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Können zwei zusammengehen?
Solch eine Rede wird Israels Popularität im Weißen Haus nicht gerade vermehren – um es milde auszudrücken.
Uri Avnery
ICH SAGE nicht, dass Mahmoud Achmadinejad ein Agent des Mossad sei.
Absolut nicht. Ich will nicht wegen Verleumdung gerichtlich belangt werden.
Ich sage nur, wenn er ein Agent des Mossad wäre, hätte er sich kaum anders verhalten.
Und: wenn es ihn nicht geben würde, dann hätte der Mossad ihn erfinden müssen.
Auf jeden Fall ist die Unterstützung, die er der Regierung Israels gibt, von unschätzbarem Wert.
SCHAUEN WIR auf den Skandal der letzten Woche.
Vor Jahren wurde von der UN in Durban, Südafrika, eine Konferenz gegen Rassismus abgehalten. Es war verständlich, dass solch ein Forum u.a. die israelische Regierung für ihre Politik gegen die Palästinenser – die Besatzung, die Siedlungen, die Mauer - denunzieren würde.
Aber die Konferenz war damit noch nicht zufrieden. Sie wurde zu einer Plattform für eine wilde Hetze gegen den Staat Israel – und ausschließlich gegen ihn. Kein anderer Staat der Welt wurde wegen Verletzung der Menschenrechte denunziert – und unter den Denunzianten waren einige der widerlichsten Tyrannen der Welt.
Als die Vorbereitungen für eine zweite ‚Durban-Konferenz’ – dieses Mal in Genf – anliefen, tat die israelische Regierung alles, was in ihrer Macht stand, um wenigstens die Länder Nordamerikas und Europas davon zu überzeugen, sie zu boykottieren. Das war nicht so einfach. Es gelang den USA vor Beginn der Konferenz die Erwähnung Israels im Entwurf seiner Abschlussresolution zu löschen (es blieb nur ein Verweis auf die Resolutionen der 1. Konferenz) und am Ende entschieden sie, die Konferenz doch zu boykottieren. Aber die meisten europäischen Länder waren damit einverstanden, an ihr teilzunehmen.
Die israelische Regierung erwartete die Konferenz mit großer Besorgnis. Die Gräueltaten während des Gazakrieges haben die öffentliche Meinung gegenüber Israel in vielen Ländern zu Ablehnung werden lassen. Die Konferenz konnte ein Ventil für diese Emotionen werden. Die intelligentesten Köpfe in Jerusalem versuchten Wege zu finden, um dies zu verhindern.
Und dann kam Achmadinejad. Da er das einzige Staatsoberhaupt war, das an der Konferenz teilnahm, konnten die Organisatoren es nicht verhindern, dass er als erster sprach. Er hielt eine provokative Rede. Es genügte ihm nicht, Israel zu kritisieren, seine Worte drückten hemmungslosen Hass aus. Dies war ein willkommener Vorwand für die europäischen Vertreter, aufzustehen, um in einer eindrucksvollen Pro-Israel-Demonstration hinauszugehen. Die Konferenz wurde lächerlich.
Wenn die ‚Weisen von Zion’ die Konferenz geplant hätten, sie hätte nicht besser enden können, soweit es die israelische Regierung betraf.
ALL DIES geschah am Holocausttag, wenn Juden in Israel und in aller Welt der Millionen Opfer des Genozids gedenken.
Die Erinnerung an den Holocaust vereinigt alle Juden in der Welt. Jeder Jude weiß, wenn die Nazis ihn erreicht hätten, dann hätte auch er in die Todeslager gehen müssen. Wir, die wir damals in Palästina lebten, wussten, dass wir das Schicksal des Warschauer Ghettos geteilt hätten, wenn es dem deutschen General Erwin Rommel gelungen wäre, die britischen Linien bei El-Alamein zu durchbrechen.
Alle Juden empfinden, es sei ihre moralische Pflicht, das Gedächtnis an den Holocaust wach zu halten. Diesem tiefen Empfinden wird eine politische Sichtweise hinzugefügt: das Gedenken an den Holocaust veranlasst Juden überall, den Staat Israel zu unterstützen, der sich selbst als ‚Staat der Shoa-Überlebenden’ definiert.
Aber mit der Zeit verblasst die Erinnerung. Deshalb ist ein gegenwärtiger, aktueller Feind, ein ‚zweiter Hitler’ nötig, der alle latenten Ängste, die in der jüdischen Seele lauern, neu weckt. Einst war es Gamal Abd-al-Nasser, ‚der ägyptische Tyrann’. Dann spielte Yasser Arafat diese Rolle. Heute ist es die Hamas, aber dies genügt nicht. Es gibt nichts, das jemanden überzeugen würde, dass die Hamas Israel möglicherweise auslöschen könnte.
Achmadinejad ist der ideale Ersatz. Er ist ein konsequenter Holocaustleugner. Er erklärt, die „zionistische Entität“ müsste von der Landkarte verschwinden. Er arbeitet an der Herstellung einer Atombombe. Und dies ist ernst zu nehmen; denn ein paar Atombomben auf israelische Bevölkerungszentren könnten Israel tatsächlich auslöschen.
Also haben wir einen ‚zweiten Hitler’, der einen ‚zweiten Holocaust’ plant. Gegen ihn können sich alle Juden der Welt vereinigen. Was würden wir ohne ihn tun?
DIE VERMUTLICHE iranische Atombombe spielt noch eine andere Rolle. Sie dient jetzt als Instrument dafür, dass das palästinensische Problem in Vergessenheit gerät.
Im nächsten Monat wird sich Netanyahu selbst im Weißen Haus vorstellen. Das könnte ein schicksalhaftes Treffen werden. Präsident Barack Obama könnte eine klare Forderung stellen: mit einem Friedensprozess zu beginnen, der zur Schaffung eines palästinensischen Staates führt. Netanyahu wird sich verzweifelt darum bemühen, dies zu verhindern; denn Frieden würde die Evakuierung der Siedlungen bedeuten. Wenn er damit einverstanden wäre, würde seine Koalition sofort aus einander fallen.
Was kann man da tun? Nun - Gott sei Dank - gibt es die iranische Bombe. Sie stellt eine existentielle Bedrohung für Israel dar. Es ist selbstverständlich, dass der israelische Ministerpräsident sich auch nicht mit Bagatellen wie dem Frieden mit den Palästinensern abgeben kann, wenn das iranische nukleare Schwert über seinem Kopfe schwebt!
Netanyahus Vorgänger wandten genau diesen Trick auch an. Wann auch immer jemand die Sache mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt vorbrachte und von unserer Regierung verlangte, mit wirklichen Verhandlungen zu beginnen, den Siedlungsbau einzufrieren, Außenposten aufzulösen, Gefangene zu entlassen, die Blockade der Bevölkerung des Gazastreifens zu beenden, die Straßensperren zu entfernen – dann erschien die iranische Bombe ex machina. Nun gab es keine Zeit mehr, um an anderes zu denken. Die Bombe steht oben auf unserer Agenda. Die Bombe ist unsere Agenda.
Eine Menge Ironie steckt in all diesem. Der Iran war am wenigsten an der Misere der Palästinenser interessiert. Auch Achmadinejad kümmert sich einen Dreck um sie. Wie alle nahöstlichen Regierungen benützt er die palästinensische Sache, um eigene Interessen voran zu bringen. Jetzt will er die sunnitisch-arabische Welt durchdringen, um den Iran zu einer regionalen Vormachtstellung zu verhelfen. Zu diesem Zwecke erhebt er das Banner für den palästinensischen Widerstand. Aber bisher ist es ihm nur gelungen, die sunnitisch arabischen Regime in die Arme Israels zu treiben.
ACHMADINEJADS begeistertste Anhänger sitzen im Verteidigungsministerium in Tel Aviv. Was würden sie ohne ihn anfangen?
Jedes Jahr bricht aufs Neue der Kampf um das Verteidigungsbudget aus. In diesem Jahr in Anbetracht der Weltwirtschaftskrise wird die Debatte noch viel erbitterter sein. Das kleine Israel hat eines der größten und teuersten Militärapparate der Welt. Im Verhältnis zum GNP (Bruttoinlandsprodukt) übertrumpfen wir leicht die USA, und erst recht Europa.
Muss man fragen warum? Israel ist von Feinden umgeben, die uns alle zerstören wollen. Ägypten ist zwar jetzt der loyalste Kollaborateur Israels und der Irak hat zunächst die Bühne verlassen. Syrien hat schon lange aufgehört, eine Bedrohung zu sein; Jordanien ist bescheiden, die palästinensische Behörde tanzt nach unserer Pfeife. Es ist schwierig, so ein riesiges Verteidigungsbudget zu rechtfertigen, um gegen die kleine Hisbollah und die winzige Hamas zu kämpfen.
Aber da ist noch der Iran, Gott sei Dank. Und da gibt es die furchterregende iranische Bombe. Hier ist ehrlich eine existentielle Gefahr. Unsere Luftwaffe erklärt, sie sei täglich, nein, jede Minute bereit, loszufliegen, um all die vielen iranischen Atomanlagen zu vernichten.
Dafür benötigt sie Geld, eine Menge Geld. Sie braucht die modernsten, am weitesten entwickelten Flugzeuge der Welt, von denen jedes viele, viele Millionen kostet. Sie benötigt die entsprechende Ausrüstung, um die Ziele zu erreichen und um die Aufgabe zu erfüllen. Das ist wichtiger als Bildung, Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen. Schließlich ist es die iranische Bombe, die uns alle tötet, einschließlich der Kinder, der Kranken und der Unterprivilegierten. (Den Wirtschaftsbossen mag es noch gelingen, rechtzeitig wegzukommen.)
Das Budget wird wohl genehmigt werden, aber die Flieger werden nicht fliegen. Es ist nicht klar, ob solch ein Angriff überhaupt machbar ist. Es ist auch nicht klar, ob dies die Produktion der Bombe bedeutend beeinträchtigen würde. Aber klar ist, dass solch ein Angriff politisch nicht möglich ist: er kann ohne die ausdrückliche Genehmigung der USA nicht ausgeführt werden, und dafür gibt es keine Chance. Der Angriff würde fast automatisch die Schließung der Hormuz-Meeresstraße zur Folge haben, durch die alles Öl des Golfs verschifft wird. Dies wäre katastrophal, besonders während einer Wirtschaftskrise, wenn ein enorm gestiegener Ölpreis die so schon geschwächte Wirtschaft weiter beeinträchtigt. Unsere kühnen Piloten werden damit zufrieden sein müssen, die Wohngebiete im Gazastreifen zu bombardieren.
ES KÖNNTE behauptet werden: wenn Achmadinejad sich wie ein Mossad-Agent verhält, dann verhält sich Avigdor Lieberman wie ein Agent des iranischen Geheimdienstes.
Das sage ich - Gott bewahre - nicht. Ich will wirklich nicht wegen Verleumdung gerichtlich belangt werden.
Aber Liebermans Verhalten ist tatsächlich – wie soll man sagen – etwas seltsam.
Er sah zwar für einen Augenblick wie ein Gewinner aus. Nachdem er Hosny Mubarak zur Hölle gewünscht hat, berichten die israelischen Medien, dass der wichtigste ägyptische Minister sich mit ihm getroffen, seine Hand geschüttelt und ihn nach Ägypten eingeladen habe. Vielleicht wollte er ihm den Assuanstaudamm zeigen, den Lieberman einst zu bombardieren wünschte. Aber am nächsten Tag reagierte ein wütender Mubarak und leugnete die ganze Geschichte und erklärte, dass es Lieberman nicht erlaubt sei, seinen Fuß auf ägyptischen Boden zu setzen.
Mittlerweile veröffentliche eine bedeutende russische Zeitung ein Interview mit Lieberman, in dem er behauptete, dass ‚die USA alle unsere Entscheidungen akzeptieren’. Das würde bedeuten: wir beherrschen Amerika; Obama wird das tun, was wir ihm sagen.
Solch eine Rede wird Israels Popularität im Weißen Haus nicht gerade vermehren – um es milde auszudrücken. Besonders jetzt, nachdem bekannt wurde, dass die Israel-Lobby, die AIPAC, eine Kongressabgeordnete angefragt hat, zugunsten von zwei amerikanischen Juden zu intervenieren, die wegen Spionage für Israel angeklagt wurden. Dafür – so versprach die AIPAC – würde man die Kongressabgeordnete zur Vorsitzenden eines sehr wichtigen Komitees ernennen. Wie? Sehr einfach: AIPAC wird der Mehrheitsführerin des Kongresses sagen, dass wenn sie dem Wunsch nicht entspricht, ein gewisser jüdischer Milliardär aufhören würde, ihren Wahlfond zu unterstützen. Das ist keine angenehme Enthüllung.
Kurz gesagt: der iranische Achmadinejad und der israelische Lieberman sind wie siamesische Zwillinge. Der eine braucht den anderen. Lieberman reitet auf der iranischen Bedrohung, Achmadinejad reitet auf den israelischen Bedrohungen.
‚Können denn zwei mit einander gehen, sie seien denn einig untereinander?’ fragt der Prophet Amos (3,3). Die Antwort lautet: Ja, tatsächlich. Diese zwei können sehr wohl zusammengehen, ohne mit einander in irgend etwas überein zu stimmen.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)