Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Jul 5, 2014

Die Wacht am Jordan


DIE ARABISCHE Welt ist im Aufruhr. Syrien und der Irak brechen aus einander. Der tausend Jahre alte Konflikt zwischen den muslimischen Sunniten und den muslimischen Schiiten erreicht einen neuen Höhepunkt. Ein historisches Drama entwickelt sich um uns herum.

Und wie reagiert unsere Regierung darauf?

Benjamin Netanjahu sagt es in knappen Worten. „Wir müssen Israel am Jordan verteidigen, bevor sie Tel Aviv erreichen.“

Einfach, präzise und idiotisch.



ISRAEL VERTEIDIGEN gegen wen? Gegen ISIS natürlich.

ISIS ist der islamische Staat vom Irak und Sham  – eine neue Kraft in der arabischen Welt. Sham ist Groß-Syrien – der traditionelle arabische Name für das Gebiet, das die gegenwärtigen Länder Jordanien, Palästina und Israel umfasst. Zusammen mit dem Irak formt es das, was Historiker den „Fruchtbaren Halbmond“ nennen, die grüne Region rund um das  nördliche Ende der trostlosen arabischen Wüste.

Den größten Teil der Geschichte war der fruchtbare Halbmond ein Land, Teil der auf einander folgenden Reiche: der Assyrer, Babylonier , Perser, Griechen, Römer, Byzantiner, Araber, Ottomanen  und vieler anderer hielten sie vereint, bis zwei ausländische Herren Sir Mark Sykes und M. Francois Georges-Picot, sich daran machten, sie nach ihren eigenen imperialen Interessen zu teilen. Dies geschah während des 1. Weltkrieges, der nach einem Mord anfing, der letzte Woche vor 100 Jahren geschah.

Mit unglaublicher Missachtung  gegenüber den Völkern, ethnischen Ursprüngen und religiösen Identitäten schufen Sykes und Picot Nationalstaaten, wo keine Nationen  existieren. Sie und ihre Nachfolger, insbesondere  Gertrud Bell (???), T.E. Lawrence und Winston Churchill taten drei ganz verschiedene Gemeinschaften zusammen, schufen den „Irak“, indem sie einen ausländischen König aus Mecca importierten.

„Syrien“ wurde für Frankreich bestimmt. Ein kaiserlicher Kommissar nahm eine Landkarte,  einen Stift und zeichnete eine Grenze mitten durch die Wüste zwischen Damaskus und Bagdad. Die Franzosen  schnitten Syrien damals in verschiedene kleine Staaten für die Sunniten, Alawiten, die Drusen, Maroniten etc. Später schufen sie noch Groß-Libanon, wo sie ein System schufen, das die maronitischen Christen  über die verachteten Schiiten setzten.

Die Kurden, eine wirkliche Nation, wurden in vier Teile aufgeteilt, von denen jeder einem anderen Land angeschlossen wurde. In Palästina wurde inmitten einer feindseligen arabischen Bevölkerung eine zionistische „nationale Heimstätte“ geplant. Das Land jenseits des Jordan wurde abgetrennt, um ein Fürstentum für einen andern Emir von Mekka zu errichten.

Das ist die Welt, in der wir aufwuchsen und die nun ins Wanken gerät

WAS ISIS jetzt zu tun versucht, ist einfach, all diese Grenzen auszuwischen. In dem Prozess legen sie die  alte sunnitisch-schiitische Teilung bloß. Sie wollen ein vereinigtes sunnitisch-muslimisches Kalifat.

Sie stehen gegen riesige unbeugsame Interessen und werden wahrscheinlich versagen. Aber  sie säen etwas, das viel länger anhält: eine Idee, die sich in vielen Millionen Köpfen festsetzen könnte. Es mag in 25, 50 oder hundert Jahren in Erfüllung  gehen. Es könnte die Welle der Zukunft sein.

Was sollten wir tun, nachdem wir sehen, wie sich das Bild entwickelt?

Für mich ist die Antwort ganz klar: macht schnell Frieden, solange die arabische Welt ist, wie sie jetzt ist.

„Frieden“ meint nicht  nur Frieden mit dem palästinensischen Volk,  sondern mit der ganzen arabischen Welt. Die Arabische Friedensinitiative- die sich auf die Initiative des damaligen Saudi-Arabischen Kronprinzen gründete – liegt noch immer auf dem Tisch. Sie bietet vollen und bedingungslosen Frieden  mit dem Staat Israel an im Gegenzug für das Ende der Besatzung und die Schaffung eines unabhängigen Staates Palästina. Hamas stimmte offiziell darin überein, vorausgesetzt  es wird von einem palästinensischen  Volksentscheid ratifiziert.

Es wird nicht einfach sein. Eine Menge Hindernisse müssen überwunden werden. Aber es ist möglich. Und es wäre reiner Wahnsinn, wenn man dies nicht versucht.

JETZT!

DIE ANTWORT unserer Führung ist genau das Gegenteil.

Die historischen Ereignisse und deren Hintergrund interessiert sie, „ wie die Knoblauchschale“, wie man im Hebräischen sagt – also überhaupt nicht.

Ihr ganzes Interesse ist auf die Bemühung konzentriert, die Westbank zu halten, was heißt, die Errichtung eines palästinensischen Staates zu verhindern, was heißt, Frieden zu verhindern.

Der sicherste Weg, dies zu tun, ist das Jordantal zu halten. Kein palästinensischer Unterhändler wird je mit dem Verlust des Jordantales  einverstanden sein – weder durch direkte Annexion durch Israel noch durch eine „vorübergehende“ Stationierung von israelischen  Soldaten im Tal auf unbestimmte Zeit.

Dies würde nicht nur den Verlust von 25% der Westbank bedeuten( die insgesamt 22% des historischen Palästina darstellt)  und sein fruchtbarster Teil, sondern auch  das Abgeschnittensein des zukünftigen palästinensischen Staates vom Rest der Welt. Der Staat Palästina würde eine Enklave innerhalb Israels werden, von allen Seiten von israelischem Gebiet umgeben. So wie seinerzeit die südafrikanischen Bantustans.

Als Ehud Barak dies bei der Camp David-Konferenz vorschlug, brachen die Verhandlungen ab. Die meisten Palästinenser  könnten mit der vorübergehenden Stationierung  von UN oder amerikanischen Soldaten   dort einverstanden sein.

In der vergangenen Woche  tauchte plötzlich die Jordantal-Forderung wieder auf. Die Vorstellung war einfach. ISIS  stürmt  von seiner syrisch-irakischen Basis nach Süden. Es will den ganzen Irak überrennen. Von dort will es in Jordanien einfallen und auf der andern Seite des Jordan erscheinen.

Netanjahu sagte:„Wenn sie dort nicht von der permanenten israelischen Garnison aufgehalten werden, werden sie an den Toren Tel Avivs erscheinen (nur dass Tel Aviv keine Tore hat).

Logisch? Selbstverständlich?  Unvermeidlich?  Glatter Unsinn!



Falls  ISIS in die Nähe käme so ist es eine unbedeutende Militärkraft. Es hat keine Luftwaffe, Panzer oder Artillerie.  Der Iran und die US sind  gegen es. Verglichen mit ihnen ist sogar die irakische Armee noch eine starke Kraft. Als nächstes ist  auch die jordanische Armee weit entfernt von einem Kinderspiel.

Falls außerdem ISIS in die Nähe käme und das jordanische Königreich bedrohte, würde die israelische Armee nicht am Jordanfluss warten.  Sie würde von den Jordaniern  aufgefordert werden, zur Rettung zu kommen – wie es während des Schwarzen Septembers 1970 geschah, als Golda Meir ( auf Befehl  Henry Kissingers) warnte, einer sich nähernden syrischen Armee-Kolonne zuvorzukommen und in Israel einzufallen.Das war genug.

Allein die Idee, dass israelische Soldaten die Schanzen im Jordantal besetzen, um Israel vor ISIS  (oder anderen) zu verteidigen, ist reine Idiotie. Sogar idiotischer als die berühmte Bar Lev-Linie, die dafür gedacht war, die Ägypter entlang des Suez-Kanals 1973  aufzuhalten. Sie fiel innerhalb Stunden.  Doch die Bar-Lev-„Linie“ – die an die sinnlose französische Maginot-Linie und die sinnlose deutsche Siegfried-Linie des 2. Weltkrieges  erinnerte - war weit vom Zentrum Israels entfernt.

Die israelische Armee hat Raketen, Drohnen und andere Waffen, die einen Feind auf seinem Weg lang, lang bevor er den Jordan erreicht, anhalten kann.  Die Masse der israelischen Armee könnte sich innerhalb weniger Stunden von der Meeresküste  zum Fluss bewegen und ihn überqueren.

Die Art und Weise des Denkens zeigt, dass unsere  Politiker vom rechten Flügel – wie die meisten ihrer Überzeugung in aller Welt  scheinbar noch im 19. Jahrhundert leben, wie ich vermute.  Wenn ich  weniger großzügig  wäre, würde ich sogar Mittelalter sagen. Sie könnten noch mit Pfeil und Bogen ausgerüstet sein.

(Die ganze Art zu denken, erinnert mich irgendwie an ein Militärlied des 19.Jahrhunderts: „Die Wacht am Rhein: Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein/ Wer will des Stromes Hüter sein/ lieb Vaterland magst ruhig sein/fest steht und treu die Wacht am Rhein./Der deutsche Jüngling, fromm und stark,/  beschützt die deutsche Landesmark“.)

ZURÜCK ZUR Zukunft.

Die Kreuzfahrer errichteten ihr Königreich in Palästina, als die arabische Welt zerrissen war. Ihr großer Gegner, der Kurde Saladin (Salah al-Din al Ajubi) widmete Jahrzehnte, um die arabische Welt rund herum zu einigen, bevor er sie bei der Schlacht bei den Hörnern von Hittin bezwungen hatte.

Heute scheint die arabische Welt noch zerrissener als jemals. Aber eine neue arabische Welt nimmt Gestalt an; seine Konturen können schon  schwach erkannt werden.

Unser Platz ist mitten in der neuen Realität, nicht außerhalb zum Zuschauen.

Leider ist unsere Führung  völlig unfähig, dies zu sehen. Sie leben noch in der Welt von Sykes und Picot, einer Welt ausländischer Potentaten (jetzt die Amerikaner). Für sie ist das Chaos rund um uns -  nun, nur ein Chaos. Der Gründer des modernen Zionismus schrieb vor 118 Jahren, wir sollten in Palästina als Pioniere der europäischen Kultur dienen und einen „Wall gegen die  asiatische Barbarei sein.“

Unsere Führer leben noch in dieser eingebildeten Realität, anders formuliert: „ wie in einer Villa im Dschungel“

Was also tun, wenn die großen Raubtiere des Dschungels sich uns nähern und brüllen? Natürlich höhere Mauern bauen.  Was sonst?  (Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert