Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Archiv

Feb 28, 2009

10 Methoden, Fatah umzubringen


Die israelische Politik ist in der Tat unglaublich dumm, aber in der Dummheit liegt Methode. Sie kann nur so weiter gehen, weil sie einer tief verwurzelten Neigung folgt, derer sich die meisten nicht bewusst sind oder die sie nicht zugeben mögen: Das gesamte Erez Israel zu behalten und die Entstehung eines palästinensischen Staats nicht zu ermöglichen.

Wenn wir das ändern wollen, müssen wir diese unbewusste Neigung ins Bewusstsein rufen und eine ehrliche Diskussion eröffnen. Wollen wir Frieden oder die Gebiete? Wollen wir Koexistenz oder Besatzung und ewigen Krieg?


10 Methoden, Fatah umzubringen

Uri Avnery

979 TAGE sind vergangen, seit der Soldat Gil'ad Shalit gefangen genommen wurde. An jedem dieser Tage hätte man ihn um den Preis, den die Hamas von Anfang an forderte, befreien können: Um 450 „bedeutende“ palästinensische Gefängnisinsassen, zusätzlich zu hunderten von anderen, sowie aller Frauen und Minderjährigen.

Nach der Auffassung unserer Regierung handelt es sich hierbei um die Rückgabe des "gekidnappten" Soldaten gegen die Freilassung von "abscheulichen Mördern" mit "Blut an den Händen".

Nach Auffassung der Hamas handelt es sich hier um die Rückgabe des jüdischen "Kriegsgefangenen", gegen die Freilassung hunderter "Widerstandskämpfer", die "mutige Angriffe im Gebiet des zionistischen Feindes" ausgeführt haben.

Viele hatten gehofft, Ehud Olmert würde die Sache noch vor dem Ende seiner Amtszeit in wenigen Wochen zu Ende bringen. Aber Olmert hat Angst. In den letzten Wochen hat er in dieser Angelegenheit einige Kehrtwendungen vorgenommen, einmal so und dann wieder anders herum. Er befindet sich in einem schweren Dilemma: Was ist populärer? Tun oder nicht tun?

Wenn er den Gefangenenaustausch durchführt und der Soldat nach Hause zurückkehrt, wird die Öffentlichkeit vor Freude ganz aus dem Häuschen sein. Olmert wird zum Helden des Tages. Aber wie lange wird es anhalten? Zwei Tage? Drei? Eine Woche? Dann wird man fragen: Wie ist es gekommen, dass diese schrecklichen Mörder frei gelassen wurden? Morgen werden sie neue Anschläge verüben, jüdisches Blut wird vergossen, Kinder werden umgebracht. Und Olmert wird zum Unhold vom Dienst.

Ein Mann von Charakter trifft solch eine Entscheidung und pfeift auf die Folgen. Olmert aber ist ein reiner Politiker, und nur ein Politiker, er ist nie mehr gewesen. Er ist mehr zynisch als moralisch, mehr schlau als klug. Er hofft noch immer, unbeschadet aus den Korruptions-Untersuchungen zu entkommen, um dann, nachdem Binyamin Netanyahu und Zipi Livni gescheitert sind, zurück an die Macht geholt zu werden. Es lohnt sich also vielleicht, die Shalit-Affaire dem nächsten Premierminister zu überlassen.


HINTER DER persönlichen Erwägung verbirgt sich aber auch ein politisches Problem. Wie würde sich ein Gefangenenaustausch auf das Kräfteverhältnis Fatah-Hamas auswirken?

Die Freilassung von 1200 palästinensischen Gefangenen würde in der palästinensischen Öffentlichkeit als großer Sieg der Hamas aufgenommen. Hier ist einmal wieder der Beweis, dass die Israelis nur die Sprache der Gewalt verstehen, wie Hamas es immer behauptet hat. Für Muhammad Abbas wird es eine große Blamage, besonders, wenn die Hamas auch die Freilassung von Marwan Barghouti, einer Führungspersönlichkeit der Fatah, erreicht.

Olmert könnte die Erniedrigung von Abbas verhindern. Er könnte morgen, als Geste dem palästinensischen Präsidenten gegenüber, tausend bedeutende Fatah-Leute, vorneweg Barghouti, frei lassen, und so den Sieg der Hamas trüben.

Einfach? Natürlich. Klug? Natürlich. Möglich? Ganz und gar nicht. Nicht hier in diesem Land. Nicht für Olmert und seine natürlichen Freunde. Abbas etwas umsonst geben? Gratis? Ja woher denn?! Kommt überhaupt nicht in Frage!

Hier wird wieder das Dilemma sichtbar, das die israelische Politik in Bezug auf die PLO seit Jahrzehnten begleitet. Es ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein psychologisches Dilemma.


VOR MEHR ALS 40 Jahren habe ich das spannende Buch des Psychologen Eric Berne gelesen: "Games People Play".

Eine der Thesen in diesem Buch spricht davon, dass der scheinbare Grund einer Handlung oft dem wirklichen, unbewussten Grund widerspricht. Zum Beispiel: Ein Gewohnheits-Krimineller versucht, eine Bank auszurauben, wird geschnappt und ins Gefängnis geschickt. Offen sichtlich ist sein Motiv: Er möchte mühelos reich werden. Sein wirkliches Motiv aber ist ein ganz anderes: Er fürchtet sich vor dem Leben außerhalb der Gefängnismauern. In seinem Unterbewusstsein hofft er, geschnappt und ins Gefängnis gesteckt zu werden, dort fühlt er sich wohl, seine Position in der Hierarchie der Insassen ist gesichert.

Wenn ich an das seltsame Verhältnis der israelischen Regierungen zur PLO denke, fällt mir oft diese Theorie ein.


IM SEPTEMBER 1993, nach einem langen, blutigen Kampf, unterzeichnete Yitzhak Rabin einen Vertrag mit Yassir Arafat, in dem er die PLO als alleinigen Vertreter der Palästinenser anerkannte. Die logische Schlussfolgerung war, dass Israel die Errichtung eines palästinensischen Staates neben dem israelischen unterstützte, und alles unternähme, um Arafat und die "Palästinenserbehörde", die infolge des Vertrags eingerichtet wurde, zu stärken.

Dann aber, wie seltsam, taten alle israelischen Regierungen genau das Gegenteil.

Rabin selbst fing am Morgen nach den Oslo-Verträgen schon damit an. Nachdem er beschlossen hatte, es läge im nationalen Interesse Israels, mit Arafat zusammen zu arbeiten, wäre es vernünftig gewesen, Arafats Autorität in der Westbank und im Gazastreifen zu stärken und so bald wie möglich, noch vor der in den Oslo-Verträgen gesetzten Zeitgrenze 1999, einen Friedensvertrag mit ihm zu unterzeichnen.

Trotz seines dämonischen Rufs in Israel war Arafat ein idealer Partner. Er war eine starke Führungspersönlichkeit von allgemein anerkannter Autorität in allen Teilen der palästinensischen Bevölkerung, auch bei denen, die ihn kritisierten, also auch bei Hamas. Er verfügte über zwei Eigenschaften, die zum Schließen von Frieden unabdingbar sind: Den Willen dazu, ein Übereinkommen zu erreichen und die Fähigkeit, sein Volk davon zu überzeugen, es anzunehmen.

Aber seltsamerweise tat die israelische Regierung genau das Gegenteil. Die Friedensverhandlungen führten nirgendwo hin. Errichtung und Ausbau von Siedlungen wurden verstärkt fortgeführt. Überall in den besetzten Gebieten konnte man die neuen roten Ziegeldächer der Siedler entdecken. Die lebensnotwendige Passage zwischen Westbank und Gazastreifen wurde nicht eröffnet – trotz der ausdrücklichen Verpflichtung der israelischen Regierung, vier "sichere Übergänge" zu öffnen. Nicht nur, dass die wirtschaftliche Situation der Palästinenser sich nicht besserte, im Gegenteil, sie wurde schlechter. Vor Oslo konnten die Palästinenser sich im ganzen Land bewegen, auch in Israel selbst, ausgerechnet nach dem Abkommen wurde ihre Bewegungsfreiheit mehr und mehr beschränkt.

All das geschah noch zu Zeiten Rabins. Nach seiner Ermordung ist es sehr viel schlimmer geworden. Der ausgesprochen dumme Beschluss seines Nachfolgers Shimon Peres, den "Ingenieur", den Bomben-Macher Jahya Ajash umzubringen, führte zu einer Welle von Anschlägen und förderte den guten Ruf der Hamas in der palästinensischen Öffentlichkeit – was dem israelischen Interesse, wie es von unserer Führung bestimmt wurde, sicher widersprach.

Auf der Camp-David-Konferenz 2000 wurde dann der Höhepunkt erreicht. Der damalige Premierminister Ehud Barak initiierte sie und ließ sie, in einer jämmerlichen Mischung aus Angeberei und Ignoranz, scheitern. Anstatt nun zu verkünden, die Gespräche würden weiter geführt, bis ein Abkommen erreicht würde, verbreitete er gebetsmühlenartig das Mantra: "Wir haben niemanden zum Reden! Wir haben keinen Partner für den Frieden!" Er wurde auch durch den üblen Einfluss seines (damaligen und jetzigen) Beraters Amos Gilad inspiriert, der Geheimdienstberichte verdrehte, bis sie ihm in den Kram passten.

Barak zerstörte nicht nur die "zionistische Linke", er versetzte auch der Fatah einen Schlag, von dem sie sich nicht erholen sollte, der Fatah, die dem palästinensischen Volk den Frieden mit Israel versprochen hatte. Damit nicht genug, gestattete Barak Ariel Sharon seinen provokativen Besuch auf dem Tempelberg, in Begleitung von hunderten von Polizisten und Soldaten. So verursachte er die zweite Intifada und bereitete den Weg für Sharon.

Als Sharon 2001 an die Macht kam, war er fest entschlossen, Arafat und die Fatah zu zerstören. Er belagerte Arafat in seinem Büro in der Mukata in Ramallah und zerstörte die Infrastruktur der Fatah in der gesamten Westbank. Nachdem Arafat ermordet wurde (es ist nicht schwer, zu erraten, von wem), wurde Abbas an seine Stelle gewählt.

Im Gegensatz zu Arafat, der jahrzehntelang von der israelischen Führung dämonisiert und geschmäht wurde, hatte Abbas in Israel den Ruf eines netten, friedliebenden Mannes, eines wahrhaft idealen Partners für den Frieden. Man hätte nun meinen können, die israelische Regierung hätte sich Mühe gegeben, sein Regime durch Fortschritte in den Verhandlungen zu stärken, durch Freilassen von Gefangenen, durch Siedlungs-Stop. Aber nein, überraschenderweise geschah genau das Gegenteil. Sharon machte sich öffentlich über ihn lustig, er sei ein "gerupftes Huhn", die Siedlungen wurden mit erhöhter Geschwindigkeit weiter gebaut und in Windeseile wurde die Mauer errichtet.

Zu allem Überfluss führte Sharon den "Abzug" aus dem Gazastreifen ohne jede Absprache mit palästinensischen Behörden durch, und hinterließ so ein Chaos, in dem die Hamas blühen und gedeihen konnte.


DIE FOLGEN ließen nicht lange auf sich warten: In den international überwachten palästinensischen Wahlen konnte die Hamas einen Sieg erringen, der alle überraschte, nicht zuletzt die Hamas selbst. Israel boykottierte die neue Hamas-Regierung. Um den Schaden für seine Bewegung zu begrenzen, stimmte Abbas zu, eine Einheitsregierung mit Fatah und Hamas zu bilden, aber Israel boykottierte auch diese Regierung.

Diese Situation nützte natürlich der Hamas. Die palästinensische Unterstützung von Abbas basiert hauptsächlich auf der Hoffnung, er könne Frieden mit Israel bringen. Wenn er das nicht kann, wozu ist er dann zu gebrauchen?

Die israelische Regierung – und ihre Satelliten in Washington DC – gaben sich damit nicht zufrieden. Sie versuchten, im Gazastreifen Muhammad Dahlan an die Macht zu bekommen, einen Mann, der von vielen Palästinensern als Agent der israelischen und der US- Regierung betrachtet wird. Um dies zu verhindern, ergriff die Hamas im Gazastreifen die Herrschaft und so entstand "Hamastan". Abbas verlor also die Macht über fast die Hälfte der Palästinenser in den besetzten Gebieten.

So etwas wäre nicht möglich gewesen ohne die absolute Trennung des Gazastreifens von der Westbank durch Israel, womit Israel Verträge verletzte, die es unterzeichnet hatte. In den Oslo-Abkommen heißt es ausdrücklich, Gazastreifen und Westbank sind als ein Gebiet anzusehen, und Israel verpflichtete sich "vier sichere Übergänge" zwischen den beiden einzurichten. Es ist kein einziger Übergang eingerichtet worden, nicht einmal für einen einzigen Tag. Wer also behauptet, Israel habe der Hamas den Gazastreifen auf einem silbernen Tablett überreicht, hat nicht übertrieben.

Alles weitere ist bekannt: Israel blockierte den Gazastreifen, Hamas schoss Raketen auf Israel, ein Waffenstillstand wurde erklärt, die israelische Armee brach ihn, indem sie in den Gazastreifen einmarschierte und einige Hamas-Aktivisten tötete, Hamas schoss weiter Raketen, Israel begann den Gaza-Krieg. Die israelische Führung verkündete, sie führe diesen Krieg auch für Abbas, und so gelang es ihr, ihn in den Augen der Palästinenser als Kollaborateur mit dem Feind gegen sein eigenes Volk darzustellen. Das Regime der Hamas in Gaza blieb wie gehabt.

Das Ergebnis netto: Die Hamas geht aus den Ereignissen unermesslich gestärkt hervor. Allen Erwartungen zufolge wird sie in den nächsten palästinensischen Wahlen an Macht gewinnen. Die meisten Regierungen in der Welt haben jetzt verstanden, dass man mit Hamas Gespräche führen muss.


VIELE LEUTE auf der Welt glauben der antisemitischen Behauptung, die Juden wären ein außerordentlich kluges Volk, und all ihre Handlungen bezeugten ihre diabolische Schlauheit. Demnach wäre der Aufstieg der Hamas das Ergebnis einer ausgetüftelten zionistischen Konspiration. Die Existenz von Abbas (und vor ihm Arafat) hindert die Juden daran, das ganze Land zu beherrschen, da die Welt einen Kompromiss mit der "moderaten" palästinensischen Führung fordert. Die Welt akzeptiert aber, dass mit der mörderischen Hamas kein Kompromiss geschlossen werden kann, deshalb sind die schlauen Juden so interessiert an einem Sieg der Hamas.

Andererseits glauben viele Israelis, ihre Regierungen seien zusammengesetzt aus unglaublich dummen Politikern, die keine Ahnung haben, was sie tun. Diese Israelis glauben, dass all die Aktionen, die die Fatah geschwächt und die Hamas gestärkt haben, einfach das Ergebnis israelischer Dummheit sind.

Ich möchte einen Kompromiss zwischen diesen beiden Auffassungen vorschlagen: Die israelische Politik ist in der Tat unglaublich dumm, aber in der Dummheit liegt Methode. Sie kann nur so weiter gehen, weil sie einer tief verwurzelten Neigung folgt, derer sich die meisten nicht bewusst sind oder die sie nicht zugeben mögen: Das gesamte Erez Israel zu behalten und die Entstehung eines palästinensischen Staats nicht zu ermöglichen.

Wenn wir das ändern wollen, müssen wir diese unbewusste Neigung ins Bewusstsein rufen und eine ehrliche Diskussion eröffnen. Wollen wir Frieden oder die Gebiete? Wollen wir Koexistenz oder Besatzung und ewigen Krieg?

Es ist zu spät, um das Rad zurück zu drehen. Hamas ist ein Teil der Realität geworden. Es liegt in israelischem Interesse, dass eine palästinensische Einheitsregierung gebildet wird, eine Regierung, mit der wir ein Abkommen erreichen können, das auch eingehalten wird. Wenn wir beim Erstarken der Hamas und ihrem wachsenden Einfluss unter den Palästinensern schon so eine zentrale Rolle gespielt haben, sollten wir langsam anfangen, mit ihr zu reden.

So können wir auch Gil'ad Shalit in einem Gefangenenaustausch frei bekommen – vor seinem tausendsten Tag in Gefangenschaft.


(dt. Weichenhan-Mer Gudrun, vom Verfasser autorisiert)