Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Archiv

Aug 3, 2013

Ein Bürgerkrieg?


Zur Zeit ist es üblich, zu sagen: „Die Zwei Staaten-Lösung ist tot“, oder: „Die Zeit für eine Zwei-Staaten-Lösung läuft aus.“

 

Warum tot? Wie tot? Das gehört zu dem, was keinen Beweis braucht. Die Aussage macht es.

 

Bedrängt man jedoch diejenigen, die nicht um die Zwei-Staaten-Lösung trauern, geben sie als Begründung an: „Es gibt zu viele Siedler in der Westbank und Jerusalem. Sie können nicht umgesiedelt werden. Das ist zu problematisch.“

 

Stimmt das?



Zwei Beispiele werden angeführt: die Beseitigung der Siedlungen im Norden des Sinai auf Befehl Menachem Begins nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages mit Ägypten und die Räumung der Siedlungen im Gazastreifen auf Befehl von Ariel Sharon.

 

Wie furchtbar diese waren! Erinnern Sie sich noch an die herzzereißenden Szenen im Fernsehen, die weinenden Soldatinnen, die die Siedlermädels forttrugen, an die Auschwitz-Pyjamas mit dem gelben Stern, die die Siedler getragen haben, an das Stürmen der Hausdächer, an die Rabbis mit ihren Torarollen, die in den Synagogen unisono weinten.

 

All das nur wegen einer Handvoll Siedlungen. Was geschieht wohl, wenn eine halbe Million Menschen fortgeschafft werden müssen? Entsetzlich! Undenkbar!

 

Nonsens.

 

In Wirklichkeit war der Abtransport der Siedler aus dem Gazastreifen nichts als eine gut inszenierte Tragikomödie. Niemand wurde getötet. Niemand wurde ernsthaft verletzt. Niemand beging Selbstmord. Nachdem sie ihre zugeteilten Rollen gespielt hatten, zogen alle Siedler ab. Lediglich eine Handvoll Soldaten und Polizeibeamter haben sich den Befehlen widersetzt. Die meisten Soldaten führten die Befehle der demokratisch gewählten Regierung aus.

 

Wird das Gleiche nochmals geschehen? Nicht unbedingt. Westbank-Siedler von den Bergkuppen im Herzen des biblischen „Großisraels“ zu entfernen, ist etwas Anderes.

 

Lassen Sie uns das aus nächster Nähe betrachten.

 

Die erste Planungsphase ist, das Problem zu analysieren. Wer sind die Siedler, die umgesiedelt werden müssen?

 

Nun, vor allem bilden sie keine homogene monolithische Kraft. Wenn man von „den Siedlern“ spricht, hat man eine Menge halbbesessener religiöser Fanatiker vor Augen, die jeden Moment den Messias erwarten und bereit sind, jeden zu erschießen, der sich ihnen nähert, um sie aus ihren Festungen zu vertreiben.

 

Das ist pure Einbildung.

 

Natürlich gibt es auch solche Siedler. Sie bilden den harten Kern. Das sind diejenigen, die man im Fernsehen sieht, diejenigen, die in palästinensischen Dörfern Moscheen in Brand setzen, diejenigen, die palästinensische Bauern auf ihren Feldern angreifen, diejenigen, die Olivenbäume ausreißen. Sie haben lange Haare, Seitenlocken, tragen die obligatorische Kleidung mit den Fransen unter oder über ihren Hemden, tanzen ihre skurrilen Tänze. Sie sind vollkommen anders als gewöhnliche Israelis.

 

Fast alle dieser Juden sind neugeboren (in Hebräisch heißt es: „ Jene, die sich zurückbegeben in Reue“) und werden von den wahren orthodoxen Juden, die ihre Töchter nicht mit ihnen verheiraten würden, zutiefst verachtet. Aber sie bilden nur eine winzig kleine Minderheit.

 

Viel bedeutender ist der sogenannte „national-religiöse“ Kern, die tatsächliche Führung des Siedlungsunternehmens. Sie glauben, dass Gott uns dieses Land - und zwar das gesamte Land - gegeben hat, und viele von ihnen glauben, dass Gott ihnen auch befohlen hat, das Land zwischen dem Meer und dem Fluss (dem Mittelmeer und dem Jordan) von Nicht-Juden zu säubern. Einige von ihnen glauben, sowieso, Nicht-Juden seien keine vollkommenen Menschen, sondern etwas zwischen Mensch und Tier, wie von der Kabbala behauptet wird.

 

Diese Gruppe hat eine ungeheure politische Macht. Sie hat die sukzessiven Regierungen aus allen Parteien dazu gebracht, sie manchmal widerwillig, manchmal mehr als bereitwillig, dort zu plazieren, wo sie (nun) ist.

 

Diese Siedler leben in kleineren Siedlungen konzentriert, die über die gesamten besetzten Gebiete verstreut sind. Sie sind in die Armee und in den Regierungsapparat infiltiert und schüchtern die Politiker ein. Ihre Partei ist die „Jewish Home“ (Jüdische Heimat), deren Vorsitz Naftali Benett, der „Bruder“ von Ja'ir Lapid, hat, ebenso haben sie jedoch auch enge Beziehungen zu der aufstrebenden jungen Führung des Likud und zu dem Gefolge Liebermanns.

 

Jede Regierung, die Frieden schafft, muss sich mit ihnen auseinandersetzen. Sie bilden jedoch eine Minderheit unter den Siedlern.

 

Die meisten Siedler hören darauf weniger. Sie sind in den Siedlungsblocks konzentriert, die sich einige Kilometer in den besetzten Gebieten entlang der Grünen Linie aneinanderreihen.

 

Sie werden „Lebensqualität-Siedler“ genannt, weil sie dorthin gezogen sind, um die klare Luft und die pitoreske Aussicht auf die muslemischen Minarets auf den benachbarten Hügeln zu genießen, jedoch hauptsächlich, um ihre Traumvillas mit den roten Schweizer-Ziegeldächern fast geschenkt zu bekommen. Sie konnten nicht davon träumen, diese jemals im eigentlichen Israel zu erwerben.

 

Eine Kategorie an für sich selbst sind die Orthodoxen. Ihr riesiges, natürliches Wachstum drängt sie aus ihren Städten und Wohngebieten im eigentlichen Israel und sie benötigen dringend neue Unterkünfte, die ihnen die Regierung nur allzu gerne bereitstellt – in den besetzten Gebieten. Sie haben dort bereits mehrere Städte (gegründet), eine von ihnen ist Modi'in Illit, die Grenzstadt, die auf den Ländereien von Bil'in, liegt, dem Dorf, das einen tapferen (gewaltlosen) Kampf führt, um diese zurückzubekommen.

 

In Ostjerusalem sind die Siedlungen eine völlig andere Geschichte. Die hunderttausenden israelischen Juden, die in den neuen Wohngebieten dort leben, halten sich selbst keineswegs für Siedler, sie haben alles, was die Grüne Linie betrifft, vergessen. Tatsächlich sind sie ziemlich überrascht, wenn man sie daran erinnert. Sie mag nur ein paar Häuserblöcke entfernt sein.

 

All diese Kategorien – und die vielen Unter-Kategorien – müssen separat behandelt werden. Für jede gibt es eine unterschiedliche Lösung.

 

Nehmen wir der Diskussion wegen an, in neun Monaten würde der Traum von Kerry wahr werden. Es würde einen unterzeichneten Friedensvertrag geben, der alle Probleme löst, einschließlich eines vereinbarten Zeitplans für dessen Umsetzung.

 

Nehmen wir weiterhin an, dieser Vertrag würde von einer breiten Mehrheit in einem israelischen Referendum (und auch in einem palästinensischen) bewilligt. Das gäbe unserer Regierung die politische und moralische Macht, das Siedlungsproblem zu bewältigen.

 

Für die Jerusalemiten hatte Bill Clinton eine einfache Antwort: Lass sie dort, wo sie sind. Zeichne die Karte von Jerusalem neu, so dass „was Jüdisch ist, ein Teil Israels -, was Arabisch ist, ein Teil Palästinas ist.“

 

Unter Berücksichtigung der immensen Schwierigkeit, das Omelett dahingehend auseinanderzupflücken, hat es seine Reize, besonders, wenn den Palästinensern die vollständige Souveränität über den Tempelberg und die Altstadt zurückgegeben wird (und die Westmauer mit dem jüdischen Viertel in Israel bliebe).

 

Für die großen Siedlungsblocks ist die Lösung mehr oder weniger bereits vereinbart: ein Gebietstausch.

Die Siedlungen, die hart an der Grenze sind, werden von Israel annektiert, (im Gegenzug) wird ein gleich großes israelisches ( eventuell jedoch nicht gleichwertiges) Gebiet an Palästina übergeben.

 

Das könnte nicht so einfach sein, wie es klingt. Nur die Siedlungen, oder auch das Gebiet um sie herum oder zwischen ihnen, annektieren? Und, was ist mit Ariel, der „Hauptstadt der Siedler“, die 20 km in der Westbank liegt? Ein Korridor? Eine Enklave? Und Ma'alah Adumim, das, wenn es dem jüdischen Teil Jerusalems angegliedert würde, die Westbank in zwei Teile teilen würde. Es gibt viel zu diskutieren.

 

Die „Lebensqualität“-Siedler müssen ausgezahlt werden. Das ist eine simple Frage des Geldes. Geben Sie jedem von ihnen ein gleichwertiges oder sogar besseres Appartement in der Nähe von Tel Aviv und die meisten von ihnen werden sich darauf stürzen. Tatsächlich ergaben einige Umfragen, dass eine ziemlich große Anzahl von ihnen sogar heute umziehen würde, wenn ihnen ein solches Angebot unterbreitet würde. (Wir schlugen das Yitzhak Rabin vor, aber er lehnte es ab.)

 

Bleibt noch der harte Kern der Siedler übrig, die „Ideologischen“, die Gott dienen, indem sie auf gestohlenem Land leben. Was ist mit denen?

 

Die einfachste Lösung wurde von Charles de Gaulle vorgeschlagen. Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages, der der Besetzung Algeriens nach Hunderten von Jahren ein Ende setzte, kündigte er an, dass die französische Armee das Land an einem bestimmten Datum verlassen werde. Er sagte zu mehr als einer Million Siedlern , viele von ihnen bereits in der vierten oder fünften Generation: Wenn ihr fortgehen wollt, geht fort. Wollt ihr bleiben, so bleibt. Das Ergebnis war ein wilder Massenexodus in letzter Minute von historischem Ausmaß.

 

Ich kann mir keinen israelischen Führer vorstellen, der kühn genug ist, diesem Beispiel zu folgen. Noch nicht einmal Sharon, ein rücksichtsloser Mensch, ohne Mitgefühl, wagte es.

 

Natürlich könnte die israelische Regierung diesen Siedlern sagen: „Wenn ihr euch mit der palästinensischen Regierung arrangiert, könnt ihr bleiben, so wie es palästinensische Bürger (oder sogar israelische Bürger) tun.“

 

Einige naive Israelis sagen: „Warum nicht? Es gibt anderthalb Millionen arabische Bürger in Israel? Weshalb können keine hunderttausend Israelis in Palästina sein?“

 

Unwahrscheinlich. Die Araber in Israel leben auf ihrem eigenen Gebiet, das ihnen seit Jahrhunderten gehört. Die Siedler leben auf „ enteignetem“ Gebiet und sie haben mit Recht den Hass ihrer Nachbarn geerntet. Ich sehe keine Möglichkeit, wie eine palästinensische Regierung dies genehmigen könnte.

 

Verbleibt noch der harte Kern vom harten Kern. Jene, die die Siedlungen nicht gewaltlos räumen würden. Man wird sie mit Gewalt fortschaffen müssen auf Befehl einer starken Regierung, die von dem Großteil der Bevölkerung, deren Meinung in einem Referendum ermittelt wurde, unterstützt wird.

 

Ein Bürgerkrieg? Nicht wirklich. Nicht wie der amerikanische Bürgerkrieg, noch wie der gegenwärtige syrische. Aber trotzdem ein harter, gewalttätiger, brutaler Kampf, in dem Blut vergossen werden wird.

 

Erwarte ich das? Sicherlich nicht. Erschreckt es mich? Ja, das tut es. Denke ich, dass wir deshalb die Zukunft Israels, den Frieden, die Zwei-Staaten-Lösung, die einzige Lösung, die es gibt, aufgeben sollten?

 

Nein.

 

 

(ins Deutsche übersetzt v. Inga Gelsdorf, i.A. v. Ellen Rohlfs/Uri Avnery)