Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

  • Bild Interview Sternenjaeger.ch Copyright 2012 - sternenjaeger.ch

Archiv

Apr 13, 2014

Nichts als heiße Luft: Poof!


Uri  Avnery . 12.4.14

ARMER JOHN Kerry!  Diese Woche gab er einen Ton von sich, der ausdrucksvoller war als Seiten voll diplomatischem Blabla.

In seinem Zeugnis vor dem  Senatskomitee für ausländische Beziehungen erklärte er, wie die Aktionen der israelischen Regierung den „Friedens-Prozess“  torpediert hatten.  Sie brachen ihr Versprechen, palästinensische Gefangene zu entlassen und gleichzeitig verkündeten sie die Vergrößerung  von mehr Siedlungen in Ost-Jerusalem. Die Friedensbemühungen machten  „poof“.


„Pooff“ ist das Geräusch, wenn einem Ballon die Luft entweicht. Es ist ein guter Ausdruck, weil der „Friedensprozess“ von Anfang an ein Ballon voll heißer Luft war. Eine Übung in  „Scheinwelt“

JOHN KERRY  kann nicht die Schuld  gegeben werden. Er nahm die ganze Sache sehr ernst. Er ist ein ernsthafter Politiker, der sich sehr, sehr große Mühe gab, zwischen Israel und Palästina Frieden zu machen. Wir sollten dankbar sein.

Das Problem ist, dass Kerry nicht die leiseste Ahnung hatte, in was er sich da eingelassen hat.

Der ganze „Friedensprozess“ drehte sich um eine irrtümliche Annahme. Einige würden sagen: auf einer eigentlichen Lüge.

Nämlich, dass wir hier zwei Seiten eines Konfliktes haben. Eines ernsten Konfliktes. Eines alten Konfliktes. Aber ein Konflikt, der gelöst werden  könne , wenn  sich auf beiden Seiten  vernünftige Leute zusammensetzen und es ausdiskutieren würden,  von einem wohlwollenden und unparteiischen Schiedsrichter geleitet.

Nicht ein Detail dieser Voraussetzungen war real. Der Schiedsrichter war nicht unparteiisch. Die Führer waren nicht vernünftig  und am bedeutendsten: Die Seiten waren nicht ebenbürtig.

Die Machtbalance zwischen beiden Seiten ist nicht 1:1, nicht einmal 1:2 oder 1.10. In jeder  materiellen Hinsicht – militärisch, diplomatisch, wirtschaftlich -  ist es eher wie eins zu tausend.

Es gibt kein Ebenbürtigkeit zwischen Besatzer und Besetzten, zwischen Unterdrücker und Unterdrückten. Ein Elefant und eine Fliege können nicht „verhandeln“. Wenn die eine Seite das totale Kommando über den anderen hat, jede ihrer Bewegungen kontrolliert, auf ihrem Land siedelt,  ihre Geldbewegung kontrolliert, willkürlich ihre Leute verhaftet, ihren Zugang zur UN und dem Internationalen Gerichtshof blockiert – dann ist von Ebenbürtigkeit keine Rede mehr.

Wenn beide Verhandlungsseiten so extrem ungleich sind, kann die Situation nur durch  einen Vermittler behoben werden, der die schwache Seite  unterstützt. Es ist aber genau das Gegenteil geschehen: der Amerikaner unterstützte Israel,  massiv und großzügig.

Während der „Verhandlungen“  tat die US nichts, um die Siedlungsaktivitäten zu verhindern, die  dazu noch mehr israelische Fakten vor Ort schufen – der Grund und Boden, über dessen Zukunft  gerade die Verhandlungen liefen.

EINE GRUNDVORAUSSETZUNG für erfolgreiche Verhandlungen ist, dass alle drei Seiten wenigstens ein Grundverständnis nicht nur für die Interessen und Forderungen der anderen Seite haben, sondern sogar mehr von  der geistigen Welt des anderen, seine emotionale Strukturen und sein Selbstbild kennen Ohne dies sind alle Schritte unerklärlich und sehen irrational aus.

Boutrous Boutrous Ghali, einer der intelligentesten Leute, denen ich je in meinem Leben begegnet bin, sagte mir einmal:“ Ihr habt in Israel die intelligentesten Experten der arabischen Welt. Sie haben alle Bücher gelesen, alle Artikel, jedes einzelne Wort, das darüber geschrieben wurde.  Sie wissen alles und verstehen nichts, weil sie nie einen Tag in einem arabischen Land gelebt haben.“

Dasselbe trifft auch auf die amerikanischen Experten zu, nur noch viel mehr. In Washington DC fühlt man die verdünnte Luft eines Himalaja-Gipfels. In den grandiosen Paläste der Regierung, in denen das Schicksal der Welt entschieden wird, da sehen fremde Völker klein, primitiv und weithin irrelevant aus. Hier und da einige wirkliche Experten, die weggesteckt werden, aber keiner fragt  wirklich um Rat.

Der durchschnittliche amerikanische Staatsmann hat nicht die leiseste Ahnung von arabischer Geschichte, ihrem Weltbild, ihren Religionen, Mythen oder Traumata, die die arabische Einstellung  gestaltet, ganz zu schweigen vom palästinensischen Kampf. Er hat keine Geduld für diesen primitiven Unsinn.

ANSCHEINEND  ist das  amerikanische Verständnis für  Israel  viel besser. Aber nicht wirklich.

Die durchschnittlichen amerikanische Politiker und Diplomaten wissen eine Menge über Juden. Viele von ihnen sind Juden. Kerry selbst scheint teilweise jüdisch zu sein.  Sein Friedensteam schließt viele Juden ein, sogar Zionisten, einschließlich des aktuellen Verhandlungsmanager Martin Indyk, der in der Vergangenheit für AIPAK arbeitete. Selbst sein Name ist jiddisch (und  bedeutet Truthahn).

Die Vermutung ist, dass sich  Israelis  von amerikanischen Juden nicht sehr unterscheiden. Aber das ist völlig falsch. Die israelische Regierung mag behaupten, der „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ zu sein, aber dies ist nur ein Instrument, um die jüdische Diaspora auszunützen und Hindernisse für den „Friedensprozess“ zu schaffen. In der Realität gibt es wenig Ähnlichkeit zwischen Israelis und der jüdischen Diaspora, kaum weniger als zwischen einem Deutschen und einem Japaner.

Martin Indyk mag eine gewisse Affinität zu Ziipi Livni empfinden, der Tochter eines Irgun-Kämpfers (oder Terroristen nach britischer Redeweise), aber das ist eine Illusion.  Die Mythen und Traumata, die Zipi formten, sind sehr anders als die. die Martin formten, der in Australien aufgewachsen ist.

Falls Barack Obama und Kerry mehr wüssten, wäre ihnen von Anfang an klar, dass die gegenwärtigen israelischen politischen Umstände jede israelische Evakuierung von Siedlungen, ein Rückzug aus der Westbank  und ein Kompromiss über Jerusalem ganz unmöglich wäre.



ALL DIES  gilt auch für die palästinensische Seite.

Die Palästinenser sind davon überzeugt, dass sie Israel verstehen. Schließlich sind sie Jahrzehnte lang unter israelischer Besatzung gewesen. Viele von ihnen haben Jahre in israelischen Gefängnissen verbracht und perfekt Hebräisch sprechen gelernt. Aber sie haben im Umgang mit Israelis viele Fehler gemacht.

Der letzte Fehler war der Glaube, dass Israel den vierten Trupp von Gefangenen entlassen würde. Dies war fast unmöglich. Alle israelischen Medien, einschließlich der moderaten, sprechen über die Entlassung von „palästinensischen Mördern“, nicht von palästinensischen Aktivisten oder Kämpfern. Die Parteien vom rechten  Flügel standen im Wettkampf miteinander und mit  rechten „Terroropfern“, indem sie diese Untat denunzierten.

Die Israelis verstehen die tiefen Emotionen nicht, die durch die Nicht-Entlassung der Gefangenen – die nationalen Helden des palästinensischen Volkes  - hervorgerufen werden, obwohl Israel selbst in der Vergangenheit eintausend palästinensische Gefangene für einen einzigen Israeli austauschten. Die jüdische Religion verlangt die „Erlösung der Gefangenen“.

Es ist gesagt worden, dass Israel  ein „Zugeständnis“ dreimal verkauft; einmal, wenn es versprochen wird, sodann, wenn ein offizielles Abkommen darüber unterzeichnet wird und beim dritten Mal, wenn es tatsächlich erfüllt wird.  Dies geschah, als die Zeit kam, den 3.Rückzug von der Westbank unter den Oslo-Abkommen, der nie  passierte .

Die Palästinenser wissen nichts über jüdische Geschichte, wie sie in israelischen Schulbüchern gelehrt wird, sehr wenig über den Holocaust, noch weniger über den Zionismus.



DIE LETZTEN VERHANDLUNGEN begannen als „Friedensgespräche“, fuhren als „Rahmengespräche“ für weitere Verhandlungen fort,  jetzt sind die Gespräche zu Reden über die Reden über die Reden  degeneriert.

Keiner  will die Farce abbrechen, weil alle drei Seiten sich vor der Alternative fürchten.

Die amerikanische Seite fürchtet sich vor einem allgemeinen Angriff auf des zionistisch-evangelikal-republikanischen Adelson-Bulldozer auf die Obama-Regierung bei den nächsten Wahlen. Das Außenministerium versucht schon verzweifelt, sich von Kerrys  „Poof“ zurückzuziehen. Er meinte nicht, dass man Israel allein die Schuld geben müsse, sondern dass ein Fehler  auf beiden Seiten liege. Der Elefant und die Fliege sind gleicherweise zu tadeln.

Wie gewöhnlich hat die israelische Regierung viele Ängste. Sie fürchtet den  Ausbruch einer dritten Intifada, verbunden mit einer weltweiten Kampagne der De-legitimation und  des Boykotts von Israel, besonders in Europa.

Es fürchtet auch, dass die UN, die z.Zt. Palästina nur als ein Nicht-Mitglied-Staat anerkennt, weitergehen wird und Palästina immer mehr fördert.

Die palästinensische Führung fürchtet auch eine dritte Intifada, die zu einem blutigen Aufstand führen kann. Obwohl alle Palästinenservon einer „gewaltfreien Intifada“ sprechen, glauben nur wenige wirklich daran. Sie erinnern sich daran, dass die letzte Intifada auch gewaltlos begann, aber die israelische Armee  Scharfschützen einsetzte, die die Anführer der Demonstrationen erschossen. Mehr Selbstmord –Bombenanschläge wurden unvermeidlich.

Präsident Mahmoud Abbas (Abu-Mazen) hat auf die Nicht-Entlassung der Gefangenen dadurch reagiert, dass er im Namen Palästinas 25 Dokumente unterzeichnete, um sich internationalen Konventionen anzuschließen.

Praktisch bedeutet der Akt wenig. Eine der Unterschriften bedeutet, dass Palästina sich der Genfer Konvention anschließt. Eine andere betrifft den Schutz der Kinder. Sollten wir uns nicht darüber freuen? Aber die israelische Regierung fürchtet,  dass dies ein Schritt näher an der Aufnahme Palästinas  als Mitglied des Internationalen Gerichtshofes bedeute und vielleicht die  Anklage von Israelis wegen Kriegsverbrechen.

Abbas plant auch Schritte zu einer Versöhnung mit der Hamas und der Durchführung  von palästinensischen Wahlen, um seine Heimatfront zu stärken.

WENN man nun der arme John Kerry wäre, was würde man zu all dem sagen?

„Poof“ scheint das Minimum zu sein.

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser  autorisiert