wurde eingesetzt: der Präsident ( mit weitreichender Exekutivmacht) war immer ein Christ, der Ministerpräsident ein sunnitischer Muslim und so weiter ….Aber innerhalb kurzer Zeit reflektierte diese Teilung auch nicht mehr die demographische Realität.

 

Um eine israelische Ausdrucksweise zu verwenden: Der Libanon behauptete, ein „christlicher und demokratischer Staat“ zu sein. Aber eigentlich war es nie ein demokratischer Staat und hörte auch auf, ein christlicher Staat zu sein.

 

Die kurze Geschichte des Libanon besteht fast nur aus einem Kampf zwischen den Gemeinschaften, die gegen ihren Willen wie Katzen in einem Sack vereinigt wurden. Man kann eine Menge darüber aus dem kürzlich erschienenen ausgezeichneten Buch ( auf Englisch) von Patrick Seale lernen: „Der Kampf um arabische Unabhängigkeit“.

 

Der Kampf erreichte einen seiner Höhepunkte im großen Bürgerkrieg, der 1975 begann. Die Syrer überfielen das Land, um (wie ironisch) die Christen gegen die Muslime zu verteidigen, die durch die PLO verstärkt wurden, die eine Art Ministaat im Süden des Landes errichtet hatten, nachdem sie aus Jordanien vertrieben worden waren.

 

In dieses Durcheinander tappten die Führer Israels ohne die geringste Ahnung über die komplexe Situation des Landes. Sharon fiel 1982 in den Libanon ein, um die PLO zu vernichten und um die Syrer – ihre Feinde – zu vertreiben. Die IDF machten mit den Maroniten ein Abkommen, ohne sich darüber im klaren zu sein, dass sie viel besser waren, wahllose Massaker (Sabra und Shatila) auszuüben, als wirklich zu kämpfen. 18 Jahre und Hunderte getöteter Soldaten waren nötig, bis sich die israelische Armee endlich aus dieser Falle zurückzog.

 

Die israelische Intervention hatte nur eine anhaltende Wirkung, und zwar eine völlig unerwartete. Die Schiiten im Südlibanon, die unterdrückteste Gemeinschaft im Lande, die von beiden, den Christen und den Sunniten aufs äußerste verachtet wurde, wachten plötzlich auf. In ihrem langen Guerillakrieg gegen die israelische Armee wurden sie eine bedeutende politische und militärische und schließlich eine entscheidende Kraft im Libanon. Wenn die Hisbollah tatsächlich das ganze Land übernehmen sollte, dann schuldet sie Ariel Sharon auf dem zentralen Platz in Beirut ein Denkmal.

 

 

DIE GEGENWÄRTIGE Krise ist eine Fortsetzung aller früheren Krisen. Aber während der 90 Jahre der Existenz des Libanonstaates haben große Veränderungen stattgefunden. Die Christen sind jetzt eine sekundäre Kraft geworden; die sunnitischen Muslime haben auch gesehen, wie ihre politische Bedeutung schwindet. Nur die Schiiten haben gewonnen.

 

Die augenblickliche Krise begann mit der Ermordung von Rafik al-Hariri, dem sunnitischen Ministerpräsidenten, dessen Platz von seinem Sohn Saad-al Din Rafiq al-Hariri übernommen wurde (Das Wort „assassination“ (politischer Mord) kommt übrigens von der mittelalterlichen schiitischen Sekte der Hashishi’in.) Eine internationale Untersuchung wurde ins Rollen gebracht, hauptsächlich, um Syrien, den Feind der USA, zu schädigen, aber die Spuren führten in Richtung Hisbollah. Um dem Bericht zuvor zu kommen, brachte die Hisbollah und ihre Verbündeten (einschließlich eines wichtigen christlichen Generals) in dieser Woche die Koalitionsregierung, von der sie ein Teil sind, zu Fall. Saudi Arabien und Syrien, bis vor kurzem Todfeinde, vereinigten die Kräfte, um eine Katastrophe zu vermeiden, die sich leicht über die ganze Region ausbreiten könnte. Sie boten einen Kompromiss an – aber die USA befahlen ihrem Mann, Hariri, diesen zurückzuweisen.

 

Die Amerikaner ähneln den Israelis– und übertreffen sie sogar - mit ihrer Arroganz und Ignoranz, die an Unverantwortlichkeit grenzt. Ihre Intervention in dieser Woche, von der eine frivole Geringschätzung der unglaublichen Komplexität, die Libanon heißt, ausgeht, kann einen Bürgerkrieg und/oder einen Großbrand auslösen, der Israel mit hineinzieht.

 

All dies hätte verhindert und 90 Jahre Leiden hätten vermieden werden können, wenn die Christen damals mit ihrem Teil des Landes zufrieden gewesen wären. Als sie die Option Groß-Libanon wählten - sehr ähnlich dem „Groß-Israel“ – so verurteilten sie sich selbst und ihr Land zu 90 Jahren Krieg und Elend, ohne dass ein Ende in Sicht ist.

 

Im entscheidenden Augenblick lenkte kein Engel ihre Hand von der goldenen Krone zu den brennenden Kohlen. Nun stehen wir Israelis vor einer sehr ähnlichen Wahl.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)