Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Archiv

Jul 16, 2011

Interview in Haaretz 11.07.2011


„Uri Avnery, wird das Boykott-Verbotsgesetz Sie dazu bringen, nicht mehr zum Boykott der Siedlungen aufzurufen?“
„Das Boykott-Gesetz verwandelt die Diktatur der Siedler in die Grundlage des israelischen Gesetzes.“
Interview mit Yonatan Lis – Haaretz 11.7.11


„Uri Avnery, wird das Boykott-Verbotsgesetz Sie dazu bringen, nicht mehr zum Boykott der Siedlungen aufzurufen?“

„Das Boykott-Gesetz verwandelt die Diktatur der Siedler in die Grundlage des israelischen Gesetzes.“

Interview mit Yonatan Lis – Haaretz 11.7.11

 

Uri Avnery, einer von Israels prominentesten linken Aktivisten und der Gründer der Gush Shalom Friedensbewegung, ist einer der lautstärksten Kritiker des sog. „Boykott-Gesetzes“. Dieses Gesetz, das die Unterstützung der Regierung hat, würde verschiedene Sanktionen auf jede Person oder Organisation legen, die öffentlich zu einem wirtschaftlichen, kulturellen und akademischen Boykott Israels im allgemeinen oder der Siedlungen im Besonderen aufruft. Es war für diesen Abend die letzte Billigung in der Knesset angesetzt, obwohl durch ein last-minute Problem die Abstimmung hätte aufgeschoben werden können.

 

Uri Avnery, wird das Boykott-Gesetz Sie dazubringen, nicht mehr zum Boykott von Waren aus Siedlungen aufzurufen?

 

„Das Boykottgesetz ist ein raffiniertes Gesetz. Es legt nicht kriminelle Sanktionen auf jemanden, der zum Boykott der Siedlungen aufruft. Wenn es dies täte, hätten wir nicht das geringste Problem; wir würden ins Gefängnis gehen. Stattdessen verurteilt das Gesetz jeden, der zum Boykott aufruft, zu einer Geldstrafe von Millionen Schekel als Kompensation für die Siedler.

„Es gibt keine Grenze für die Summe, die die Siedler von uns als Kompensation für den Schaden verlangen können, ohne die Höhe des Schadens beweisen zu müssen. Wenn ich zum Boykott eines Produktes von Yitzhar aufrufen würde, dann könnte jeder Einwohner Millionen Schekel als Kompensation verlangen. Das könnte bis zu astronomischen Summen steigen. Ich denke, dass dieser Schritt irgendwo auf der Welt einen Präzedenzfall hat.“

 

Falls es so ist, fürchten Sie Auswirkungen des Gesetzes auf Proteste gegen die Existenz der Siedlungen?

„Dieses Gesetz macht eindeutig klar, dass nicht Israel die Kontrolle über die Siedlungen hat, sondern die Siedlungen Israel kontrollieren. Wie kann man dieses Gesetz nicht fürchten. Wir müssen uns mit dieser Sache auseinandersetzen und wie wir dagegen opponieren können.

„Dies ist das drakonischste Gesetz in der Geschichte Israels. Offensichtlich bin ich davon betroffen. Es ist kein demonstratives Gesetz ohne Inhalt. Es ist ein bedeutendes Gesetz, das die Diktatur der Siedler zur Basis des israelischen Gesetzes macht.“

 

Aber vielleicht ist das Verhängen eines Boykotts ein problematisches und gefährliches Mittel?

Vielleicht sollte der Kampf es nicht darauf absehen, den Unterhalt der Siedler und ihr kulturelles Leben zu schädigen?

 

„ Es gibt täglich Dutzende von Boykotts in Israel. Die Religiösen verhängen Boykotts auf nicht-koschere Läden. Nach ihrer Ansicht ist das vollkommen in Ordnung. Niemand kann sie zwingen, in Läden zu kaufen, die Schweinefleisch verkaufen oder sie daran hindern, den Boykott auf Postern in den Straßen zu verkünden.

„Vegetarier können Läden boykottieren, die Fleisch verkaufen. Die Säkularen können die Religiösen, die sie nicht mögen, boykottieren. Die Religiösen (die Ultra-Orthodoxen) boykottieren Buslinien, die Männer nicht von Frauen trennen. Die Liste ist endlos.

„Wir alle haben einmal Produkte aus Südafrika boykottiert. Wir boykottierten die Sowjetunion, als sie die Juden nicht ausreisen lassen wollte. 1933 boykottierten alle Juden die Produkte von Nazi-Deutschland. Nur ein Boykott ist verboten worden – ein Boykott gegen die Siedlungen. Sie sind heiliger als alle anderen Heiligen. Wir haben hier ein Monster geschaffen.

„Sie und ich finanzieren die Errichtung der Siedlungen mit unsern Steuern. Mit unsern Steuergeldern schützt die IDF diese Siedlungen. Mit unsern Steuergeldern wird die Infrastruktur für Wasser, Strom und Straßen in jeden abgelegenen Außenposten gebaut. Und nun sehen wir, dass die Siedler den Staat übernommen haben.“

 

Dieses Gesetz verbietet Boykotts gegen den Staat Israel im allgemeinen und als ein Teil davon Boykotts gegen die Siedlungen. Aber Sie haben starke Kritik nur hinsichtlich der Verfügung hinsichtlich Boykotts gegen die Siedlungen ausgesprochen.

 

„Der Grund für dieses Gesetz sind Boykotts gegen die Siedlungen - der ganze Rest ist nur Dekoration. Die Artikel, die sich auf den ganzen Staat Israel beziehen, können nicht erfüllt werden und sind dumm.

 

„Die Tatsache, dass das Gesetz entworfen wurde, um die Boykotts der Siedlungen zu verhindern, wurde ausdrücklich während einer Diskussion um diese Sache von dem Knessetkomitee Gesetz und Gerechtigkeit festgestellt, dem David Rotem vorsteht. Keiner hat hier versucht, etwas zu verbergen.

„Was die Boykotts gegenüber dem Staat Israel betrifft, so sind wir dagegen. Ich bin dagegen. Ich habe in Dutzenden von Vorträgen und Reden dagegen gekämpft, die ich im Ausland hielt.“

 

Das Gesetz ruft nicht dazu auf, Bürger zu bestrafen, die am Boykott teilnehmen; nur die, die öffentlich dazu aufrufen, ihn auszuführen. Im Prinzip würde keiner etwas zu Israels Bürgern sagen, die sich z.B. entscheiden, keine Produkte aus den Siedlungen zu kaufen.

„Das ist vollkommen klar. Das Gesetz bedroht nicht Leute, die den Boykott ausführen, sondern nur diejenigen, die zum Boykott aufrufen. Aber zum Boykott aufrufen, ist wie ein anderes Statement in einem demokratischen Land; es ist ein elementarer Akt politischen und demokratischen Ausdrucks.

 

„In Amerika boykottierten sie während der Bürgerrechtsbewegung Tausende von Geschäften,

die die Schwarzen diskriminierten. Ist es denkbar, dass irgendeiner jemanden strafen würde, der zu einem Boykott dieser Art aufruft? Bis vor noch nicht langer Zeit gab es in den USA Hunderte von Klubs, die nicht von Juden betreten werden durften; und die Juden kündigten einen Boykott gegen sie an. Ist es denkbar, dass jemand dies verhindert haben würde? Das wäre antidemokratisch.

„Dieses Gesetz ist von Grund auf antidemokratisch. Es unterminiert grundsätzlich die Gleichheit: Boykott der einen Art ist erlaubt, während Boykotts von anderer Art verboten sind.“

 

Der Justizminister hat angekündigt, dass er das Gesetz in seiner jetzigen Version, verteidigen wolle, wenn eine Petition dagegen beim Obersten Gerichtshof eingereicht wird. Wie erklären Sie sich den Widerspruch zwischen seinem Statement und Ihrer Behauptung, dass das Gesetz anti-demokratisch sei?

 

„Den Siedlern ist es gelungen, das Rechtssystem zu terrorisieren. Es sind die selben Siedler und die Hügeljugend, die wir sahen, wie sie letzte Woche die Straßen wegen der Siedlerrabbiner, die den Mord an nichtjüdischen Babys befürworten, blockierten.

 

„Uns ist nicht klar, wie schnell wir auf einen Abgrund zugehen – nicht nur auf einen Staat, der vom jüdischen Gesetz regiert wird, sondern einem Staat, der von Rabbinern der Siedler beherrscht wird. Dies ist eine reine Diktatur, und dazu eine rachsüchtige.

 

„Ich verbrachte die ersten 10 Jahre meines Lebens in Deutschland. Ich sah, wie Hitler zur Macht kam. Es geschah nichts Dramatisches. Es war ein kleiner Schritt.

Als mein Vater einige Monate nachdem das Naziregime zur Macht kam, entschied, Deutschland zu verlassen, sagten ihm alle Verwandten, er sei verrückt. Heute stehen alle ihre Namen auf einem Holocaustdenkmal auf dem Platz jener Stadt (Hannover).

„Wir sind auf einem schnellen Kurs zu einem Regime dieser Art. Mein ganzes Leben fürchtete ich, diese Worte sagen zu müssen. Ich sagte immer: ‚Vergiss es, man kann dieses nicht mit den Nazis vergleichen.’ Das war ein Fehler. Es tut mir leid, dass ich so gesprochen habe.“

 

Rachel Avnery, 58 Jahre lang Ihre Frau, starb im letzten Mai. Und einen Abend des Erinnerns wird am Mittwoch in Tel Avivs Tzavta Theater sein. In der Einladung schreiben Sie, dass sie ‚eine Partnerin im Kampf’ war.

 

„Ich wünschte, dies wäre kein Gedenkgottesdienst. Es gab keinen, der ihr begegnete, der nicht von ihrer einzigartigen Persönlichkeit beeindruckt war. Rachel war 28 Jahre lang Lehrerin und lehrte nur in der 1. und 2. Klasse. Hunderte von Kindern waren ihre Schüler, aber nicht einer vergaß sie. Männer in den 40ern halten mich auf der Straße an und Frauen im mittleren Alter und sagen mir: ‚Rachel hat mein Leben verändert.’

 

„Sie war eine Lebenspartnerin und eine Partnerin im Kampf. Wir waren 58 Jahre lang eine Einheit. Wenn jemand einen Arm verliert, fühlt er weiter, als wäre er noch da. Genau in dieser Situation befinde ich mich. Wenn ich etwas höre, möchte ich schnell zu Rachel eilen und ihr erzählen. Dann muss ich mich erinnern, dass es da niemanden mehr gibt, dem ich erzählen kann. Sie hatte einen sehr, sehr großen Einfluss auf mich.

 

Rachel wurde nicht beerdigt. Auf ihren Wunsch hin fand eine Feuerbestattung statt und die Asche wurde im Meer verstreut. Deshalb hatten all jene, die sie liebten, keine Gelegenheit, sich von ihr zu verabschieden. Dieser Abend soll ein Lebe-wohl-Abend werden.

 

(dt. Ellen Rohlfs)