Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Archiv

Jan 25, 2014

Nichts Neues unter der Sonne


WÄHREND DER letzen hundert Jahre hat Russland große Veränderungen durchgemacht.

Anfangs wurde es vom Zar regiert, eine absolute Monarchie mit einigen demokratischen Dekorationen,  eine „Tyrannei durch  Unfähigkeit gemildert“.

Nach dem Sturz des Zaren herrschte ein paar Monate lang ein liberales  und gleichfalls unfähiges Regime, bis es von der bolschewistischen Revolution  zu Fall gebracht wurde.

Die „Diktatur des Proletariats“  dauerte  etwa 74 Jahre, das  bedeutet,  dass drei Generationen  das sowjetische Bildungssystem durchliefen. Das sollte lange  genug gewesen sein, um  Werte wie Internationalismus, Sozialismus und Menschenwürde im Sinne von  Karl Marx  zu absorbieren.

Das Sowjetsystem brach in sich zusammen und ließ nur wenige Spuren zurück. Nach ein paar Jahren liberaler Anarchie unter Boris Yeltsin, übernahm Vladimir Putin  die Herrschaft. Er hat  bewiesen, ein fähiger Staatsmann zu sein, und hat Russland wieder in eine Weltmacht verwandelt. Er hat aber ein neues autokratisches System eingerichtet, die Demokratie und die Menschenrechte  reduziert.

Wenn wir diese Ereignisse betrachten, die ein Jahrhundert umspannen, müssen wir daraus schließen, dass  nach all diesen  dramatischen  Umwälzungen Russland mehr oder weniger dort ist, wo es anfing. Der Unterschied zwischen dem Reich des Zaren Nikolaus und Präsident Putin ist minimal. Die nationalen Bestrebungen, die allgemeine Weltanschauung, das Regime und der Status der Menschenrechte sind mehr oder weniger dieselben.

Was lehrt uns das? Es bedeutet für mich, dass es  so etwas wie einen nationalen Charakter gibt, der sich nicht so leicht verändert, wenn überhaupt. Revolutionen, Kriege, Katastrophen kommen und gehen und der  eigentliche Charakter eines Volkes bleibt, wie er war.


NEHMEN WIR ein anderes Beispiel, das uns geographisch näher liegt: die Türkei.

Mustafa Kemal war eine faszinierende Person. Leute, die ihn trafen, als er ein Offizier in der osmanischen Armee war – er diente in Palästina – beschrieben ihn als einen interessanten Charakter und einen schweren Trinker. Er wurde in Saloniki in Griechenland geboren, einer Stadt, die zu jener Zeit vor allem jüdisch war, und nahm an der Revolution der Jungtürkischen Bewegung teil, die zum Ziele hatte, das Osmanische Reich zu erneuern, das zum „kranken Mann am Bosporus“ geworden war.

Nach der türkischen Niederlage im 1. Weltkrieg  machte sich Mustafa Kemal daran, eine neue Türkei zu schaffen. Seine Reformen waren  umfassend. U.a. schafften sie  das Osmanische Reich  und das alte muslimische  Kalifat ab, änderten die Schrift der türkischen Sprache vom Arabischen ins Lateinische, nahm die Religion aus der Politik,  verwandelte die Armee in einen „Wächter der (säkularen) Republik“, verbat Männern und Frauen, die traditionelle Kleidung zu tragen, wie den Fez und den Hijab. Sein Plan war, die Türkei in ein modernes europäisches Land zu verwandeln.

Sein Volk ehrte ihn und gab ihm den Namen Atatürk (Vater der Türken) und  verehrt ihn bis zum heutigen Tage. Sein Bild hängt in allen Büros der Regierung. Doch jetzt sind wir Zeugen, wie die meisten seiner Reformen abgeschafft werden.

Die Türkei wird heute von einer religiösen islamischen Partei beherrscht, die vom Volk gewählt wurde. Der Islam kehrt zurück. Nachdem die Armee mehrere Staatsstreiche gemacht hat, wurde sie aus der Politik hinaus gestoßen.  Dem jetzigen Führer wird  neo-osmanische Politik vorgeworfen.

Dies bedeutet, dass die Türkei  dahin zurückkehrt, wo sie vor hundert Jahren war.



SO KANN man Beispiele aus aller Welt zitieren.

Vor etwa 220 Jahren, nach der Mutter aller moderner Revolutionen, der der großen Französischen Revolution, werden die leichtfertigen Abenteuer des gegenwärtigen französischen Präsidenten  mit denen der bourbonischen Könige verglichen. Nicht viel ist aus der Zeit des strengen Charles de Gaulle geblieben, weder moralisch noch politisch.

Italien hat noch immer keine politische Stabilität nach dem Intermezzo des clownesken Silvio Berlusconi .  Ein sehr reduziertes Großbritannien denkt  und benimmt sich so wie das Empire in seiner Blütezeit. Und kämpft darum, von Europa  wegzukommen.

Und so weiter.

ICH MAG gern  (noch einmal) Elias Canetti, den Nobelpreis Schriftsteller zitieren. Bulgarien, England und die Schweiz beanspruchen ihn, und natürlich die Juden.

In einem seiner Werke behauptet er, dass jede Nation ihren eigenen Charakter hat, wie ein menschliches Wesen.  Er unternahm sogar , den Charakter größerer Nationen mit Symbolen zu beschreiben: Die Briten sind wie ein Seekapitän, die Deutschen  wie ein Wald hoher gerader Eichen, die Juden sind durch den Exodus aus Ägypten und das Wandern durch die Wüste geformt worden . Er sah, dass diese Charakteristiken  konstant bleiben.

Professionelle Historiker mögen übersolch einen Dilettantismus lachen. Doch ich glaube, dass die Injektion von etwas literarischem Innenblick in die Geschichte  gut ist. Es vertieft das Verständnis.



ALL DIES führt mich zu der jüdisch-israelischen Metamorphose.

Israel wurde buchstäblich von der zionistischen Bewegung geschaffen. Dies war eine der revolutionärsten Revolutionen, wenn nicht die weitreichendste von allen. Sie strebten nicht nach einem Wechsel des Regimes wie Mandela in Südafrika. Noch zu einem tiefen Wandel der Gesellschaft wie die kommunistische Bewegung; noch zu einem kulturellen Wandel wie der des Atatürk. Zionismus wollte all dies erreichen und noch viel mehr.

Er wollte eine zerstreute religiös-ethnische Gemeinschaft, die in alten Zeiten geboren wurde,  in eine moderne Nation verwandeln. Er wollte Massen von Individuen aus ihren Heimatländern und natürlichen  Lebensräumen holen und  sie physisch in ein anderes Land und ein anderes Klima holen. Er wollte den sozialen Status von jedem von ihnen verändern.  Ja, sie sogar eine neue Sprache  annehmen   lassen – eine tote Sprache, die wieder zum Leben erweckt  wurde. Es ist eine Aufgabe, die keinem anderen Volk gelang. All dies in einem fremden Land, das von einem anderen Volk bewohnt war.

Von allen revolutionären Bewegungen des 20. Jahrhunderts war der Zionismus die erfolgreichste und  beständigste. Kommunismus, Faschismus und Dutzende anderer Bewegungen kamen und gingen. Der Zionismus  hält durch.

Aber ist die israelische Gesellschaft wirklich zionistisch, wie sie laut und wiederholt behauptet.

ZIONISMUS WAR  ursprünglich eine Rebellion gegen die jüdische Existenz in der Diaspora. In der religiösen Sphäre war es eine Reformation, eine, die tiefer als die von Martin Luther war.

Alle prominenten jüdischen Rabbiner, die chassidischen wie die anti-chassidischen  verurteilten den Zionismus als Häresie. Das Volk von Israel wurde durch  seinen absoluten Gehorsam  gegenüber Gottes 613 Gebote und Verboten  vereint, nicht durch irgendwelche  „nationale“ Bande. Gott hat eine Massenrückkehr ins Land Israel streng verboten, seit Er die Juden für ihr sündhaftes Verhalten ins Exil geschickt hat. Die jüdische Diaspora war so durch Gott verursacht  worden und sollte so bleiben, bis ER ihre Gesinnung ändern würde.

Und dann kamen die Zionisten, meistens Atheisten und  wollten die Juden ohne Gottes Erlaubnis ins Land Israel bringen, ja Gott ganz abschaffen. Sie bauten eine säkulare Gesellschaft auf. Sie hatten eine tiefe Verachtung für die Diaspora, besonders für die orthodoxen „Ghetto-Juden“. Ihr Gründungsvater Theodor Herzl glaubte, dass nach der Gründung des jüdischen Staates keiner außerhalb des Staates noch als Jude angesehen würde.  Andere Zionisten waren nicht ganz so radikal, aber dachten gewiss in diese Richtung.

Als ich noch jung war, gingen viele von uns noch weiter. Wir stritten die Idee eines jüdischen Staates ab und sprachen von einem „hebräischen“ Staat, der locker mit der jüdischen Diaspora verbunden sei;  wir wollten eine neue hebräische Zivilisation schaffen, die eng mit der arabischen Welt um uns verbunden wäre. Eine asiatische Nation, die nicht mit Europa und dem Westen  identifiziert werden wollte.

Und wo sind wir heute?



ISRAEL IST dabei, sich mit großem Tempo  zu re-judaisieren. Die jüdische Religion  kommt zurück. Sehr bald, werden religiöse Kinder verschiedener Gemeinden die Mehrheit in Israels jüdischen Schulen sein.

Die organisierte orthodoxe Religion hat immense Eingriffe gemacht. Die offizielle israelische Definition eines Juden ist ausschließlich religiös. Alles Angelegenheiten persönlicher Natur wie Heirat und Scheidung unterstehen dem  Rabbinat. So ist das Menu in den meisten Restaurants koscher. Der öffentliche Verkehr zu Land und in der Luft findet am Schabbat nicht statt. Nicht orthodoxe jüdische Trends, wie die „Reformisten“ und die „Konservativen“ werden praktisch ausgesperrt.

Bei einem Skandal, der gerade Israel  durchschüttelt, handelt es sich um einen kabbalistischen Rabbiner; es scheint, dass diese wundersame Person ein Vermögen von hunderten Millionen Dollar  allein durch den Verkauf von Segen und Amuletts gesammelt hat. Er ist aber nur einer von vielen solchen Rabbinern, die wie er von Magnaten, Kabinettministern und  hochrangigen Gangstern und  Polizeioffizieren umgeben ist.

Herzl, der versprach, „ die Rabbiner in ihren Synagogen zu halten und  die Berufsarmee in den Kasernen“, dreht sich sicherlich in seinem Grab auf dem Jerusalemer Herzlberg um.



ABER DIES sind noch relativ oberflächliche Symptome. Ich denke an  viel tief gehendere  Dinge.

Eine der wesentlichen Überzeugungen der Diaspora-Juden war, dass „die  ganze Welt gegen uns ist“.  Juden sind während Jahrhunderten in vielen Ländern verfolgt worden - bis zum Holocaust.  In der Sederfeier  am Pesachabend, der alle Juden rund um die Welt vereinigt, sagt der heilige Text, „ in jeder Generation  erheben sie sich, um uns zu  vernichten.“

Das offizielle Ziel des Zionismus‘ war, uns in ein Volk wie alle andern Völker zu verwandeln. Glaubt ein normales Volk denn, dass  zu allen Zeiten alle darauf aus sind, es zu vernichten?

Es ist eine grundsätzliche Überzeugung  von fast jedem jüdischen Israeli, dass „die ganze Welt gegen uns ist“ – was auch ein fröhliches Volkslied ist. Die US schließt ein Abkommen mit dem Iran ab? Europa wendet sich gegen die Siedlungen? Russland hilft Bashar al-Assad? Alles Antisemiten.

Internationale Proteste gegen unsere Besatzung der palästinensischen Gebiete sind natürlich  nur eine andere Form von Antisemitismus (der Ministerpräsident von Kanada, der Israel in dieser Woche besuchte und eine lächerliche Rede in der Knesset hielt, sprach auch aus, dass jede Kritik an Israels Politik eine Art Antisemitismus sei).

Bedeutet dies, dass in Israel, dem selbsternannten jüdischen Staat all die alten jüdischen Einstellungen, Verdächtigungen, Befürchtungen und Mythen  wieder  aktuell werden? Dass das revolutionäre zionistische Konzept  dabei ist, zu verschwinden?  Dass sich nicht viel an der jüdischen Einstellung verändert hat?

Franzosen sagen:“Je mehr sich die Dinge ändern, um so mehr bleiben sie die gleichen“.

Oder  wie der Prediger Salomo  in der Bibel  (Pred.1,9) sagte: „was geschehen ist, das wird hernach sein….was man getan hat, eben das tut man hernach  wieder, und es geschieht nichts Neues unter der Sonne.“

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)