Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Archiv

Aug 9, 2014

Metro Gaza




Uri Avnery, 9.8.2014

TEL AVIV hat keine Metro. Jahrzehntelang wurde darüber diskutiert. Auf einander folgende Bürgermeister haben sie versprochen. Leider , keine Metro.

Als die israelische Armee den Gazastreifen betrat und ein erstaunliches System von Untergrund-Tunnels vorfand, machte eine Idee die Runde: Warum nicht die Hamas einladen, um für Tel Aviv die Metro zu bauen. Sie haben  Übung, sind Experten,  kennen die Technologie, die Pläne und haben die Menschenkraft.









Aber dieser Krieg war kein Scherz. Er ist eine schreckliche Tragödie.

WER HAT nach 29 Tagen Kampf gesiegt?

Natürlich ist es viel zu früh  endgültige Schlüsse zu ziehen.  Die Feuerpause mag zusammenbrechen. Es wird Monate, ja, Jahre dauern, um alle Konsequenzen  zu erkennen. Aber die israelische  allgemeine Weisheit hat schon ihre eigenen  Schlussfolgerungen gezogen: es  ist ein Unentschieden.

Diese Schlussfolgerung ist an sich eine Art Wunder. Einen ganzen Monat lang sind die israelischen Bürger mit einem Wortschwall von Propaganda bombardiert worden. Täglich, stündlich wurden sie einem endlosen Strom von Gehirnwäsche ausgesetzt.

Die politischen und militärischen Führer diktierten ein Bild des Sieges. Panzern und Truppentransportern, die aus dem Gazastreifen kamen, ist befohlen worden, große Flaggen flattern zu lassen. Alle Fotos von  Truppen, die den Streifen verließen, zeigten  lächelnde Soldaten. (In meiner Phantasie sehe ich die Soldaten, wie sie für den Ausgang übten; der Oberfeldwebel  rief: „Du dort gemeiner Cohen, dein Lächeln ist nicht breit genug!“

Nach der offiziellen Linie hat unsere Armee alle ihre Ziele erreicht.  Mission erfüllt. Die Hamas ist geschlagen worden, wie es einer der treuen „Militär-Korrespondenten“ sagte: „Die Hamas krabbelt auf allen vieren zur Feuerpause!“

Es ist deshalb eine große Überraschung, dass bei der ersten Volksbefragung nach dem Kampf 51% der israelisch-jüdischen Öffentlichkeit antwortete, der Krieg endete mit einem Unentschieden. Nur 36% antworteten, wir haben gewonnen, während 6% glauben, die Hamas habe gesiegt.

WENN EINE Guerilla-Organisation mit höchstens 10 000 Kämpfern ein Unentschieden erreicht, und zwar mit einer der mächtigsten Armeen der Welt, die mit den allermodernsten Waffen  der Welt ausgerüstet ist, dann ist das eine Art Sieg.

Hamas hat nicht nur  während des Kampfes eine Menge Mut gezeigt, sondern auch überraschenden Einfallsreichtum beim Vorbereiten dieser Kampagne. Am allerletzten Tag stand sie noch aufrecht. Um das zu zeigen, warfen sie noch  fünf Minuten bevor die Feuerpause begann, Dutzende Raketen nach Israel hinein.

Die israelische Armee hat andrerseits  sehr wenig Phantasie gezeigt. Sie war ganz unvorbereitet für das Gewirr von Tunnels. Der überaus erfolgreiche „Eiserne Dom“  zur Verteidigung von Raketen wurde von Zivilisten erfunden und vor acht Jahren von einem zivilen Verteidigungsminister installiert – gegen den ausdrücklichen Wunsch der Armee. Ohne diese Verteidigung würde der Krieg ganz anders ausgesehen haben.

Tatsächlich ist die Armee eine schwere, unhandliche, konservative Maschine geworden, wie ein Kommentator zu schreiben wagte. Sie folgte ihrer   bestehenden Routine, ohne spezielle Kräfte zu benützen. Ihre Routine war im Wesentlichen, die zivile Bevölkerung unter Beschuss zu haben und zu unterwerfen und so viele Tote  und so viel Zerstörung wie möglich zu verursachen und den Widerstand  so weit und so lang  wie möglich zu verhindern. In Israel weckten die Bilder des Todes und der Zerstörung kein Mitleid. Im Gegenteil. Die Leute waren stolz darauf.

Aber an Ende waren beide Seiten völlig erschöpft. Beide benötigten dringend die Feuerpause,

Für die israelische Führung war die einzige Alternative zum Rückzug die Eroberung des ganzen Gazastreifens. Dies hätte ihr ermöglicht, die Hamas physisch auszulöschen und ihre Infrastruktur aufzulösen. Aber die Armee  war streng dagegen und überzeugte auch die politische Führung.  Geschätzte 1000 israelische Soldaten wären getötet worden und der ganze Streifen wäre  in Ruinen verwandelt worden.

Vor 32 Jahren sah sich das  Begin-Sharon-Duo demselben Dilemma gegenüber. Die Eroberung von West-Beirut würde geschätzte 800 israelische Soldatenleben gekostet haben. Wie das  Netanjahu-Ya’alon-Duo jetzt entschieden sie dagegen.

Die israelische Gesellschaft wollte nicht so viele Todesfälle. Und der internationale Aufschrei gegen das zivile Gemetzel in Gaza würde zu viel gewesen sein.

Netanjahu tut also jetzt, was er niemals zu tun geschworen hat: er führt Verhandlungen mit der „verabscheuungswürdigen Terroristen-Organisation“ – Hamas.



ES GIBT eine psychische Erkrankung, die Paranoia vera genannt wird. Ihr Hauptsymptom: Der Patient har eine verrückte Annahme  (Die Erde ist flach; Kennedy  wurde von Außerirdischen getötet; die Juden regieren die Welt) und bauen ein ganzes logisches System darauf auf. Je logischer das System darum herum ist, umso kränker ist der Patient.

Israels augenblickliche Paranoia betrifft die Hamas. Die Annahme ist,  Hamas sei eine üble jihadistisch-terroristische Organisation, die darauf aus ist, Israel zu vernichten. .Wie ein Journalist es diese Woche ausdrückte: „Eine Bande von Psychopathen.“

Die ganze Politik Israels gründet sich auf diese Annahme. So war auch dieser Krieg.

Man kann  mit der Hamas nicht reden. Man kann  mit ihr keinen Frieden schließen. Man muss sie auslöschen.

Dieses dämonische Bild hat keine Verbindung mit der Realität.

Ich liebe die Hamas nicht. Im Allgemeinen  liebe ich  keine religiösen Parteien – nicht in Israel, nicht in der arabischen Welt, nirgendwo.  Ich würde nie für so eine Partei stimmen.

Aber die Hamas ist ein integraler Teil der palästinensischen Gesellschaft. Bei der letzten international überwachten palästinensischen Wahl hat sie die Mehrheit gewonnen.  Stimmt, sie hat im Gazastreifen  die Macht  mit Gewalt an sich gerissen, aber nur, nachdem sie eine klare Mehrheit bei der Wahl auch im Streifen gewonnen hatte.

Die Hamas ist nicht „Jihadistisch“ im Sinne der al-Qaida oder ISIS. Sie kämpft nicht für ein weltweites Kalifat. Sie ist eine palästinensische Partei, total der palästinensischen Sache verschrieben. Sie nennt sich selbst „der Widerstand“.  Sie legt der Bevölkerung keine religiösen Gesetze („Die Sharia“) auf.

Aber was ist mit der Charta der Hamas, die die Zerstörung des Staates Israels fordert und bösartige antisemitische Statements enthält?

Für mich ist dies frustrierend dejá vue. Die PLO hatte eine Charta, die auch die Zerstörung Israels enthielt. Dies tauchte endlos in der israelischen Propaganda auf.  Ein respektierter Professor und früherer militärischer Nachrichtendienstchef, Yehoshafat Harkavi, sprach jahrelang über nichts anderes. Erst nach dem Unterzeichnen des Oslo-Abkommens zwischen Israel und der PLO waren die relevanten Sätze dieses Dokumentes  offiziell gestrichen – und zwar in Gegenwart des Präsidenten Bill Clinton.

Wegen religiöser Einschränkungen kann die Hamas selbst kein Friedensabkommen unterschreiben. Aber wie religiöse Leute überall (besonders die Juden und Christen) hat sie Wege gefunden, um Gottes Gebote zu umgehen. Der Gründer von Hamas, der gelähmte Scheich Achmad Yassin (der die Charta  geschrieben hatte und von Israel ermordet wurde) schlug eine 30 Jahre dauernde  „Hudna“ vor. Eine Hudna ist eine  Waffenpause, die von Allah gesegnet ist und die bis zum Jüngsten Gericht verlängert werden kann.

Gush Shalom, die israelische Friedensorganisation, zu der ich gehöre, verlangte  als erste schon vor acht Jahren, dass unsere Regierung anfangen solle, mit der Hamas zu reden. Wir selbst hatten eine Reihe freundlicher Diskussionen mit mehreren Hamas-Führern.  Die augenblickliche Linie der Hamas ist  die, dass wenn Mahmoud Abbas  es gelänge, ein Friedensabkommen mit Israel zu unterzeichnen, würde Hamas dies akzeptieren – vorausgesetzt, es ist von einem Referendum ratifiziert worden.

Leider gibt es da wenig Hoffnung, dass Israel von dieser Paranoia bald geheilt wird.



NEHMEN WIR an, dass dieser Krieg wirklich vorüber ist, was wird bleiben?

Die Kriegshysterie, in die Israel während dieses Krieges versunken war, brachte eine ekelhafte Welle von Faschismus mit sich. Lynchmobs haben Araber in Jerusalem gejagt, Journalisten wie Gideon Levy benötigen Leibwächter, Universitätsprofessoren, die wagten, für den Frieden zu sprechen, wurden zensiert ( das könnte einen  weiteren  Boykott rechtfertigten, einen weltweiten akademischen Boykott, Künstler, die  vorsichtig Kritik übten, wurden entlassen).

Einige Leute glauben, dass dies ein Meilenstein im Verfall der israelischen Demokratie ist .Ich hoffe noch, dass die üble Welle sich zurückziehen wird. Aber etwas wird sicher bleiben. Faschismus ist vom Mainstream-Diskurs sanktioniert worden.

Ein Symptom des Faschismus‘ ist die Legende vom  „Messer im Rücken“ - Adolf Hitler verwendete sie auf dem Weg zur Macht. Unsere glorreiche Armee war kurz vor dem Sieg, als ein Kabale,  ein (jüdischer) Politiker,  ein Messer in ihren Rücken stieß. Man kann dies  schon jetzt in Israel hören. Die tapferen Soldaten hätten den ganzen Gazastreifen erobern können, wenn Netanjahu und seine Handlanger – der Verteidigungsminister und der  Stabschef – nicht den Befehl für einen schmachvollen Rückzug gegeben hätten.

Im Augenblick ist Netanjahu auf der Höhe seiner Volkstümlichkeit. Überwältigende 77% der jüdischen Bürger stimmten seiner Kriegsführung  zu. Aber dies kann sich über Nacht  ändern. Die Kritik, die jetzt flüsternd ausgedrückt wird - sogar in seiner eigenen Regierung -  mag nach draußen brechen/ nach außen dringen.

Am Ende mag Netanjahu  von denselben Superpatrioten verschlungen werden, die  er angeführt hat.

Die schrecklichen Bilder der Zerstörung und des Todes, die aus Gaza kommen, haben im Ausland einen tiefen, (bestürzenden) Eindruck gemacht. Sie können nicht einfach ausgelöscht werden. Ein anti-israelisches Gefühl wird bleiben, einiges davon  mit direktem Antisemitismus getönt. Israels (falsche) Behauptung, „ der Nationalstaat des jüdischen Volkes“ zu sein und die beinahe totale Identifizierung der Diasporajuden mit Israel wird unvermeidbar zur Anklage aller Juden für Israels Untaten führen.

Die Auswirkung auf die Araber ist bei weitem schlimmer. Für jedes getötete Kind, für jedes zerstörte Haus, werden sicher neue „Terroristen“ heranwachsen.



ES GIBT auch ein paar positive Folgen.

Dieser Krieg  hat vorübergehend eine unwahrscheinliche Koalition zwischen Israel, Ägypten, Saudi-Arabien und der Palästinensischen Behörde geschaffen.

Vor zwei Monaten war Abbas  noch der Prügelknabe von Netanjahu. Jetzt ist er der Liebling von Netanjahu und der israelischen öffentlichen Meinung. Gleichzeitig sind sich paradoxerweise  Abbas und Hamas  einander näher gekommen.

Dies könnte eine einzigartige Gelegenheit sein, einen ernsthaften Friedensprozess zu beginnen, und zwar als Folge der Lösung der Probleme des Gazastreifens.

Falls ….       (Aus dem Englischen Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)