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Wen soll man wählen?
EIN SOWJETISCHER Bürger ging einst zum Wählen. Ihm wurde ein verschlossenes Kuvert gegeben und gesagt, er möge dieses in die Wahlurne stecken.
„Könnte ich vielleicht nachschauen, wen ich wähle?“ fragte er schüchtern.
„Natürlich nicht!“ antwortete der Wahlleiter empört, „in der Sowjet Union sind die Wahlen geheim!“
In Israel sind die Wahlen ebenfalls geheim. Deshalb werde ich nicht sagen, wen ich wählen werde. Sicherlich werde ich auch nicht so unverschämt sein, meinen Lesern zu sagen, wie sie wählen sollen. Aber ich werde die Argumentation darlegen, die mich leitet.
Wenn dies ein Schönheitswettbewerb wäre, dann würde ich Yair Lapid wählen. Er sieht so hübsch aus.
Wenn wir entscheiden müssten, wer der sympathischste Kandidat ist, wäre es wahrscheinlich Moshe Kachlon. Er scheint ein sehr netter Kerl zu sein, der Sohn einer armen, orientalischen Familie, der als Minister für Kommunikation das Monopol der Mobiltelefon-Magnaten gebrochen hat. Aber Sympathie hat nichts damit zu tun.
Falls wir einen netten Kerl mit guten Manieren suchen, dann wäre Yitzhak Herzog offensichtlich der Kandidat. Er ist ehrlich, wohlgesittet und aus guter Familie.
Und so weiter. Falls wir nach einem Barwächter ausschauen, dann wäre Avigdor Lieberman mein Mann. Falls ich nach einem geschmeidigen TV-Darsteller suchen würde, dann wären Lapid und Benjamin Netanjahu mehr als passend.
Aber ich schaue nach einer Person, die wenigstens Kriege verhindern wird (und uns vielleicht näher zum Frieden bringt.), die uns eine Art sozialer Gerechtigkeit zurück bringt, ein Ende der Diskriminierung von Frauen, Arabern und jüdisch-orientalischen Bürgern, unser Gesundheits-und Bildungssystem und andere soziale Dienste wieder herstellt.
LASSEN SIE mich mit dem leichteren Teil beginnen: wen ich unter keinen Umständen wählen werde.
Auf der extremen Rechten ist Eli Yishais „Beyahad“ (Zusammen)-Partei. Niemals liebte ich Yishai. Bevor er sich von „Shas“ trennte, war er Innenminister und verfolgte Flüchtlinge aus dem Sudan und Eritrea ohne eine Spur von Mitleid.
Mit seiner neuen Partei versucht Yishai verzweifelt, die Minimalklausel, die jetzt bei 3,25% liegt, zu überwinden und machte mit den Anhängern des verstorbenen und nicht beweinten Rabbi Meir Kahane , der als Faschist vom Obersten Gerichtshof gebrandmarkt wurde, ein Abkommen.
Nummer vier der Liste ist jetzt Baruch Marzel, der einmal mich zu ermorden öffentlich aufrief. Selbst eine Flasche des edelsten Weines wird von ein paar Tropfen Zyanid verdorben.
Der nächste auf der Liste ist Avigdor Lieberman, dessen Hauptwahlplattform der Vorschlag ist, alle arabischen Bürger, die gegenüber dem Staat nicht loyal sind, mit der Axt zu köpfen. (Ich habe das nicht erfunden.)
Naftali Bennett ist nicht weit davon entfernt; der frühere Hightech-Unternehmer trägt die kleinste Kippa auf Erden. Nachdem er die National-religiöse Partei in feindseliger Übernahme erobert hatte, verwandelte er sie in ein wirksames Instrument.
Die National-religiöse Partei war einmal eine sehr moderate politische Kraft, die David Ben Gurions Abenteuerpolitik bremste. Aber ihr halb autonomes Bildungssystem hat Generationen zu Extremisten gemacht. Jetzt ist es die Partei der Siedler, und Bennett wirbt um junge araberhassende, kriegsliebende, säkulare Juden, die sonst Likud wählen würden.
DAMIT KOMMEN wir zu Likud, der Partei von „König Bibi“, wie Time-Magazin ihn bewundernd nannte.
Benjamin Netanjahu kämpft um sein politisches Überleben. Vor ein paar Monaten, als er sich entschied, die Knesset zu entlassen und zu vorgezogenen Wahlen aufrief, träumte er sicher nicht von solch einer misslichen Lage.
Es schien, als ob Israels Marsch zur Rechten unvermeidlich und nicht aufzuhalten, ja, dass Netanjahus ewige Herrschaft vorherbestimmt war. Es schien, dass die Linke einem erbärmlichen Ende gegenüberstand, und dass die Mitte sich ins Nichts auflöste. Es war für Netanjahu nur eine Sache, seine Pferde zu wechseln (oder die Esel, wie mancher sagen würde).
Und nun sind wir hier, ein paar Tage vor der Wahl mit einem fast verzweifelten Likud.
Warum? Wie?
Es scheint so, dass die Leute einfach genug von Netanjahu haben. Sie scheinen zu sagen: genug ist genug.
Als Franklin Delano Roosevelt, ein großer Führer im Frieden und im Krieg, zum vierten Mal gewählt wurde, entschied das amerikanische Volk, die Amtsperiode der Präsidenten hinfort auf zwei zu begrenzen. Vielleicht hat das israelische Volk dasselbe entschieden: drei Amtsperioden von Netanjahu sind einfach genug. Danke.
Im Internet zirkuliert gerade ein lustiger, kleiner Film. Netanjahu steht auf dem Podium des Kongresses wie ein Turnlehrer in der Schule (oder wie der Dompteur von sehr zahmen Löwen in einem Zirkus), der seine Schüler kommandiert: „Aufstehen! Hinsetzen! Aufstehen! Hinsetzen!“ und das mit Kongressmännern und Senatoren, die auf sein Kommando hin aufspringen.
Die Meinungsmacher des Likud hofften, dass dieser Anblick sein Glück bei den Wahlen verbessern würde. Und tatsächlich, ein paar Tage lang stiegen seine Zahlen bei den Umfragen von trüben 21 Sitzen (von 120) auf 23. Aber dann gingen sie wieder nach unten und blieben bei 21, mit Herzog bei 24. Vielleicht sprangen die Senatoren nicht hoch genug?
Wohin gehen die Likudstimmen? Zunächst vor allem zu Bennetts Partei. Das würde keine vollkommene Katastrophe für Netanjahu bedeuten, da Bennett, trotz all dem Hass zwischen beiden, Netanjahu in der Knesset unterstützen muss.
ABER EINIGE der Stimmen werden zu den beiden Zentrumsparteien von Kachlon und Lapid gehen, deren eventuelle Loyalität unsicher ist.
Kachlon kommt vom Likud. Er war ein typisches Parteimitglied, Sohn von Einwanderern aus Tripoli (Libyen), der Liebling des Zentralkomitees der Partei. Ein Likud-Mitglied kann ihn jetzt mit gutem Gewissen wählen, besonders da er die soziale Situation verändern und das Los der Armen verbessern will.
Lapid ist in etwa derselbe mit einem großen Unterschied: er war schon Finanzminister gewesen, während Kachlon nur hofft, Finanzminister zu werden. Obwohl Lapid ein unbegrenztes Talent hat, seinen riesigen Erfolg in diesem Job zu erklären, ist die allgemeine Meinung, dass er nur mäßig gut war, wenn nicht gar ein völliger Fehlschlag.
Keiner – nicht einmal sie selbst – wissen die Antwort auf die entscheidende Frage: werden Kachlon und Lapid sich einer Netanjahu- oder einer Herzogregierung anschließen? Beides ist möglich. Kein Problem. Es könnte wie bei einer öffentlichen Auktion sein, wo es darauf ankommt, wer mehr zahlen wird. Mehr Ministerien, mehr Budgets, mehr Jobs. Es wird wahrscheinlich vom Ergebnis der Wahlen abhängen.
Dasselbe gilt auch für die beiden orthodoxen Parteien – die orientalische Shas und die aschkemasische „Thora-Judentum“-Partei. Sie glauben an Gott und das Geld, und Gott mag sie anweisen, sich der Koalition anzuschließen, die das meiste Geld für ihre Institutionen anbietet.
So gibt es mindestens vier „Zentrums“-Parteien, die entscheiden können, ob Netanjahu oder Herzog unser nächster Ministerpräsident werden wird. Liebermans schrumpfende Partei könnte die fünfte sein.
Natürlich denk ich nicht im Traum daran, eine von diesen zu wählen.
WAS BLEIBT übrig? Eine Wahl zwischen drei: Labor, jetzt „das zionistische Lager“ genannt, Meretz und die Gemeinsame (arabische) Liste.
Die Arabische Liste ist aus vier sehr verschiedenen Parteien zusammengesetzt; die kommunistische, die muslemische, die nationalistische und eine private. Es ist eine Zwangsehe mit Lieberman, der die Waffe hält: er war es, der die Knesset dahin brachte, die Minimalklausel höher zu stellen, um die kleinen arabischen Parteien aus der Knesset zu verbannen. Die Antwort ist, dass die vier kleinen Parteien eine große vereinigte Liste bilden, die jetzt bei den Wahlen den dritten Platz nach den zwei großen Parteien einnehmen.
Die Araber in Israel sind Bürger zweiter Klasse, diskriminiert und manchmal verfolgt. Was wäre für einen progressiven jüdischen Bürger humaner, als genau für diese Liste zu stimmen?
Für mich wäre es natürlich, da ich 1984 behilflich war, die erste vollkommen integrierte arabisch-jüdische Wahlliste zu schaffen (die „Progressive Liste für den Frieden“), die zwei Amtszeiten gewann (die kommunistische Partei ist fast komplett arabisch mit einigen jüdischen Mitgliedern).
Aber die Gemeinsame Liste ist für mich problematisch. Vor ein paar Tagen erschütterte sie mich mit einer schicksalhaften Entscheidung.
Es betrifft die übrig gebliebenen Stimmen. Nach unserm Wahlgesetz können zwei Listen ein Abkommen treffen, nach dem die „übrigen“ Stimmen von beiden zusammengelegt und in eine von beiden gelegt werden („Die Übriggebliebenen“ sind die, die noch geblieben sind, nachdem der Partei die Sitze zugewiesen worden sind, für die sie die volle Zahl der Stimmen hat.)
Die Parteien der linken Seite haben sich einen Plan erdacht, nachdem die Gemeinsame Liste ihre Übriggebliebenen mit denen von Meretz vereinigen soll. Das könnte einem von ihnen und damit dem ganzen linken Block einen Sitz mehr geben, der entscheidend sein könnte.
Die Gemeinsame Liste weigerte sich, weil Meretz eine zionistische Partei ist. Die Entscheidung mag logisch gewesen sein, da viele arabische Wähler sich möglicherweise vor der Wahl drücken könnten, falls sie fürchten, dass ihre Stimmen einer jüdisch „zionistischen“ Liste zugutekommen könnten. Aber es zeigte auch, dass, wenn sie mit einer wichtigen Entscheidung konfrontiert sind, die Islamisten der Gemeinsamen Liste eine gemeinsame Entscheidung für den Frieden blockieren könnten. Damit habe ich ein Problem.
So bleibt mir Meretz und das „Zionistische Lager“. Meretz ist meinen Ansichten näher als die größere Liste. Aber nur die größere Liste kann Netanjahu absetzen. Das Problem hätte nicht existiert, wenn mein Vorschlag für eine gemeinsame Liste, das „Zionistische Lager“, Meretz, Lapid und andere, angenommen worden wäre. Aber all diese Parteien weigerten sich.
Nun stehe ich also vor einer Wahl: entweder stimme ich ideologisch für Meretz oder stimme ich pragmatisch für die Partei, deren Chancen größer sind, Netanjahus Herrschaft ein Ende zu bereiten, falls sie als größte Partei in der nächsten Knesset auftaucht. Aber diese Partei hat viele Fehler, die mir schmerzlich bewusst sind.
Otto von Bismarck, einer der größten Staatsmänner aller Zeiten, beschrieb die Politik als „die Kunst des Möglichen“. Es ist jetzt möglich, den Marsch der Rechten zu stoppen und einige Vernunft in unserm Land wieder herzustellen. Also wen sollte ich wählen? (Aus dem Englischen: E.Rohlfs,A.Butterweck, vom Verfasser autorisiert)