Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Oct 8, 2011

'Viel Feind, viel Ehr'


EIN ALTES Foto aus dem 1. Weltkrieg zeigt eine Kompanie deutscher Soldaten, die in einen Zug einsteigen, der sie zur Front bringt. An die Wagenwand hatte jemand gekritzelt: „Viel Feind, viel Ehr“.

In jenen Tagen, ganz am Anfang des Krieges, erklärte ein Land nach dem anderen Deutschland den Krieg. Der Geist des Graffito reflektiert die Hybris des obersten Befehlshabers, Kaiser Wilhelm, der sich auf den Kriegsplan des legendären deutschen Generalstabs verließ. Es war tatsächlich ein ausgezeichneter Kriegsplan, und wie bei vielen ausgezeichneten Kriegsplänen, ging von Anfang an alles schief.

 

Der törichte Kaiser hat jetzt die Erben gefunden, die er verdient. Israels Stellvertreter des Ministerpräsidenten Moshe Yaalon, ein früherer Armeestabschef, dessen Intelligenz unter dem Durchschnitt dieses Ranges liegt, hat angekündigt, dass Israel sich unmöglich bei der Türkei entschuldigen könne, selbst wenn es im nationalen Interesse läge, weil es unser „Prestige“ verletze.

 

Viel Feind, viel Prestige.



„Viel Feind, viel Ehr“

 

Uri Avnery

 

EIN ALTES Foto aus dem 1. Weltkrieg zeigt eine Kompanie deutscher Soldaten, die in einen Zug einsteigen, der sie zur Front bringt. An die Wagenwand hatte jemand gekritzelt: „Viel Feind, viel Ehr“.

In jenen Tagen, ganz am Anfang des Krieges, erklärte ein Land nach dem anderen Deutschland den Krieg. Der Geist des Graffito reflektiert die Hybris des obersten Befehlshabers, Kaiser Wilhelm, der sich auf den Kriegsplan des legendären deutschen Generalstabs verließ. Es war tatsächlich ein ausgezeichneter Kriegsplan, und wie bei vielen ausgezeichneten Kriegsplänen, ging von Anfang an alles schief.

 

Der törichte Kaiser hat jetzt die Erben gefunden, die er verdient. Israels Stellvertreter des Ministerpräsidenten Moshe Yaalon, ein früherer Armeestabschef, dessen Intelligenz unter dem Durchschnitt dieses Ranges liegt, hat angekündigt, dass Israel sich unmöglich bei der Türkei entschuldigen könne, selbst wenn es im nationalen Interesse läge, weil es unser „Prestige“ verletze.

 

Viel Feind, viel Prestige.

 

Es scheint, dass wir bald keine Freunde mehr haben, die wir in Feinde verwandeln können, um noch mehr Prestige zu sammeln.

 

 

LETZTE WOCHE kam eine schwarze Katze zwischen Israel und seinem zweitbesten Freund: Deutschland.

 

Hochrangige deutsche Vertreter vertrauten ihren israelischen Kollegen an, dass ihre Kanzlerin Angela Merkel „wütend“ war, als sie hörte, dass die israelische Regierung den Bau von 1100 Wohneinheiten in Gilo, einem Stadtteil des besetzten Ost-Jerusalem, genehmigt habe. Nur ein paar Tage früher hatte das Quartett Israel und die palästinensische Behörde eingeladen, die Verhandlungen wieder aufzunehmen und von „Provokationen“ abzusehen. Wenn dies keine Provokation ist, was ist es dann?

 

Merkel, gewöhnlich eine Frau von stiller Gelassenheit, behielt ihre Wut nicht bei sich. Sie rief Benjamin Netanjahu an und hielt ihm eine ernste Standpauke, etwas, das vorher nie geschehen war.

 

Bis jetzt hat sich Deutschland strikt an einen Verhaltenskodex gegenüber Israel gehalten: nachdem die Nazis unaussprechliche Verbrechen gegen Juden begangen hatten, konnte es keine Kritik gegen irgendeine israelische Handlung geben; Deutschland zahlt für einen wichtigen Teil von Israels Ausrüstung; Deutschland hält sich mit jedem moralischen Kriterium zurück, soweit es den israelisch-palästinensischen Konflikt betrifft.

 

Nun nicht mehr, so scheint es. Wir sind dabei, unsern einzigen zweitbesten Freund zu verlieren.

 

 

DAS KLASSISCHE Beispiel für „Wie man Freunde verliert und Leute gegen sich aufbringt“, ist natürlich unsere Affäre mit der Türkei.

 

David Ben-Gurion, der Erz-Architekt Israels, glaubte, dass Frieden mit den Arabern weder möglich noch wünschenswert sei. Er dachte sich eine Alternative aus: ein Ring umzingelt die arabische Welt - ein Bündnis mit nicht-arabischen Verbündeten. Dies schloss den Iran (unter dem Schah) ein, Äthiopien (unter Haile Selassie), mehrere andere afrikanische Länder und natürlich die Türkei (unter dem Erbe von Kemal Atatürk).

 

Unsere Beziehungen mit der Türkei entwickelten sich über die Jahre zu einer sehr engen Verbindung, besonders intim zwischen den militärischen Kräften. Gemeinsame Übungen, Verkauf vieler Waffen, Nachrichtenaustausch. Während Israel den irakischen Kurden gegen Saddam Hussein half, half es Ankara, die türkischen Kurden zu unterdrücken. Jerusalem dachte ernsthaft daran, eine Pipeline unter dem Meeresspiegel zwischen der Türkei und Israel zu legen, um Wasser zu bringen, wovon die Türkei eine Menge hat, was Israel aber dringend benötigt.

 

Plötzlich hat sich alles verändert. Die türkisch-israelischen Beziehungen wurden wie ein Schiff, das direkt von einem Torpedo getroffen wurde.

 

Es begann, als der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Davos plötzlich aufstand und einen öffentlichen Dialog mit Shimon Peres verließ. Israelis konnten dies verstehen: nicht jeder kann Peres ertragen.

 

Aber Avigdor Liebermans Außenministerium entschied sich, sich zu rächen. Sein Vertreter, ein Genie mit Namen Danny Ayalon, zitierte den türkischen Botschafter wegen eines Verweises in sein Büro und ließ ihn auf einem niedrigen Sofa Platz nehmen, während er auf einem hohen Stuhl über ihm thronte. Der Botschafter nahm davon keine Notiz, aber der kleine Danny erklärte den versammelten israelischen Journalisten stolz seinen Trick. Der Botschafter nahm Urlaub und flog nach Hause.

 

Die Türkei reagierte inoffiziell mit der Mavi Marmara, um die Gaza-Blockade zu brechen. Neun Türken wurden getötet. Die Türkei war in Aufruhr. Erdogan verlangte eine Entschuldigung. Hier kam das Prestige dazu.

 

Man kann sich natürlich darüber streiten, ob die ganze Sache nicht eine vorsätzlich geplante Taktik von Erdogan war, um den Kurs zu ändern, mit Israel Schluss zu machen und sich nach anderen Verbündeten umzusehen. Wenn es so ist, ist es von unserer Regierung noch dümmer, in seine Hände zu spielen.

 

 

ALS DER Arabische Frühling ausbrach, sprang die Türkei auf den fahrenden Wagen auf und schlug eine türkisch-ägyptische Achse vor, was an die guten alten Zeiten des ottomanischen Empire erinnert. Israel andrerseits blieb bei seiner üblichen Linie.

 

Statt sich darüber klar zu sein, was geschehen war, hielt sich unsere Regierung an die zerbrochene Diktatur von Husni Mubarak. Wenn sie sich unmittelbar und voll und ganz zu Gunsten der Revolution ausgesprochen hätte, hätte sie vielleicht in der ägyptischen öffentlichen Meinung, die Mubarak als einen gut bezahlten amerikanischen Lakaien verachtete (der Israel half, 1,5 Millionen arabische Brüder im Gazastreifen auszuhungern), eine sichere Position gewonnen.

 

Der israelische Nachrichtendienst realisierte nicht, dass wir einem historischen Erdbeben gegenüber stehen, das die Region verändern wird. Tatsächlich sieht er nie voraus oder versteht die Ereignisse in der arabischen Welt nie– geblendet von seiner Verachtung gegenüber den Arabern.

 

Die Folge davon war, dass ägyptische Menschenmengen die israelische Botschaft angriffen, und den Botschafter und seinen Stab aus dem Land zu fliehen zwangen, und dass Saboteure wiederholt die Pipeline sprengten, die ägyptisches Gas zu sehr niedrigen Preisen (wahrscheinlich dank Bestechung entsprechender Leute) nach Israel transportiert.

 

Es wird jetzt gesagt, die ägyptische Öffentlichkeit sei immer gegen den Frieden mit Israel gewesen, ohne dass dies unser Fehler gewesen wäre. Das stimmt nicht. Ich war ein paar Tage nach Anwar Sadats historischem Besuch in Jerusalem in Kairo und fand die ägyptische Hauptstadt in einem Freudentaumel vor. Unzählige Israelis haben seitdem Ägypten besucht und wurden immer und überall mit größter Freundlichkeit empfangen. Erst als Israels Besatzung der palästinensischen Gebiete immer schlimmer wurde, fühlten sich die Ägypter betrogen.

 

Liebermann und Co. haben die Türkei verloren und sind dabei, auch Ägypten zu verlieren, unsere wichtigsten Verbündeten in der Region – und haben ein Dutzend andere Nationen beleidigt, gedemütigt und sind ihnen auf die Zehen getreten. Aber sie haben zweifellos viel Prestige gewonnen.

 

 

LEUTE, DIE in der Politik nach Logik suchen, kommen oft zu Verschwörungstheorien.

Als die gegenwärtige Regierungskoalition aufgestellt wurde, ersuchte Lieberman das Ministerium für Aufnahme von Immigranten, das Justizministerium, das für Innere Sicherheit (Polizei) und das Außenministerium.

 

Immigranten – das war natürlich. Seine Wähler waren vor allem Immigranten aus der früheren Sowjetunion. Justizministerium und Polizei – auch natürlich. Die Polizei ist dabei, eine endlose Untersuchung gegen ihn durchzuführen, die mysteriöses Kapital betreffen, die er und seine junge Tochter aus osteuropäischen Quellen empfangen haben. Es wäre also gut, etwas Kontrolle über die Justiz und Polizei zu haben.

 

Aber das Außenministerium? Wozu? Warum nicht das Verteidigungsministerium, das weit mehr Prestigewert hat, oder das ungeheuer mächtige Finanzministerium?

 

Einer meiner Bekannten kam mit einer Theorie: was wäre , wenn die Russen ….

 

Lieberman verbringt eine Menge Zeit in Russland, Weißrussland, in der Ukraine und in seinem Herkunftsland Moldavien. Wer außer Russland hat Interesse daran, die internationale Position Israels zu zerstören, den engsten Verbündeten der USA? Wäre es nicht für Vladimir Putin vernünftig gewesen ….

 

Aber das ist natürlich ein Witz. Nicht nur, dass Lieberman als aufrechter israelischer Patriot bekannt ist, so patriotisch, dass keiner neben ihm besteht, aber kein Agentenchef in Moskau würde einen Mann mit unsteten Augen als seinen Agenten akzeptieren, der auch noch mit einem starken russischen Akzent redet.

 

Nein, da muss es einen anderen Grund geben. Aber welchen?

 

EIN AUSLÄNDISCHER Journalist fragte mich neulich: „Aber was denken sie?“

 

„Sie“ – Netanjahu, Lieberman und die anderen - sind dabei, alle unsere noch verbliebenen Freunde zu verlieren, während sie Barack Obama demütigen. Sie sabotieren die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen. Sie bauen überall Siedlungen.

 

Wenn die Zwei-Staaten-Lösung schließlich unmöglich gemacht wird, was bleibt dann noch?

Ein vereinigter Staat vom Mittelmeer bis zum Jordan? Welche Art von Staat würde das sein? Sie sind absolut gegen einen bi-nationalen Staat, der eine totale Negation des Zionismus sein würde. Ein Apartheid-Staat? Wie lange könnte der dauern?

 

Die einzige „rationale“ Alternative wäre eine totale ethnische Säuberung , die Vertreibung von 5,5 Millionen Palästinensern aus der Westbank, dem Gazastreifen und aus Israel selbst. Ist das möglich? Würde die Welt dies tolerieren, wenn sie nicht gerade durch eine Invasion vom Mars abgelenkt würde?

 

Die Antwort ist: „Sie“ denken nicht darüber nach. Die Israelis haben sich daran gewöhnt, sehr kurzfristig zu denken. Die Amerikaner sagen: „Ein Staatsmann denkt an die nächste Generation, ein Politiker denkt an die nächste Wahl.“ Oder wie der zionistische Führer Chaim Weizmann zu sagen pflegte: „Die Zukunft wird kommen und für die Zukunft sorgen.“

 

Es gibt keine nationale Debatte, nur ein vager Wunsch, das alles so bleiben möge. Rechte Zionisten wollen am ganzen historischen Palästina festhalten, linke Zionisten wollen so viel wie möglich festhalten. So weit geht das Denken.

 

Die alten hebräischen Weisen sagten: „Wer ist ein Held? Der seinen Feind in einen Freund verwandelt“. Die modernen Weisen, die uns regieren, haben dies umgedreht: „Wer hat das größte Prestige? Der seine Freunde zu Feinden macht.“

 

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)