Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

  • Bild Interview Sternenjaeger.ch Copyright 2012 - sternenjaeger.ch

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Apr 4, 2009

Wer ist der Boss?


ABER EINE Regierung ist kein Witz. Und Lieberman ist kein Witz. Weit davon entfernt.

Schon am ersten Tag machte er klar, dass er – er und nicht Netanyahu oder Barak - den Stil der neuen Regierung bestimmen wird, zum einen wegen seiner starken politischen Position und zum andern wegen seiner massiven persönlichen Präsenz und seines provokativen Charakters.

Er wird die Regierung so lange halten, wie es ihm passt und in dem Augenblick stürzen, wenn er das Gefühl hat, Neuwahlen könnten ihm zu vermehrter Macht verhelfen.


Wer ist der Boss?

Uri Avnery

SCHON AM ersten Tag der neuen Regierung klarte der Nebel auf und enthüllte: es ist eine Lieberman-Regierung.

Der Tag begann mit einer Feier im Amt des Präsidenten. Alle Mitglieder der aufgeblähten Regierung – dreißig Minister und acht stellvertretende Minister - posierten in ihren besten Anzügen für ein Gruppenfoto. Netanyahu las eine Rede ab, die jeder Inspiration entbehrte und die die abgedroschenen Klischees mit einschloss, die nötig sind, um die Welt zu beruhigen: Die Regierung ist dem Frieden verpflichtet, sie will mit der palästinensischen Behörde verhandeln bla-bla-bla.

Avigdor Lieberman eilte von dort zum Außenministerium und der dort stattfindenden zeremoniellen Amtsübergabe der Minister. Auch er hielt eine Rede – aber es handelte sich keineswegs um eine Routinerede.

„Si vis pacem, para bellum – wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor“, erklärte der neue Außenminister. Wenn ein Diplomat dieses alte lateinische Wort zitiert, achtet die Welt nicht auf den ersten Teil des Zitates, sondern nur auf den zweiten Teil. Und wenn dies aus dem Mund des schon berüchtigten Lieberman kommt, so handelt es sich um eine klare Drohung: die neue Regierung betritt den Weg des Krieges und nicht den des Friedens.

Mit diesem Satz machte Lieberman Netanyahus Rede zunichte und machte Schlagzeilen rund um die Welt. Er bestätigte die schlimmsten Befürchtungen, die mit der Bildung dieser Regierung verbunden sind.
Er begnügte sich nicht mit dem lateinischen Zitat. Er erklärte noch genauer, warum er dieses Motto wählte. Konzessionen, so sagt er, bringen keinen Frieden, im Gegenteil. Die Welt respektierte und bewunderte Israel, als es den Sechs-Tage-Krieg gewann.

Zwei Irrtümer in einem Satz. Besetztes Land zurückzugeben ist keine „Konzession“. Wenn ein Dieb gezwungen wird, gestohlenes Gut zurückzugeben oder wenn ein Hausbesetzer eine Wohnung, die ihm nicht gehört, verlässt, so ist das keine „Konzession“. Und die Bewunderung Israels 1967 kam von einer Welt, die uns als ein kleines, kühnes Land sah, das gegen mächtige Armeen aufstand, die uns zerstören wollten. Aber das Israel von heute sieht wie ein brutaler Goliath aus, während die besetzten Palästinenser wie ein David mit der Steinschleuder aussehen, der um sein Leben kämpft.

Mit dieser Rede gelang es Lieberman, die Welt aufzuregen, aber noch mehr Netanyahu zu demütigen. Er deckte auf, dass die Friedenserklärungen des neuen Ministerpräsidenten nichts als Seifenblasen sind.

Doch die Welt möchte – wie ich schon letzte Woche schrieb – getäuscht werden. Ein Sprecher des Weißen Hauses verkündigte, dass es - soweit es die amerikanische Regierung betrifft - Netanyahus Bla-Bla-Bla-Rede ist, die zählt, nicht Liebermans offene Äußerungen. Und Hillary Clinton schämte sich nicht, Lieberman anzurufen und ihm zum Amtsantritt zu gratulieren.


DAS WAR die erste Kraftprobe innerhalb des Netanyahu-Lieberman-Barak-Dreiecks. Lieberman hat seine Verachtung gegenüber beiden, Netanyahu und Barak, demonstriert.

Seine Machtposition ist sicher, weil er allein in der Lage ist, jeden Moment die Regierung zu stürzen. Nach der Knessetdebatte über die neue Regierung, stimmten nur 69 Mitglieder für sie. Wenn man die fünf Mitglieder der Arbeiterpartei hinzuzählt, die „zwar präsent waren, aber an der Abstimmung nicht teilnahmen“ (eine Art Abstimmung, die etwas weniger negativ als Stimmenthaltung ist), dann hat die Regierung 74 Stimmen. Das bedeutet: ohne Liebermans fünfzehn Mitglieder hat die Regierung nicht die Mehrheit.

Seine Rede hatte die Absicht, diese politische Realität zu unterstreichen. Er wollte Netanyahu damit sagen: Falls du mich zum Schweigen bringen willst, vergiss es. Es war, als setzte er an Netanyahus Kopf eine Pistole – in diesem Fall könnte es eine deutsche Parabellum sein, eine Pistole, deren Name sich von besagtem lateinischen Sprichwort herleitet.

Das volle Ausmaß von Liebermans Chuzpe kam nur eine Stunde später zum Vorschein. Vom Außenministerium eilte er zu einer anderen rituellen Amtsübergabe – dieses Mal beim Minister für Innere Sicherheit (früher Polizeiministerium genannt).

Was hatte er dort zu suchen? Nichts. Es ist höchst ungewöhnlich für einen Minister, solch einer Zeremonie in einem anderen Ministerium beizuwohnen. Der neue Minister für Innere Sicherheit, Yitzhak Aharonovitch, gehört zwar zu Liebermans Partei, aber das ist hier irrelevant. Schließlich nahm er nicht an der entsprechenden Zeremonie des Ministeriums für Immigration teil, wo ein anderes Mitglied seiner Partei eingeführt wurde.

Das Rätsel wurde am nächsten Tag gelöst. Der neu installierte Außenminister verbrachte sieben Stunden in einem Polizeiverhörraum, wo er Fragen zu beantworten hatte, die sich auf Bestechungsverdacht, Geldwäsche und Ähnliches in Verbindung mit den riesigen Summen beziehen, die aus dem Ausland an eine Gesellschaft transferiert wurden, die auf den Namen seiner 23 jährigen Tochter läuft.

Dies erklärt seine Präsenz bei der Zeremonie im Polizeiministerium. Er wurde dort neben den Chefs der Abteilung für strafrechtliche Ermittlungen fotografiert. Sein Erscheinen dort ist nichts anderes als eine grobe und schamlose Androhung gegen jene, die ihn am nächsten Tag verhören sollten.

Seine Präsenz bei dieser Zeremonie erklärte: Ich bin der Mann, der den Minister ernannt hat, der jetzt für jede eurer Karrieren verantwortlich ist, sowohl für deren Beförderung und Beendigung. Und dieselbe Botschaft galt auch den Richtern: ich habe den neuen Justizminister ernannt, und ich werde jede Beförderung von euch entscheiden.


ALL DIES erinnert mich an einen diplomatischen Empfang bei der ägyptischen Botschaft vor genau 10 Jahren. Ich traf dort die meisten Mitglieder der neuen Regierung, die gerade von Ehud Barak gebildet worden war. Alle waren deprimiert.

Barak hatte etwas getan, das an Sadismus grenzt. Er hatte jeden Minister für einen Posten ernannt, der am wenigsten zu ihm passte. Der freundliche und höfliche Professor Shlomo Ben-Ami wurde zum Minister für innere Sicherheit ernannt (wo es ihm während der Oktober 2000-Unruhen misslang, die Polizei daran zu hindern, ein Dutzend arabischer Bürger zu töten). Yossi Beilin, ein Diplomat mit einem sehr schöpferischen Geist, ein natürlicher Kandidat für das Außenministerium, wurde zum Justizminister ernannt usw. In privaten Gesprächen gaben sie ihre Verbitterung gegenüber Barak Ausdruck.

Nun hat Netanyahu Barak übertrumpft. Die Ernennung Liebermans als Außenminister grenzt an Wahnsinn. Die Ernennung von Yuval Steinitz, einem Professor für Philosophie und einem persönlichen Freund von Netanyahus Frau Sarah, einem Mann, der keinerlei wirtschaftliche Erfahrungen hat, zum Finanzminister – noch dazu auf der Höhe der Weltfinanzkrise – überschreitet die Grenze zum Absurden. Die Ernennung der Nummer Zwei der Likudpartei, Silvan Shalom für zwei untergeordnete Ministerien hat ihn zu einem Todfeind werden lassen. Die Schaffung einer langen Liste neuer und unbedeutender Ministerien nur um seine Freunde mit Jobs zu versehen, hat die Regierung in einen Straßenwitz verwandelt (‚einen Minister für die ankommende Post und einen Minister für die abgehende Post’).


ABER EINE Regierung ist kein Witz. Und Lieberman ist kein Witz. Weit davon entfernt.

Schon am ersten Tag machte er klar, dass er – er und nicht Netanyahu oder Barak - den Stil der neuen Regierung bestimmen wird, zum einen wegen seiner starken politischen Position und zum andern wegen seiner massiven persönlichen Präsenz und seines provokativen Charakters.

Er wird die Regierung so lange halten, wie es ihm passt und in dem Augenblick stürzen, wenn er das Gefühl hat, Neuwahlen könnten ihm zu vermehrter Macht verhelfen.

Sein grober und brutaler Stil entspricht seiner Natur, ist aber auch kalkuliert. Er beabsichtigt damit, zu drohen und die primitivsten Typen der Gesellschaft anzusprechen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und sich der Medien zu versichern. All dies erinnert an andere Länder und andere Regime. Nicht zufällig hat ihm der ex-faschistische Außenminister Italiens als erster gratuliert.

In dieser Woche wurden immer wieder frühere Statements von Lieberman wiederholt. Er hat einmal das Bombardieren des großen Assuandammes vorgeschlagen, einen Akt, der eine tsunami-gleiche Überschwemmung verursacht und viele Millionen Ägypter getötet hätte. Ein anderes Mal schlug er vor, den Palästinensern ein Ultimatum zu stellen: um 8 Uhr bombardieren wir eure Handelszentren, mittags eure Tankstellen und um 14 Uhr eure Banken usw.

Er hatte auch vorgeschlagen. Tausende von palästinensischen Gefangenen zu ertränken und bot an, die nötigen Busse zur Verfügung zu stellen, um sie an die Küste zu bringen. Ein anderes Mal schlug er vor 90% der 1,2 Millionen arabischen Bürger Israels zu deportieren. Vor kurzem sagte er zu Präsident Hosni Mubarak, einem der ergebensten Verbündeten der israelischen Führung: „Geh zur Hölle!“

Während der letzten Wahlkampagne schloss er in sein offizielles Programm die Forderung ein, den Arabern die Staatsbürgerschaft zu entziehen, die ihre Loyalität gegenüber Israel nicht beweisen könnten. Das war auch sein Hauptslogan. Auch dies erinnert an Programme gewisser Parteien in der Geschichte.

Dies ist verknüpft mit einer eklatanten Feindseligkeit gegenüber den „Eliten“ Israels und gegenüber allen, die mit den Gründern des Staates Israel verbunden sind.


EINIGE LEUTE glauben, Lieberman sei gar kein neues Phänomen, dass er einfach Züge an die Oberfläche bringt, die schon die ganze Zeit vorhanden waren, doch verborgen unter einer dicken Schicht von frömmelnder Heuchelei.

Wie sieht seine Lösung des historischen israelisch-arabischen Konfliktes aus? In der Vergangenheit sprach er über ein Regime von Kantonen für die Palästinenser. Sie werden in mehreren nicht mit einander verbundenen Enklaven auf der Westbank und im Gazastreifen leben. Die Enklaven werden von Israel beherrscht. Natürlich kein palästinensischer Staat und ohne das arabische Ost-Jerusalem. Er schlug sogar vor, diesen Kantonen einige Gebiete Israels anzuschließen, die eine dichte palästinensische Bevölkerung haben, denen daraufhin die israelische Staatsbürgerschaft aberkannt werden soll.

Das liegt ziemlich nahe bei den Ideen von Ariel Sharon und auch bei denen von Netanyahu, der erklärte, dass sich die Palästinenser ‚selbst regieren’ sollen - natürlich ohne Staat, ohne eigene Währung, ohne Kontrolle der Grenzübergänge, ohne See- und Flughafen.

Bei der Zeremonie des Außenministeriums erklärte Lieberman, dass das Abkommen von Annapolis, das von Präsident Bush diktiert worden war, ungültig sei und dass nur die ‚Road Map’ zählt. Die Sprecher des Außenministeriums beeilten sich mit einer Erklärung, dass die Road Map auch von ‚zwei Staaten’ spricht. Sie vergaßen, die Welt daran zu erinnern, dass die israelische Regierung die Road Map nur mit 14 Bedingungen ‚angenommen’ habe, die sie vollständig jeglichen Inhalts berauben. Zum Beispiel: Dass die Palästinenser zunächst die ‚terroristische Infrastruktur zerstören’ müssen (was ist das? wer entscheidet?), bevor Israel einen Schritt tun wird, einschließlich des Einfrierens des Siedlungsbaus.

(Das erinnert mich an den reichen Juden im Shtetl, der sein Testament diktierte und seinen Reichtum unter seine Verwandten und Freunde verteilte und dann hinzufügte: ‚Im Falle meines Todes ist dieses Testament null und nichtig’.)

So weit es den israelisch-palästinensischen Konflikt betrifft, besteht die Kontroverse zwischen Ehud Olmert und Zipi Livni einerseits und Netanyahu und Lieberman andrerseits eher aus taktischen denn aus strategischen Erwägungen. Die Strategie von allen ist, die Schaffung eines normalen, freien, lebensfähigen palästinensischen Staates zu verhindern. Zipi Livni war für eine Taktik der endlosen Verhandlungen, die mit Äußerungen über Frieden und einer ‚Zwei-Staaten-Lösung’ dekoriert wurden. Nicht umsonst mokierte sich Netanyahu über sie: ‚Du hast doch mehrere Jahre Zeit gehabt, um das Abkommen mit den Palästinensern abzuschließen. Warum hast du es nicht getan?’

Die Debatte geht aber nicht um Frieden, sondern um einen ‚Friedensprozess’.

Mittlerweile lebt sich Zipi Livni in ihrem neuen Job als Führerin der Opposition ein. Ihre erste Rede war kraftvoll und äußerst kritisch. Wir werden bald wissen, ob sie diesen Job mit Inhalt füllt. Werden ihre Reden über den Frieden sie schließlich selbst von dessen Wert überzeugen? Wird sie dann eine wirkliche Alternative für die Regierung Lieberman werden?

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz vom Verfasser autorisiert)