Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Jun 8, 2015

Die wirkliche Nakba


Uri  Avnery,  6.6. 15

VOR DREI Wochen  war Nakbatag – der Tag, an dem Palästinenser innerhalb und außerhalb Israels  an ihre „Katastrophe“ denken – den Exodus  von mehr als der Hälfte des palästinensischen Volkes aus den von Israel besetzten Gebieten im Krieg von 1948.

Jede Seite hat ihre eigene Version dieses folgenschweren Ereignisses.




Nach der arabisch-palästinensischen Version kamen die Juden von nirgendwoher, und ein friedliebendes Volk  wurde angegriffen und aus seinem Land vertrieben.

Nach der zionistischen Version akzeptierten die Juden  den Kompromiss-Teilungsplan der UN, aber die Araber  wiesen ihn zurück und begannen einen blutigen Krieg, währenddessen sie von den arabischen Staaten überredet wurden, ihre Häuser zu verlassen, um dann mit den siegreichen arabischen Armeen zurückzukehren.

Beide Versionen sind äußerster Unsinn – eine Mischung von Propaganda, Legende und verdrängten Schuldgefühlen.

Während des Krieges war ich Mitglied einer mobilen Kommando-Einheit, und diese war  auf der ganzen Südfront aktiv. Ich war ein Augenzeuge von dem, was dort geschah.

Ich schrieb während des Krieges ein Buch („In den Feldern der Philister“) und eines  direkt nach dem Krieg („Die andere Seite der Münze“). Sie erschienen zusammen 1948 auf Deutsch unter dem Titel „ Die andere Seite der Münze“. Ich schrieb auch in der ersten Hälfte  meiner Autobiographie („ Optimistisch“); das  im letzten Jahr auf Hebräisch erschien. Ich werde zu beschreiben  versuchen, was wirklich geschah. „1948 - eine Soldatengeschichte“.

ZU ALLERERST müssen wir uns  davor hüten, 1948 mit den Augen von 2015 zu sehen. So schwierig es auch sein mag, so müssen wir versuchen, uns in die Realität von damals zu versetzen. Anders sind wir nicht in der Lage, das zu verstehen, was tatsächlich geschah.

Der Krieg von 1948 war einmalig. Er war eine Folge historischer Ereignisse, die nirgendwo eine Parallele hat. Ohne seinen historischen, psychologischen, militärischen und politischen Hintergrund zu berücksichtigen, ist es unmöglich, zu verstehen, was damals geschah. Weder die Auslöschung der einheimischen Amerikaner durch die weißen Siedler noch die verschiedenen kolonialen Genozide ähneln dem.

Die unmittelbare Ursache war die UN-Resolution vom November 1947: die Teilung Palästinas.  Sie wurde von den Arabern sofort abgewiesen, die  die Juden als fremde  Eindringliche ansahen. Die jüdische Seite akzeptierte diese Teilung. Aber David Ben Gurion rühmte sich später damit, er hätte  nicht die Absicht gehabt, mit den Grenzen von 1947 zufrieden zu sein. Als der Krieg Ende 1947 begann, lebten im britisch beherrschten Palästina über 1,250 000 Araber und 635000 Juden. Sie lebten in getrennten Nachbarschaften in den Städten (Jerusalem, Tel Aviv. Jafa, Haifa) und in benachbarten Dörfern.

Der Krieg von 1948/49 bestand tatsächlich  aus zwei Kriegen, die ineinander über-gingen. Vom Dezember 47 bis Mai 48 war es ein Krieg zwischen den Arabern und der jüdischen Bevölkerung innerhalb Palästinas, von Mai bis zum Waffenstillstand anfangs 1949 war der 2. Krieg. Es war ein Krieg zwischen der neuen israelischen Armee und den Armeen der arabischen Länder – hauptsächlich der jordanischen, ägyptischen, syrischen und irakischen.



IN DER ersten und entscheidenden Phase war die palästinensische Seite in zahlreichen Dörfern  klar die überlegene Seite. Die arabischen Dörfer beherrschten fast alle Landstraßen; die Juden konnten sich  nur in eilig gepanzerten Bussen und mit bewaffneten Wächtern  bewegen.

Doch die jüdische Seite hatte eine vereinigte Führung unter Ben Gurion und schuf eine vereinigte, disziplinierte,  gut organisierte militärische Truppe, während die Palästinenser nicht in der Lage waren, eine vereinigte Führung und Armee aufzubauen.  Dies zeigte sich als entscheidend.

Auf beiden Seiten gab es keinen wirklichen Unterschied zwischen den Kämpfern und den Zivilisten. Die arabischen Dorfbewohner besaßen Gewehre und Pistolen und eilten zur Szene, wenn eine vorbeifahrende jüdische Fahrzeugkolonne angegriffen werden sollte. Die meisten Juden waren  in der Haganah organisiert, der bewaffneten  Untergrund-Verteidigungskraft. Die beiden „terroristischen“ Organisationen, der Irgun und  die  Stern-Gruppe, vereinigten sich mit der gemeinsamen Kraft, der Haganah.

Auf beiden Seiten wusste man, dass dies ein existentieller Kampf war.

Auf der jüdischen Seite war es die unmittelbare Aufgabe, die arabischen Dörfer an den Landstraßen zu vertreiben. Das war der Beginn der Nakba,

Von Anfang an  warfen Gräueltaten böse Schatten auf beide Seiten. Wir sahen Araber, die in Jerusalem  mit abgetrennten Köpfen unserer Kameraden marschierten. Es  gab auch  Gräueltaten, die von unserer Seite begangen wurden, die ihren Höhepunkt in dem berühmten Deir Yassin –Massaker fanden, einem Jerusalem benachbarten Ort. Es wurde von der  Irgun-Stern-Gruppe angegriffen. Viele seiner männlichen Bewohner  wurden massakriert, mit vielen Frauen marschierte man durch das jüdische Jerusalem. Vorfälle wie diese  schufen von Anfang an die  Atmosphäre des existentiellen Kampfes.

Durchweg war dies ein total ethnischer Kampf zwischen beiden Seiten, von denen jede Seite behauptete, das ganze Land  sei ausschließliche seine Heimat und leugnete die Behauptung der anderen Seite. Lange bevor der Ausdruck „Ethnische Säuberung“  aufkam, geschah dies während des ganzen Krieges. Nur wenige Araber blieben in den von  Juden eroberten Gebieten (im Etzion Block, in  der Altstadt von Jerusalem) Überhaupt keine  Juden blieben in den wenigen von arabischer Seite eroberten Stadtteilen.

Als der Mai näher kam und die Erwartung, dass sich arabische Armeen in den Konflikt  einmischen würden, versuchte die jüdische Seite, eine Zone zu schaffen, aus der alle nichtjüdischen Bewohner entfernt wurden.  

Man muss verstehen, dass die arabischen Flüchtlinge nicht „das Land verließen“. Als ihre Dörfer beschossen wurden – gewöhnlich bei Nacht -  nahmen sie ihre Familien mit sich und flohen ins nächste Dorf, das dann unter Feuer kam und so weiter. Am Ende fanden sie zwischen sich und ihrem Heim eine Waffenstillstandslinie.



DER PALÄSTINENSISCHE Exodus war kein gerader Prozess: Er veränderte sich von Monat zu Monat, von Ort zu Ort und von Situation zu Situation.

Zum Beispiel: die Bevölkerung von Lod war gezwungen zu fliehen, da  wahllos  auf sie geschossen wurde. Als Safed erobert wurde – gemäß dem  Kommandeur: Wir trieben sie nicht aus –  öffneten wir nur einen Korridor für sie, damit sie fliehen konnten.

Bevor Nazareth besetzt wurde, signierten die örtlichen Führer ein Dokument der Übergabe, und der Stadtbevölkerung wurde Leben und Besitz garantiert. Der jüdische Kommandeur, ein kanadischer Offizier mit Namen Dunkelman wurde dann  mündlich der Befehl gegeben, sie zu vertreiben. Er weigerte sich und verlangte einen schriftlichen Befehl, der niemals ankam. Darum ist Nazareth noch heute eine arabische Stadt.

Als Jafa erobert wurde, flohen die meisten Einwohner übers Meer nach Gaza. Diejenigen die  nach  der Übergabe blieben, wurden auf Lastwagen geladen und in Richtung Gaza geschickt.

Während der große Teil der Vertreibung aus militärischer Notwendigkeit geschah, gab es  sicher einen unbewussten, halb bewussten oder bewussten Wunsch, die arabische Bevölkerung loszuwerden. Es lag „im Blut“ der zionistischen Bewegung.-  noch bevor Theodor Herzl überhaupt an Palästina dachte. Tatsächlich schlug Theodor Herzl  - als er den Entwurf seines  bahnbrechenden Buches   „Der Judenstaat“ schrieb  - den jüdischen Staat in Patagonien (Argentinien)zu gründen  und forderte auf, alle einheimischen Bewohner zu vertreiben.

Nachdem die arabischen Armeen sich im Mai den Krieg eingemischt hatten, wurden die Ägypter  nur 22km  vor Tel Aviv gestoppt. Mit der UN wurde eine ein-Monat langeFeuerpause  verabredet, und  von der israelischen Seite wurde diese dazu benützt,  sich selbst mit  schweren Waffen (Artillerie, Panzern, Militärflotte, Kampfflieger)  auszurüsten – ja, die von Stalin für sie in der Tschechei geliefert wurde( sie wurden im 2. Weltkrieg für die Wehrmacht  produziert und einige Gewehre hatten noch Hakenkreuze  eingeritzt. In der sehr schweren Schlacht vom Juli begann die israelische Seite zu gewinnen. Von da an wurde  die militärische  Entscheidung getroffen, die arabische Bevölkerung  zu  vertrieben. Die . Einheiten bekamen den Befehl, auf jeden Araber zu schießen, der versuchte, in sein Heimatdorf zurück-zukehren

Der entscheidende Moment kam zum Ende des Krieges, als  entschieden wurde, den Flüchtlingen die Rückkehr nicht zu erlauben. Es gab keine offizielle Entscheidung. Die Idee kam nicht einmal auf, als die jüdischen Flüchtlinge aus Europa, die Überlebenden des Holocaust, das Land überfluteten und die Orte füllten, die von den Arabern. verlassen worden waren.

Die zionistische Führung war sich sicher, dass innerhalb einer oder zweier Generationen die Flüchtlinge vergessen sein werden. Das war ein Irrtum

ES SOLLTE  daran erinnert werden, dass all dies  nur wenige Jahre  nach der Massenvertreibung  der Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und den baltischen Staaten geschah, was als normal akzeptiert wurde.

Wie eine griechische Tragödie wurde die Nakba  durch den Charakter  all seiner  Teilnehmer, Täter und Opfer aufbereitet. Jede Lösung des „Problems“ müsste mit einer bedingungslosen Entschuldigung von Israel  für seinen Teil der Schaffung der Nakba beginnen.

Die praktische Lösung muss wenigstens eine symbolische Rückkehr einer  Ansiedlung  der Mehrheit von Flüchtlingen auf israelischem Gebiet sein, eine Mehrheit von Flüchtlingen in den Staat Palästina, wenn er entsteht,  und eine großzügige  Kompensation an jene, die sich entscheiden , dort zu bleiben, wo sie sind  oder woandershin auszuwandern.  

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs vom Verfasser autorisiert)