Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

  • Bild Interview Sternenjaeger.ch Copyright 2012 - sternenjaeger.ch

Archiv

Oct 27, 2012

Dürre in Texas


JEDER IN Israel kennt diese Geschichte. Als Levy Eshkol Ministerpräsident war, liefen seine Assistenten in Panik zu ihm: „Levy, es herrscht Dürre!“

 

„In Texas?“ fragte Eshkol ängstlich.

„Nein, in Israel!“ sagten sie.

 

„Dann macht es nichts,“ beruhigte sie Eshkol. „Wir können so viel Weizen, wie wir brauchen, von den Amerikanern bekommen.“

 

Das war vor etwa 50 Jahren. Seit damals hat sich nicht viel verändert. Deshalb sind die Wahlen in zehn Tagen in den USA wichtiger für uns als unsere eigenen Wahlen in drei

Monaten.



Dürre in Texas

 

Uri Avnery

 

JEDER IN Israel kennt diese Geschichte. Als Levy Eshkol Ministerpräsident war, liefen seine Assistenten in Panik zu ihm: „Levy, es herrscht  Dürre!“

 

„In Texas?“ fragte Eshkol ängstlich.

„Nein, in Israel!“ sagten sie.

 

„Dann macht es nichts,“ beruhigte sie Eshkol. „Wir können so viel Weizen, wie wir brauchen, von den Amerikanern bekommen.“

 

Das war vor etwa 50 Jahren. Seit damals hat sich nicht viel verändert. Deshalb  sind die Wahlen in zehn Tagen in den USA wichtiger für uns als unsere eigenen Wahlen in drei

Monaten.

 

 

ICH MUSSTE wieder bis 3 Uhr nachts aufbleiben, um die letzte Kandidaten-Debatte live zu verfolgen. Ich fürchtete, ich würde einschlafen, aber im Gegenteil, ich blieb wach.

 

Wenn zwei Schachspieler in ein Spiel vertieft sind, gibt es oft eine dritte Person – wir nennen sie  den „Kibitz“ – die hinter einem der Spieler steht und versucht, ihm unerbetenen Rat zu geben. Während der Debatte tue ich dasselbe. In meiner Phantasie stehe ich hinter Barack Obama und denke über die richtige Antwort an Romney nach, bevor Obama selbst den Mund auftut.

 

Ich muss zugeben, dass bei dieser Debatte Obamas Antworten ein paar mal viel besser waren als meine. Zum Beispiel fiel mir keine scharfe Antwort auf Romneys Vorwurf ein, dass die US jetzt weniger Kriegsschiffe haben als vor hundert Jahren. Obamas trockene  Entgegnung–  die US-Armee habe jetzt auch weniger Pferde, war glatt genial.  Besser hätte er nicht darauf antworten können. Wer hätte so eine dämliche Bemerkung voraussehen können?

 

Und dann versuchte Romney, Obama auch dafür herunterzuputzen, dass er bei seiner ersten Nahostreise als amerikanischer Präsident  Israel ausgelassen hatte. Wie soll man  solch einem Tatsachenargument  begegnen? – besonders, wenn Tausende von jüdischen Pensionären in Florida auf jedes Wort lauern?

 

Obama traf den richtigen Ton. Er konterte, dass Romney  Israel mit einem Gefolge von Sponsoren und Spendensammlern  besucht hatte (ohne dabei  Sheldon Adelson und die andern jüdischen Sponsoren mit Namen zu nennen) stattdessen habe er, Obama  als Kandidat Yad Vashem  besucht, um sich ein eigenes Bild  von dem  grausamen Unrecht zu machen, das  den Juden angetan wurde. Touche!

 

Bei einer anderen Gelegenheit dachte ich, ich hätte eine bessere Antwort. Zum Beispiel, als Romney versuchte, eine Erklärung für seine Behauptung zu finden, Russland  sei der bedeutendste „geo-politische Gegner“ der USA, hätte ich folgendermaßen reagiert: „Entschuldigen Sie meine   Unwissenheit, Herr Gouverneur, aber was bedeutet ‚geo-politisch’?“  In diesem Zusammenhang war es eine hochgestochene, aber bedeutungslose Phrase.

 

(„Geo-Politik“ ist nicht nur ein Ineinandergreifen von Geographie und Politik. Es ist ein Weltbild, das vom deutschen Professor Hans Haushofer und anderen propagiert und von Adolf Hitler als Begründung für seinen Plan benutzt wurde, für die Deutschen einen „Lebensraum“ zu schaffen, indem er die Bevölkerung Ost-Europas vernichtete oder vertrieb.)

 

Ich hätte an Obamas Stelle viel mehr über die Kriege gesprochen: Nixons Vietnam, die  beiden Irak-Kriege  von Bush-Vater und -Sohn, George W.s  Bush-Krieg in Afghanistan. Ich bemerkte, dass Obama nicht erwähnte, wie er von Anfang an gegen den Irak-Krieg war. Offenbar ist  ihm  davon abgeraten worden.

 

 

MAN MUSSTE kein Experte sein, um zu bemerken, dass Romney nicht einen einzigen eigenen  Gedanken vorbrachte.  Er plapperte wie ein Papagei Obamas Stellungsnahmen nach, indem er hier und dort ein paar Worte veränderte.

 

Am Anfang der Kampagne während der Vorwahlen  hatte es anders ausgesehen. Damals als er um die Stimmen des rechten Flügels  buhlte, war er nahe dran, den Iran zu bombardieren, China zu provozieren, gegen die Islamisten aller Schattierungen einen Krieg zu führen, vielleicht Osama bin Laden wieder zum Leben zu erwecken, um ihn noch einmal zu töten. Dieses Mal nichts von alle dem. Nur ein sanftes „Ich stimme dem Präsidenten zu!“

 

Warum? Weil man ihm gesagt hatte, das amerikanische Volk habe die Nase voll von Bushs Kriegen. Es wolle keine Kriege mehr. Nicht in Afghanistan  und ganz gewiss nicht im Iran. Kriege kosten eine Menge Geld. Außerdem können Menschen  getötet werden.

 

Vielleicht entschied Romney im voraus, er müsste nur vermeiden, wie ein Ignorant in außenpolitischen Angelegenheiten  auszusehen. Denn das Hauptschlachtfeld  liegt ja auf wirtschaftlichem Gebiet, wo er hoffen kann, überzeugender als Obama zu wirken. So spielte er auf Nummer sicher: „Ich stimme mit dem Präsident überein…“

 

 

DAS GANZE  Konzept einer Präsidentendebatte über auswärtige Angelegenheiten ist natürlich unsinnig.  Internationale Probleme sind bei weiten zu kompliziert, die Nuancen  viel  zu fein, um sich mit ihnen in grober Weise zu befassen.  Das ist, als wolle man eine Herzoperation mit der Axt ausführen.

 

Man konnte leicht den Eindruck gewinnen, die Welt sei ein amerikanischer Golfplatz, auf dem die US die Völker wie Bälle herumschlagen könnten und die einzige Frage die wäre, welcher Spieler geschickter  sei oder den besseren  Golfschläger habe. Wunsch und Wille der Völker selbst sind völlig irrelevant. Was empfinden die Chinesen, die Pakistani, die Ägypter?  Wen schert das ?!

 

Ich bin mir nicht sicher, ob die meisten amerikanischen Zuschauer  Tunis auf der Landkarte finden würden. Also ist es sinnlos, über die Kräfte zu argumentieren, die dort agieren, zwischen  Salafisten und Muslimbrüdern zu unterscheiden, und diese jenen vorzuziehen.  Und  das alles in vier Minuten.

 

Für Romney sind alle Muslime offensichtlich  gleich. Islamophobie ist  heutzutage in Mode, und für Romney war das klar. Ich habe schon früher  bemerkt, dass Islamophobie nichts anderes als der moderne Cousin des guten alten Antisemitismus’ ist, der aus demselben  Sumpf des kollektiven Unterbewusstseins stammt.  Er nutzt  dieselben alten Vorurteile  und  bringt den Muslimen all den Hass entgegen, der einst  gegen die Juden  gerichtet war.

 

Viele Juden, vor allem die Alten in den Pflegeheimen im warmen Florida,  freuen sich darüber, wie sich die Goyim jetzt auf andere Opfer stürzen. Und dass die neuen Opfer zufällig auch die Feinde des geliebten Israels sind, umso besser. Romney glaubt sicher, wenn er seinen Hass gegen „Islamisten“ richtet, so wäre dies der leichteste Weg, jüdische Stimmen zu sammeln.

 

Romney hat sich viel Mühe gegeben, wenigstens ein wenig härter als Obama auszusehen.  Schließlich hatte er tatsächlich eine originelle Idee: die syrischen Aufständischen mit „schweren Waffen“ zu versorgen. Was bedeutet das? Artillerie? Drohnen? Raketen?  OK , aber für wen? Für die guten Kerle natürlich. Man sollte vorsichtig sein, dass sie nicht in die Hände der  bösen Kerle fallen.

 

Was für eine glänzende Idee! Aber, kann mir bitte jemand sagen, wer die guten Kerle sind und wer die bösen? Offenbar weiß es niemand, am wenigsten der CIA oder der Mossad.  Dutzende von syrischen Fraktionen sind am Werk – regional, konfessionell, ideologisch. Alle wollen Assad töten. Wer also soll die Kanonen bekommen?

 

All dies macht eine ernsthafte Diskussion über den Nahen Osten,  jetzt eine Region unendlicher Nuancen  und Verschiedenheiten, ganz unmöglich. Obama, der eine Menge mehr über unsere Probleme kennt als sein Gegenüber, hielt es für klüger, den Einfaltspinsel zu spielen und äußerte nichts als  aufgeblasene Plattitüden.  Etwas anderes – zum Beispiel ein Konzept für einen – Gott bewahre  - israelisch-palästinensischen Frieden , hätte die lieben  Bewohner  just des einen Altersheims beleidigen können, deren Stimmen das Wahlergebnis  in Florida  entscheiden könnten.

 

 

JEDER ERNSTE Araber oder Israeli  wäre beleidigt gewesen  von der Art und Weise, in der unsere Region in dieser Debatte von zwei Männern traktiert wurde, von denen der eine bald unser Herr und Meister sein wird.

 

Israel wurde bei dieser Debatte 34 mal  erwähnt – 33mal mehr als Europa, 30 mal mehr als Südamerika, fünf mal mehr als Afghanistan, vier mal mehr als China. Nur der Iran wurde öfter  erwähnt – 45 mal – aber nur im Kontext der Gefahr, die er für Israel darstellt.

 

Israel ist Amerikas bedeutendster Verbündeter in der Region (oder in der Welt?) Wir Amerikaner werden es voll und ganz verteidigen. Wir werden ihm alle Waffen, die es benötigt (und nicht benötigt) liefern.

 

Wunderbar. Einfach wunderbar. Aber welches Israel genau? Das Israel der endlosen Besatzung?  Der unbegrenzten Siedlungserweiterungen?  Der totalen Verweigerung der Rechte der Palästinenser?  Der Flut von neuen anti-demokratischen Gesetzen?

 

Oder ein anderes liberales und demokratisches Israel, ein Israel, in dem alle Bürger die gleichen Rechte haben?, ein Israel, das dem Frieden nachjagt und den palästinensischen Staat anerkennt?

 

Aber nicht nur das, was nachgeplappert wurde, war interessant, sondern auch das,  was unausgesprochen blieb. Keine automatische Unterstützung eines israelischen Angriffs auf den Iran. Überhaupt kein Krieg gegen den Iran bis  zum St. Nimmerleinstag. Keine Wiederholung von Romneys früherer Erklärung, er würde die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Kein Pardon für Israels Spion Jonathan Pollard.

 

Und am wichtigsten: keinerlei Bemühung, um das immense Machtpotential der USA und seiner europäischen Verbündeten einzusetzen, um den israelisch-palästinensischen Frieden zu erreichen, obwohl alle mit der Zwei-Staaten-Lösung,  einverstanden sind, da sie  die einzige gangbare Lösung wäre. Keine Erwähnung der arabischen Friedensinitiative, die von 23 arabischen Staaten – darunter auch die von Islamisten regierten – immer noch angeboten wird.

 

China, die neu aufkommende Weltmacht, wurde fast mit Verachtung behandelt. „Denen“ muss gesagt werden, wie sie sich  zu benehmen haben. Sie müssen dies oder jenes tun, müssen  aufhören, ihre Währung zu manipulieren, müssen die Arbeitsplätze wieder nach Amerika zurückschicken.

 

Aber warum sollten die Chinesen irgendeine Notiz davon nehmen, solange China die Staatsschulden der USA kontrolliert? Egal, sie müssen tun, was Amerika wünscht. Washington „locuta, causa finita“ ( wie die Katholiken vor den Sex-Skandalen  zu sagen pflegten: „Rom hat gesprochen, der Fall ist erledigt“)

 

 

SO UNSERIÖS wie die Debatte war, so zeigte sie doch ein sehr ernstes Problem.

 

Die Franzosen pflegten zu sagen, der Krieg ist zu ernst, als dass man ihn den Generälen überlassen sollte. Die Weltpolitik ist gewiss eine zu ernste Sache, als dass man sie den Politikern überlassen könnte. Politiker werden vom Volk gewählt  -  und das Volk hat keine  Ahnung .

 

Es war offensichtlich, dass beide Kandidaten  jedwedes Detail  vermieden, das bei den Zuhörern nur das geringste Wissen voraussetzte. 1,5 Milliarden Muslime wurden angesehen, als gäbe es nur  zwei Kategorien  – „Moderate“ und „Islamisten“.  Israel ist ein einheitlicher Block, keine  Differenzierung!?. Was wissen die Zuschauer über 3000 Jahre persische Kultur?  Es stimmt, Romney wusste – ziemlich überraschend – was oder wo Mali ist. Die meisten  Zuschauer sicherlich nicht.

 

Aber genau diese Zuschauer müssen jetzt schließlich entscheiden, wer der Führer der größten  Militärmacht der Welt sein wird mit enormen Folgen für  jedermann.

 

Winston Churchill  sagte einmal: „Die Demokratie ist die schlechteste Form der Regierung, ausgenommen all die andern Formen, die man von Zeit zu Zeit versucht hat.“

 

Als Beweis könnte diese Fernsehdebatte dienen.

 

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Ulrike Vestring, vom Verfasser autorisiert)