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Ein Tag im November
DIESER DIENSTAG wird der 64. Jahrestag eines schicksalhaften Tages für unser Leben sein.
Ein Tag im November. Ein Tag zum Erinnern.
Am 29. November 1947 nahm die Vollversammlung der Vereinten Nation mit 33 gegen 13 Stimmen (und 10 Enthaltungen) den Palästina-Teilungsplan an. (UN-Resolution 181)
Dieses Ereignis ist ein Subjekt endloser Debatten, von Missverständnissen und von direkten Fälschungen geworden. Es lohnt sich, die Mythen abzustreifen und zu sehen, wie es wirklich war.
Ein Tag im November
Uri Avnery
DIESER DIENSTAG wird der 64. Jahrestag eines schicksalhaften Tages für unser Leben sein.
Ein Tag im November. Ein Tag zum Erinnern.
Am 29. November 1947 nahm die Vollversammlung der Vereinten Nation mit 33 gegen 13 Stimmen (und 10 Enthaltungen) den Palästina-Teilungsplan an. (UN-Resolution 181)
Dieses Ereignis ist ein Subjekt endloser Debatten, von Missverständnissen und von direkten Fälschungen geworden. Es lohnt sich, die Mythen abzustreifen und zu sehen, wie es wirklich war.
GEGEN ENDE 1947 lebten im Land – offiziell Palästina genannt - etwa 1,2 Millionen Araber und 635 000 Juden. Die Kluft zwischen beiden Bevölkerungsgruppen wurde zu einem
Abgrund. Obwohl geographisch vermischt, lebten sie auf zwei verschiedenen Planeten. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, sahen sie sich gegenseitig als Todfeinde an.
Dies war die Wirklichkeit, die die UN-Kommission, die den Auftrag hatte, eine Lösung zu finden, vor Ort vorfand, als sie das Land besuchte.
Einer der großen Augenblicke meines Lebens ist verbunden mit diesem UNSCOP („UN-Sonderkomitee Palästina“) Auf der Karmelbergkette nahe dem Kibbuz Daliah besuchte ich das jährliche Volkstanzfestival. Volkstänze spielten in der neuen hebräischen Kultur, die wir bewusst schufen, eine große Rolle. Die meisten dieser Tänze waren irgendwie gekünstelt, oder gar künstlich wie viele unserer Bemühungen; aber sie reflektierten den Willen, etwas Neues, Frisches zu schaffen, das im Lande wurzelte und völlig anders als die jüdische Kultur unserer Eltern war. Einige von uns sprachen über eine neue „hebräische Nation“.
In einem riesigen natürlichen Amphitheater unter dem Baldachin blinkender Sommersterne waren zehn Tausende junger Leute, Jungen und Mädchen, versammelt und applaudierten den vielen Amateurgruppen, die auf der Bühne tanzten. Es war eine fröhliche Sache, durchdrungen von Kameradschaft, die Stärke und Selbstvertrauen ausstrahlte.
Keiner von uns hätte davon träumen können, dass wir uns in ein paar Monaten auf dem Feld eines tödlichen Krieges wieder treffen würden.
Mitten während der Vorstellungen kündigte eine aufgeregte Stimme im Lautsprecher an, dass mehrere Mitglieder der UNSCOP gekommen seien, um uns zu besuchen. Die riesengroße Menge stand wie ein Mann auf und begann, die Nationalhymne Hatikwa („die Hoffnung“) zu singen. Ich habe dieses Lied nie besonders gemocht, aber in diesem Moment klang es wie ein inbrünstiges Gebet, das den Raum füllte und von den Hügeln des Karmel als Echo zurückklang. Ich nehme an, dass fast alle der 6000 jungen jüdischen Leute, die ihr Leben im Krieg gaben, an diesem Abend das letzte Mal versammelt waren und tief bewegt sangen.
ES WAR in dieser Atmosphäre, dass die Mitglieder der UNSCOP, die viele verschiedene Nationen vertraten, eine Lösung finden mussten.
Wie jeder weiß, nahm die Kommission einen Plan zur Teilung Palästinas zwischen einem unabhängigen „arabischen“ und einem unabhängigen „jüdischen“ Staat an. Aber das ist nicht die ganze Geschichte.
Wenn man auf die Karte der Resolution der 1947er-Teilung schaut, muss man sich über die Grenzen wundern. Sie ähneln einem Puzzle, bei dem arabische und jüdische Stücke in unmöglicher Ordnung nebeneinander gesetzt wurden – mit Jerusalem und Bethlehem als eine getrennte Einheit. Die Grenzen sehen verrückt aus. Beide Staaten sind ganz und gar nicht zu verteidigen gewesen.
Die Erklärung ist, dass das Komitee sich nicht zwei völlig unabhängige und getrennte Staaten vorstellte. Der Plan schloss ausschließlich eine Wirtschaftsunion ein. Das würde nahe Beziehungen zwischen den beiden politischen Entitäten voraussetzen, etwas , das einer Föderation ähnlich sieht – mit offenen Grenzen und freier Bewegung für Menschen und Waren. Ohne dies wären die Grenzen unmöglich gewesen sein.
Das war ein sehr optimistisches Szenarium. Unmittelbar nachdem die UN-Vollversammlung den Plan des Komitees angenommen hatte, nach viel Schikanen durch die zionistische Führung, brach der Krieg mit sporadischen Angriffen der Araber auf den jüdischen Verkehr auf lebenswichtigen Straßen aus.
Nachdem der erste Schuss abgefeuert worden war, war der Teilungsplan schon tot. Das Fundament, auf dem das ganze Gebäude ruhte, brach auseinander: keine offenen Grenzen, keine Wirtschaftsunion, keine Chance für eine Union irgendwelcher Art. Nur eine abgrundtiefe, tödliche Feindschaft.
DER TEILUNGSPLAN wäre niemals angenommen worden, wenn nicht ein historisches Ereignis vorausgegangen wäre, das damals unglaublich schien.
Der sowjetische Delegierte der UN Andrej Gromiko hielt plötzlich eine Rede, die nur als eine glühende zionistische Rede beschrieben werden kann. Er behauptete, nach dem schrecklichen Leiden im Holocaust verdienten die Juden einen eigenen Staat.
Um das große Staunen zu verstehen, mit dem diese Rede aufgenommen wurde, muss man daran denken, dass bis zu diesem Augenblick Kommunisten und Zionisten unversöhnliche Feinde waren. Es war nicht nur ein Zusammenstoß von Ideologien, sondern auch eine Familienangelegenheit. Im zaristischen Russland wurden Juden von einer antisemitischen Regierung verfolgt, und junge Juden, männliche und weibliche, waren die Vorhut all der revolutionären Bewegungen.
Ein idealistischer junger Jude hatte die Wahl, sich entweder den Bolschewiken, dem sozial-demokratischen jüdischen Bund oder den Zionisten anzuschließen. Die Konkurrenz war aggressiv und erzeugte intensiven gegenseitigen Hass. Später wurden Zionisten in der Sowjetunion gnadenlos verfolgt. In Palästina wurden lokale jüdische und arabische Kommunisten angeklagt, sie würden mit den arabischen Militanten kollaborieren, die jüdische Stadtteile angriffen.
Was hatte diese plötzliche Veränderung in der sowjetischen Politik zuwege gebracht? Stalin hat sich nicht vom Antisemiten in einen Philosemiten verwandelt. Weit davon entfernt. Aber er war ein Pragmatiker. Es war die Ära der Mittelstreckenraketen, die die Sowjetunion von allen Seiten bedrohte. Palästina war praktisch eine britische Kolonie und konnte leicht eine westliche Raketenbasis werden, die Odessa und Gegenden darüber hinaus bedrohten. Also besser ein jüdischer und ein arabischer Staat als so etwas.
Im folgenden Krieg kamen – als ich Soldat war - alle meine Waffen aus dem Sowjetblock, hauptsächlich aus der Tschechoslowakei. Die Sowjetunion erkannte Israel de jure lange vor den USA an.
Das Ende dieser unnatürlichen Flitterwochen kam anfangs der Fünfzigerjahre, als David Ben Gurion entschied, Israel zu einem untrennbaren Teil des westlichen Blocks zu machen. In der selben Zeit erkannte Stalin die Bedeutung des neuen panarabischen Nationalismus’ eines Gamal Abd-al-Nasser und entschied, auf dieser Welle zu reiten. Sein paranoider Antisemitismus geriet wieder ins Blickfeld. In ganz Osteuropa wurden jüdische kommunistische Veteranen als zionistisch-imperialistisch-trotzkistische Spione umgebracht und seine jüdischen Ärzte wurden wegen Versuchs, ihn zu vergiften, angeklagt. (Glücklicherweise starb Stalin gerade zur richtigen Zeit – so wurden sie gerettet).
HEUTE ERINNERT man sich an die Resolution hauptsächlich wegen zweier Worte: „jüdischer Staat“.
Keiner in Israel möchte an die Grenzen von 1947 erinnert werden, die der jüdischen Minderheit in Palästina „nur“ 55% des Landes gab (Auch wenn die Hälfte davon aus der Wüste Negev bestand, von der der größte Teil noch immer fast leer ist). Noch wollen die jüdischen Israelis gern daran erinnert werden, dass fast die Hälfte der Bevölkerung des Gebietes, das ihnen zugesprochen worden war, arabisch war.
Damals wurde die UN –Resolution von der jüdischen Bevölkerung mit großer Begeisterung akzeptiert. Die Fotos der tanzenden Leute auf den Straßen Tel Avivs gehören zu diesem Tag und nicht, wie oft fälschlicherweise behauptet wird, zu dem Tag, an dem der Staat offiziell gegründet wurde. (Zu jener Zeit waren wir mitten in einem blutigen Krieg, und keiner war in der Stimmung zu tanzen).
Wir wissen jetzt, dass Ben-Gurion nicht davon träumte, die Grenzen des Teilungsplanes anzunehmen und noch weniger die arabische Bevölkerung innerhalb dieser Grenzen. Der berühmte militärische „Plan Dalet“ am Anfang des Krieges war eine strategische Notwendigkeit, aber es war auch eine Lösung für die beiden Probleme. Er fügte Israel weitere 22% des Landes hinzu und trieb die arabische Bevölkerung hinaus. Nur ein kleiner Rest der arabischen Bevölkerung blieb – und bis jetzt ist sie auf 1,5 Millionen angewachsen.
Aber all dies ist Geschichte. Was die Zukunft bewegt, sind die Worte „jüdischer Staat“. Die israelischen Rechten, die die Teilungsresolution in jedem anderen Zusammenhang verabscheuen, bestehen darauf, dass er die legale Basis für israelisches Recht ist, als „jüdischer Staat“ anerkannt zu werden. Das bedeutet praktisch, dass der Staat allen Juden in aller Welt gehört, aber nicht seinen arabischen Bürgern, deren Familien mindestens schon seit dreizehn Jahrhunderten, wenn nicht länger dort leben. (Das hängt davon ab, wer zählt.)
Doch die UN gebrauchte das Wort „jüdisch“ nur, weil ihr eine andere Definition fehlte. Während des britischen Mandats wurden die beiden Völker im Land auf Englisch „Juden“ und „Araber“ genannt. Aber wir selbst sprachen über einen „hebräischen“ Staat (Medina auf hebräisch). In Zeitungsausschnitten jener Zeit kann nur dieser Ausdruck gefunden werden. Leute in meinem Alter erinnern sich an Dutzende von Demonstrationen, bei denen wir unverändert sangen „Freie Einwanderung – Hebräischer Staat“. Das klingt noch immer in unsern Ohren nach.
Die UN befasste sich nicht mit dem ideologischen Make-up der zukünftigen Staaten. Sicherlich nahmen sie an, sie würden demokratisch sein und allen seinen Bewohnern gehören. Sonst würden sie kaum Grenzen gezogen haben, die einen wesentlichen Teil der arabischen Bevölkerung im „jüdischen“ Staat ließ.
Israels Unabhängigkeitserklärung basiert auf der UN-Resolution 181. Der relevante Satz heißt:
„…UND AUF GRUND DER RESOLUTION DER GENERALVERSAMMLUNG DER VEREINTEN NATIONEN ERKLÄREN (WIR) HIERMIT DIE ERRICHTUNG EINES JÜDISCHEN STAATES IN EREZ ISRAEL, DER STAAT ISRAEL.“
Die Ultrarechten, die jetzt die Knesset dominieren, wollen unter dem Vorwand, die Demokratie mit einer Doktrin jüdisch-nationalistisch-religiöser Vormacht zu ersetzen, diese Worte verwenden. Ein früherer Shin Beth-Chef und gegenwärtiges Mitglied der Knesset der Kadimapartei hat eine Gesetzesvorlage unterbreitet, die die Gleichheit der beiden Ausdrücke „jüdisch“ und „demokratisch“ aus der offiziellen Rechtsdoktrin löschen soll. Die „Jüdischkeit“ des Staates soll Vorrang über seinen „demokratischen“ Charakter haben. Dies würde die arabischen Bürger von jedem Rest an Gleichheit berauben. (Im letzten Augenblick angesichts der allgemeinen Reaktion zwang ihn die Kadima-Partei, diese Gesetzes-Vorlage zurückzuziehen.)
DER 1947er-Teilungsplan war ein ungewöhnlich intelligentes Dokument. Seine Details sind heute überholt, aber seine Grundidee ist heute so relevant wie vor 64 Jahren: Zwei Völker leben in diesem Land, sie können nicht in einem Staat zusammen leben ohne einen ständigen Bürgerkrieg, sie können in zwei Staaten zusammen leben; die beiden Staaten müssen enge Verbindungen zwischen sich schaffen.
Ben Gurion war entschlossen, die Gründung eines arabisch-palästinensischen Staates zu verhindern. Und mit der Hilfe König Abdullahs von Transjordanien gelang es ihm. Alle seine Nachfolger mit der möglichen Ausnahme von Yitzhak Rabin, sind dieser Linie gefolgt – jetzt mehr als zuvor. Wir haben gezahlt - und zahlen noch immer – einen schweren Preis für diese Torheit.
Am 64. Jahrestag dieses historischen Geschehens müssen wir zurück zu diesen Grundprinzipien gehen: Israel und Palästina, zwei Staaten für zwei Völker.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser