Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Mar 2, 2013

Die Dritte Intifada


IST DIES die Dritte Intifada? Diese Frage wurde in dieser Woche von einer Anzahl israelischer Sicherheitsexperten gestellt. Und nicht nur von ihnen – ihre palästinensischen Kollegen waren  fast genauso perplex.
Überall in der Westbank warfen palästinensische Jugendliche Steine auf israelische Soldaten. Alle 3500 Palästinenser in israelischen Gefängnissen  nahmen teil an einem dreitägigen Hungerstreik.


Die Dritte Intifada

 

Uri Avnery

 

IST DIES die Dritte Intifada? Diese Frage wurde in dieser Woche von einer Anzahl israelischer Sicherheitsexperten gestellt. Und nicht nur von ihnen – ihre palästinensischen Kollegen waren fast genauso perplex.

Überall in der Westbank warfen palästinensische Jugendliche Steine auf israelische Soldaten. Alle 3500 Palästinenser in israelischen Gefängnissen nahmen teil an einem dreitägigen Hungerstreik.

Der unmittelbare Grund war der Tod eines 30jährigen Palästinensers während des Verhörs durch den Shin Bet. Es war kein Herzinfarkt, wie zunächst (und automatisch) von israelischen Verantwortlichen und ihren Handlangern, den sog. "militärischen Korrespondenten“, behauptet wurde. War es also Folter, wie praktisch alle Palästinenser glauben?

Dann gab es noch vier Gefangene im Hunger-Streik, der schon mehr als 150 Tage dauert, und der durch Infusionen gemildert wird. Da fast jede palästinensische Familie jetzt - oder in der Vergangenheit – mindestens ein Mitglied im Gefängnis hat oder hatte, bewirkt dies viel Aufregung.

Ist dies also eine Intifada?

 

DIE UNGEWISSHEIT der Sicherheitsleute hängt mit der Tatsache zusammen, dass beide Intifadas – die erste und die zweite - unerwartet ausbrachen. Die israelische und die palästinensische Führung wurden überrascht.

Die israelische Überraschung war besonders …. überraschend. Die Westbank und der Gazastreifen waren und sind noch immer voll Informanten des Shin Bet. Jahrzehnte von Besatzung haben es dem Sicherheitsdienst ermöglicht, Tausende von ihnen durch Bestechung und Erpressung zu rekrutieren. Wieso wussten sie denn nichts?

Die palästinensische Führung – damals in Tunis – hatte auch keine Ahnung. Yassir Arafat brauchte ein paar Tage, bis ihm klar wurde, was geschehen war, und lobte die „Kinder der Steine“.

Der Grund für die Überraschung war, beide Intifadas begannen völlig spontan. Keiner plante sie. Deshalb konnte kein Informant warnen.

Der Auslöser der ersten war ein Straßenunfall. Im Dezember 1987 tötete ein israelischer LKW-Fahrer mehrere palästinensische Arbeiter im Gazastreifen. Die Hölle brach los. Die zweite war 2000 nach der fehlgeschlagenen Camp David-Konferenz durch eine bewusste israelische Provokation verursacht worden.

Die israelische Armee war völlig unvorbereitet für die Erste Intifada. Der damalige Verteidigungsminister Yitzhak Rabin rief bekanntlich zum „Knochen brechen“ auf, was einige Kommandeure wörtlich nahmen und gewissenhaft ausführten. Eine Menge Arme und Beine wurden mit Gewehrkolben gebrochen.

Auch wenn die Zweite Intifada ebenso unerwartet kam, war die Armee dieses Mal für jeden Fall vorbereitet. Die Soldaten wurden im Voraus trainiert. Dieses Mal wurden keine Knochen gebrochen. Stattdessen stellten sich Scharfschützen neben die Abteilungs-Kommandeure. Wenn eine gewaltlose Demonstration sich näherte, zeigte der Offizier auf den Anführer und der Scharfschütze erschoss ihn. Sehr bald wurde der gewaltlose Aufstand zu einem sehr gewalttätigen.

Ich weiß nicht, was die Armee für eine dritte Intifada plant. Aber eines ist sicher: selbst wenn sie als gewaltfreier Massenprotest beginnt, wird es nicht lange so bleiben.

 

VOR ZWEI Wochen zeigte der israelische Fernsehkanal 10 eine Dokumentation über Ariel Sharons Manipulation der Zweiten Intifada.

Es begann damit, dass Ministerpräsident Ehud Barak dem Oppositionschef Sharon erlaubte, den Tempelberg zu besuchen und zwar, begleitet von Hunderten von Polizisten. Da Sharon ein Schweinefleisch essender Atheist war, lag dem Besuch kein religiöses Motiv zu Grunde. Es war reine Provokation.

Als Sharon sich der Al-Aqsa-Moschee näherte, wurde er mit Steinen „begrüßt. Die Polizei tötete die Steinewerfer mit scharfer Munition, und siehe da, die Zweite Intifada war auf dem Weg.

Arafat - weit weg in Tunis - hatte nichts damit zu tun. Aber nachdem die Intifada angefangen hatte, begrüßte er sie. Die lokale Fatah übernahm das Kommando.

Bald danach kam Sharon an die Macht. Er tat alles Mögliche, um die Feuer zu schüren. In dem Dokumentarfilm wurden seine nächsten Mitarbeiter lang und breit interviewt. Sie enthüllten die Tatsache, dass er dies ganz bewusst tat.

Sein Ziel war, einen allgemeinen Aufstand zu verursachen, um ihm einen legitimen Grund zu geben, die Westbank wieder zu erobern, nachdem die Oslo-Abkommen Teile davon der Palästinensischen Behörde übergeben hatten. Und tatsächlich lieferten eine große Anzahl von Selbstmordattentaten und anderer Gräueltaten die nötige nationale und internationale Rechtfertigung für die Operation „Defensive Shield“, bei der israelische Truppen alle Westbankstädte wieder besetzten und weithin Tod und Zerstörung verursachten. Besonders die Ämter der palästinensischen Behörde wurden systematisch zerstört, einschließlich des Bildungsministeriums, und das für Soziale Dienste. Arafat wurde in der Mukata’ah („Komplex“) eingekreist, isoliert und jahrelang als Gefangener gehalten, bis zu seiner Ermordung.

In dem Film gaben die Berater bereitwillig zu, dass Sharon gar nicht daran dachte, eine politische Initiative zu ergreifen, um die Intifada zu beenden – sein einziges Ziel war, den palästinensischen Widerstand mit brutaler Gewalt zu brechen. Während dieser Intifada wurden 4944 Palästinenser getötet und 1011 Israelis. (In der vorhergehenden Intifada fanden 1593 Palästinenser und 84 Israelis den Tod. )

Die Israelis glauben, Sharons brutale Methode sei ein großer Erfolg. Die Zweite Intifada kam langsam zum Stillstand.

 

WIRD ES eine Dritte Intifada geben? Wenn ja, wann? Hat sie schon begonnen, oder waren die Ereignisse der letzten Zeit nur eine Art Generalprobe?

Keiner weiß es, am wenigsten unsere Sicherheitskräfte. Es gibt keine verlässliche Information von den Agenten. Wieder ist alles spontan.

Eines ist sicher: Mahmoud Abbas, Arafats Nachfolger, hat große Angst davor. Er wartete ein paar Tage, und dann, als er sich sicher war, dass dies kein allgemeiner Aufstand war, befahl er, seinen amerikanisch trainierten Polizeikräften zu intervenieren und so den Demonstrationen ein Ende zu bereiten.

Er verurteilte sogar die Aufstände und klagte Benjamin Netanjahu an, er habe sie absichtlich geschürt.

Einer der Gründe für diesen Verdacht war, dass am Freitag die israelische Polizei junge Palästinenser nicht daran hinderte, den Tempelberg („Haram al-Sharif“) zu erreichen, wie sie es häufig tun, wenn der leiseste Verdacht für eine bevorstehende Unruhe besteht.

Ich stellte die Frage in einem Kreis von Freunden: Nehmen wir einen Augenblick an, dass Abbas recht hatte, was könnte Netanjahus Motiv gewesen sein?

Einer antwortete: Er ist besorgt darüber, dass Barack Obama bei seinem bevorstehenden Besuch in Jerusalem die Wiederaufnahme des „Friedensprozesses“ fordern könnte. Netanjahu wird ihm sagen, dies sei mit der Aussicht auf eine neue Intifada unmöglich.

Ein anderer sagte: Netanjahu wird dem Präsidenten sagen, Abbas habe seine Autorität verloren und deshalb kein brauchbarer Partner sei.

Und ein dritter: Netanjahu wird der israelischen Öffentlichkeit sagen, wir ständen vor einer Notlage und es müsste sofort eine Regierung der nationalen Einheit errichtet werden. Alle zionistischen Parteien müssten von ihren Wählern dahin gebracht werden, sich zu vereinen. u.s.w.

SEI ES, wie es sei, die relevante Frage ist, ob ein spontaner Ausbruch in Sicht ist.

Offen gesagt, ich weiß es nicht. Ich zweifle, ob es jemand anders weiß.

Das Nicht-Vorhandensein einer echten Friedensinitiative macht an einem gewissen Punkt eine weitere Intifada wahrscheinlich. Wie lange kann die harte Besatzung ohne eine ernste Herausforderung andauern?

Andrerseits scheint es nicht so, als ob die große Masse des palästinensischen Volkes psychisch auf einen Kampf vorbereitet wäre. In den besetzten Gebieten der Westbank hat sich eine neue Bourgeoisie hoch gearbeitet, die eine Menge zu verlieren hat. Unter der Schirmherrschaft der US ist es dem palästinensischen Ministerpräsident Salam Fayad gelungen, eine Wirtschaftsblüte ins Leben zu rufen, von der viele profitieren.

Die Aussicht auf noch eine Runde Gewalt sagt diesen Leuten nicht zu, noch zieht es arme Leute an, die mit dem täglichen Überlebenskampf schon voll beschäftigt sind. Um diese Menschen zu einem Aufstand zu bringen, ist ein extrem provokatives Ereignis nötig. Dies kann schon morgen früh geschehen oder innerhalb Wochen oder Monaten – oder überhaupt nicht.

Abbas klagt Hamas an, die Unruhe in der Westbank zu schüren, die von der Fatah beherrscht wird, während Hamas selbst gleichzeitig die Feuerpause in seinem eigenen Herrschaftsbereich, dem Gazastreifen, einhält. Tatsächlich sind beide Regime – jedes in seinem Bereich Palästinas – an Ruhe interessiert, während sie einander der Kollaboration mit der Besatzung bezichtigen.

(Vor 150 Jahren denunzierte Karl Marx die Bemühungen seines sozialistischen Gegners Ferdinand Lassalle, eine Arbeiter-Kooperative aufzubauen. Marx behauptete, wenn die Arbeiter etwas zu verlieren haben, werden sie keine Revolution mehr machen. Wenn man eine Revolution will, „dann je schlimmer die Situation umso besser“, soll Lenin gesagt haben).

JE MEHR Leute auf beiden Seiten über die dritte Intifada reden, umso unwahrscheinlicher ist es, dass sie geschieht. Wie die Deutschen zu sagen pflegten: Vorausgesagte Revolutionen ereignen sich nicht.

Aber wenn kein Ende der Besatzung abzusehen ist, wird eines Tages die Dritte Intifada ausbrechen, ganz plötzlich, wenn keiner darüber geredet hat, wenn jeder auf beiden Seiten an ganz andere Dinge denkt.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)