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Die Feuersäule, die dem Friedenslager vorausging
Barbra Streisand wird nicht für ihn singen und Bill Clinton wird nicht kommen. Er wird nicht einmal den Israel-Preis für Journalismus erhalten. Aber Uri Avnery braucht dies alles nicht. Er hat auch so seine Spuren hinterlassen.
Letzte Woche schrieb er in seiner Kolumne : “Was ist am Giftgas so besonders, dass hier die rote Linie liegt? Es ist keine Massenvernichtungswaffe und es ist keine entscheidende Waffe … armer Obama”.
Avnery hat bereits das beste Geschenk erhalten, das jemand in seinem Alters bekommen kann: Er ist so relevant, wie eh und je.
Israel konsumiert Medien, die er mit erschaffen hat. Unser Hebräisch enthält etliche Ausdrücke, die er erfunden hat. Wir beschäftigen uns mit Fragen, die er als erster gestellt hat – und die einzige politisch-diplomatische Vision, die wir haben, wenn wir überhaupt noch eine haben, ist die seine.
Er hat dem Propaganda-Journalismus das Rückgrat gebrochen. Noch bevor Journalismus-Akademien und PR-Agenturen in Mode kamen, gab es in Israel zwei Schulen für angehende Journalisten: Avnerys Wochenmagazin Ha’olam Hazeh, und das Armee-Radio. In der ersten Schule wurden Journalisten erzogen, in der zweiten bestochen.
Man muss sich nur an die langen Schlangen vor den Zeitungsständen erinnern, oder an die Menschenmengen, die sich jeden Dienstagabend vor dem Café Kassit, dem damaligen Intellektuellentreffpunkt von Tel Aviv, und am nächsten Morgen im Lesesaal der Knesset versammelten, um zu erkennen, welche Wirkung er hatte. Es genügt, daran zu erinnern, was für einen Krieg Isser Harel und sein Shin-Bet (Sicherheitsdienst) gegen ihn entfacht haben. Es genügt, daran zu erinnern, welche Art von Journalismus wir hier hatten in der Blütezeit der Selbstzensur, mit den Lügen über Qibiyeh und den Fälschungen über Kafr Qasem, um zu verstehen, dass es hier, ohne Ha’olam Hazeh, keinen Journalismus gegeben hätte.
Die Wochenzeitung spielte auch eine entscheidende Rolle in Haaretz – der einzigen echten Zeitung, die hier noch übrig ist, geschmiedet durch den legendären Herausgeber Gershom Schocken, der mit einer Reihe von leitenden Journalisten aus Ha’olam Hazeh seine Tageszeitung bestückte.
Doch die Geschichte hat für Avnery nicht nur als Journalist und Herausgeber einen Platz reserviert. In erster Linie hat sich Avnery als Staatsmann und Prophet verdient gemacht.
Der Kämpfer aus der legendären Einheit “Samsons Füchse”, der zum Unabhängigkeitskrieg Bücher wie “In den Feldern der Philister” und anschließend “Die andere Seite der Medaille” schrieb, war und ist ein echter Zionist. Seine zweibändige Autobiographie, die er gerade schreibt, wird gewiss eine wahre Biographie des Staates sein.
Avnery war einer der ersten, der die Worte aussprach, die heute jeder vor sich hinmurmelt: “Zwei Staaten für zwei Völker”. Gemeinsam mit Yeshayahu Leibowitz und der sozialistischen Organisation “Matzpen”, war er die Feuersäule, die vor dem Camp her ging. Er wurde beschimpft und denunziert, verflucht und beleidigt. Er überlebte zwei Mordanschläge – doch Israel kniete nie vor ihm nieder, um ihn um Verzeihung bitten, oder ihm zumindest zu danken.
Er unterstützte die Rebellion der streikenden Matrosen, lange bevor noch jemand von “sozialer Gerechtigkeit” sprach. Er unterstützte die israelische Version der Black Panthers, lange bevor jemand die “ethnische Vielfalt” begrüßte.
Er bekämpfte die Korruption in der sozialdemokratischen Mapai, lange bevor jemand über den Zusammenhang zwischen Geld und großer Macht nachdachte. Er schrieb schon über Nachtleben und Prominente, das hebräische Wort für die Prominenz – yeduanim – erfand er, lange bevor hier die Promi-Kultur Einzug hielt.
Er traf sich auch mit dem Chef der Palestine Liberation Organization, Jassir Arafat, lange bevor jemand auf die Idee kam, mit der PLO zu sprechen, als Arafat noch als Menschheitsfeind Nummer 1 galt.
Es ist leicht, sich vorzustellen, wie der Staat Israel heute aussähe, wäre er dem Leitstern dieses Propheten gefolgt. Und umso frustrierender ist es zu erkennen, dass Israel ihn nicht beachtet hat. Ein Prophet?
Avnery würde bei dem Wort das Gesicht verziehen, er war nie ein Mann für feine Worte, Pathos und Emotion. Vielmehr ist er ein Mann der einfachen, scharfen und kühlen Rede. Lesen Sie seine Analysen von vor Jahrzehnten oder von heute und beantworten sie ganz ehrlich, was war falsch?
Er kämpft immer noch, schreibt und protestiert, durchdrungen mit Optimismus und Begeisterung. Für jemanden wie mich ist das oft unverständlich.
“Wenn wir immer nur auf den Boden starren, werden wir vor Kummer sterben. Deshalb schaue ich immer nach oben”, hat er einmal in einem Haaretz-Interview gesagt.
Ehrlich gesagt, bin ich sehr neidisch auf Avnery – seiner reichen Biographie wegen und wegen seines begeisterten Glaubens an die Menschen. Für ihn ist kein Erbe gefunden, für den Mann, auf den wir nie rechtzeitig gehört haben. Der Prophet im eigenen Land! Mazal tov!
Er wird 90 Jahre alt, morgen . Er ist immer noch flink, wenn auch nicht mehr so schnell, wie er einmal war, und er ist brillant, scharfsinnig und klar (und dies definitiv nicht weniger als er einmal war)…