Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Aug 1, 2015

Auf der Suche nach einem Held


Uri Avnery, 1. August 2015

VOR ETWA 60 Jahren schrieb der ägyptische Herrscher Gamal Abd-Al Nasser ein Buch über die „Philosophie der Revolution“. Indem er das Schauspiel  Luigi Pirandello („Sechs  Figuren auf der Suche nach einem Autor“)  nachahmte, behauptete er, dass die arabische Welt  „Auf der Suche nach einem Held war“, um sie zu vereinigen.

Zur Zeit schreit der Auftrag nach einem Held, um eine israelische Kraft zu schaffen, die in der Lage ist, Benjamin Netanjahu  und seine  Gang politischer Hooligans loszuwerden.

Irgendwo  unter den Millionen israelischer Männer und Frauen muss der Held/ die Heldin  verborgen sein, der/die  Israel retten wird.


ZEHAVA GALON, die Führerin der Meretz-Partei, schockierte letzte Woche viele ihrer Anhänger, als sie laut darüber nachgrübelte, dass ihre Partei sich mit einer anderen Partei vereinigen muss, um zu überleben, und an den Bemühungen teil nimmt, die  rechte Regierung zu ersetzen.

Offensichtlich sprach sie  aus Furcht. Meretz, die linke zionistische Partei, war bei den letzten Wahlen fast ausgeschaltet worden. Auf der Höhe der Wahl-Kampagne zeigten Meinungsumfragen, dass die Partei die 4%-Minimum-hürde nicht passieren könnte. Eine der Folgen wäre der Verlust all ihrer Stimmen gewesen.

Die Berichte alarmierten viele Wähler, die in der letzten Minute zur Wahl eilten, um Meretz zu helfen. Statt für Labor (dieses Mal verschleiert als „das zionistische Lager“)  zu stimmen, stimmten sie für Meretz und retteten sie.  Sie kam mit fünf Sitzen in die Knesset, gerade noch vor der Minimumklausel.

Für Galon und ihre Kollegen war der Schock groß. Am Morgen der Wahl trat sie zurück, aber kurz danach, als sie mehr darüber nachdachte, verzichtete sie auf den Rückzug. Sie blieb die Führerin der Partei.

Jetzt fürchtet sie offensichtlich, dass Meretz bei den nächsten Wahlen verschwinden könnte. Sie möchte Meretz in irgendeiner Weise mit wenigstens einer anderen Partei verbinden.

Meretz liegt zwischen dem „Zionistischen Lager“ und der „Gemeinsamen Liste“, die alle arabischen Parteien vereint, die auch fürchten, dass sonst keiner ihrer Komponenten die 4%-Hürde überschreitet.

Die Sorge (für Galon) ist, dass keiner der beiden angrenzenden Parteien irgendwelche Bereitschaft zeigt, ihre Partei zu empfangen.

Das „Zionistische Lager“ (alias Arbeits-Partei)  fürchtet sich sehr, als Linke  bezeichnet zu werden.  Es wünscht  „Zentrum“ zu sein, im Glauben, dass dort die Stimmen gefunden werden können, die es verzweifelt benötigt, um wieder an die Macht zu kommen. Eine Union mit Meretz zu akzeptieren, würde es mit einer noch schlechteren linken Tönung versehen.

Andrerseits kann die arabische Liste auch Meretz nicht heiraten. Die Liste besteht aus drei voneinander abweichenden Kräften: den Kommunisten (die einige jüdische Mitglieder einschließt), die Islamisten und die arabischen Nationalisten. Wenigstens die zwei Letzteren werden keine zionistisch-jüdische Partei in ihrem Bündnis akzeptieren.

Galons sehnsüchtiger Plan hat deshalb sehr wenige Chancen, in Erfüllung zu gehen. Meretz, die auf ihrem Höhepunkt 12 Knesset-Mitglieder hatte, ist in existentieller Gefahr. Das würde bedeuten, dass die wenigen Chancen, um die Macht von der  extrem rechten Koalition zu erringen, noch geringer werden würden.



AN DER ganzen Auffassung ist etwas grundsätzlich falsch.

Politik ist kein Legospiel. Man kann Parteien nicht wie Bauklötze behandeln, zusammensetzen oder auseinandernehmen. Parteien bestehen aus Menschen, von denen jeder seine eigene Meinung hat.

Indem man zwei unrentable Parteien zusammenfügt, schafft man  notwendigerweise keine gewinnende Partei. In der Politik sind zwei plus zwei nicht immer vier. Wenn man Glück hat, können es fünf sein. Aber sie können leicht auch  nur drei sein.

Eine Vereinigung von Meretz mit dem Zionistischen Lager könnte eine Menge zentristischer Stimmen verlieren, die linke Einstellungen verachten, und gleichzeitig könnte die Vereinigung Linke verlieren, die ihre kostbaren Stimmen nicht dem zionistischen Lager  geben würden, das sie nicht ohne Grund als eine Art geminderter Likud ansehen.

Die Haltung des Zionistischen Lagers ist bestenfalls  wischiwaschi. Sein Führer Yitzhak Herzog ist freiwillig als Netanjahus Vertreter im stupiden Propagandakrieg gegen den US-Iran-Deal in die US gegangen.  Es  erhebt seine Stimme nicht gegen das fast tägliche Erschießen von Palästinensern in der besetzten Westbank. Es flüstert nur im Kampf gegen die Industriemagnaten, die Israels wenige natürlichen Ressourcen plündern. Es erhebt kaum seine Stimme gegen die Likud-Kampagne gegen den Obersten Gerichtshof. (Ein stellvertretender Likud-Minister verlangte die Disqualifikation der arabischen Richter, die die Nationalhymne nicht mitsingen, die die „jüdische Seele“ feiert.)

Meretz ist nicht viel mutiger. Sie spricht kaum das Wort „Frieden“ aus, sie spricht lieber über ein „politisches Abkommen“. Keiner stirbt für ein „politisches Abkommen“.

Viele Meretz-Wähler mit profunden zionistischen Überzeugungen werden nicht für eine Liste stimmen, die arabische Mitglieder wie das Knesset-Mitglied Hanin Zuabi einschließt, eine provokative Person, die durchschnittliche jüdische Israelis schockiert.

ABER DAS Hauptproblem betrifft die Führung.

Zehava Galon ist eine nette Person. Sie ist ehrenhaft und aufrichtig. Sie denkt und sagt all die richtigen Dinge. Man konnte sie mit gutem Gewissen wählen.

Das Problem ist, dass sie kein Charisma hat. Man kann für sie stimmen, sie unterstützen, sie gern haben. Aber man kann sich nicht für sie begeistern. Sie ist keine  mitreißende Rednerin. Sie zieht keine Hingabe auf sich.

Leider gilt dies auch für alle andern Führer der potentiellen Allianz. Yitzhak Herzog, Zipi Livni und Shelly Jachimovitch sind alles gute Leute. Ich würde, ohne zu zögern, von jedem von ihnen einen Gebrauchtwagen kaufen. Sie sprechen oft sensible Dinge aus. Aber keiner von ihnen kann Leute aufrütteln, sie anheizen, sie dazu bringen, ihnen in Massen nachzufolgen.

Noch schlimmer ist, dass keiner von ihnen etwas Neues zu sagen hat. Alle können ziemlich langweilig sein. Wenn man sie am TV beobachtet, reißt einen das nicht aus dem Sessel und auf die Straße, um  „weg mit Netanjahu!“ zu rufen..

WAS ISRAEL nötig hat, ist ein Held. Einen wahren Führer.

Eine Person (männlich oder weiblich)  die die Leute inspiriert, die ihre Liebe  und Hingabe anzieht, die sie wünschen lässt, die Dinge zu ändern.

Nicht nur am Wahltag, einmal alle paar Jahre, sondern jeden Tag, jetzt.

Es ist nicht nur eine Sache der Persönlichkeit, des Charisma, auch wenn dies wesentlich ist. Es ist vor allem eine Sache der Ideen, der Überzeugungen.

Die Menschen in Israel haben den Eindruck, dass die Linke ohne etwas Neues geblieben ist. Keine neuen Gesichter, keine neuen Ideen, seit langer, langer Zeit keine neuen Slogans. Die Linke – wie soll man es ausdrücken – regt nicht auf.

Keiner wird für etwas sterben, das sich „Mitte-Links“ nennt. Das ist ein amerikanischer Import, ohne Wurzeln in israelisch politischen Traditionen. Es drückt die Idee von etwas Kraftlosem, Unverbindlichen, Vagen aus, ein bisschen von diesem und ein bisschen von jenem.

Was wir brauchen, ist jemand, der eine neue Flagge hebt, der eine neue Überzeugung ausstrahlt, der in der Lage ist, die ewigen Wahrheiten in neue ideologische Gewänder zu kleiden –  Frieden, ja,  Gleichheit ja,  Gerechtigkeit und Patriotismus, ja – in einer Weise, dass  die Leute und besonders junge Leute sich dafür begeistern.

In der jüdischen Legende ist es der Makkabäer, der die Flagge hochhält und schreit: „Wer für Gott ist, der folge mir!“  Etwas in dieser Art brauchen wir jetzt.

NACH DEN letzten Wahlen hoffte ich, dass jetzt so etwas geschehen würde. Jeder war schockiert. Netanjahus Überraschungssieg und das Aufstellen einer sehr extremen Regierung sollte jeden richtig-Denkenden israelischen Patrioten aus seiner Gleichgültigkeit herausreißen.

Nun, es geschah nicht. Ein paar Tage lang gab es viel Aufregung; Politiker sprachen über „einen neuen Anfang“ und das war es denn auch. Alles kehrte gemütlich zu dem zurück, wie es vorher war.

Außer dass es eine von Leuten zusammengesetzte Regierung gibt, die  sich keiner von uns vor dreißig Jahren hätte vorstellen können. Wie ein Schwarm Moskitos haben sie sich auf das Land gesetzt, indem sie Gesetze vorschlagen und erlassen, dass einem die Haare zu Berge stehen. Zehn Jahre Gefängnis fürs Werfen eines Steins – doch nicht, wenn der Werfer ein jüdischer Siedler ist, der Soldaten gegenübersteht, wie es mehrfach in dieser Woche geschah. (Jemand machte den Witz: Goliath würde den jungen David ins Gefängnis geworfen haben - die Bibel würde dann ganz anders aussehen.)

Wie ist es möglich, dass dieser Haufen fanatischer Anti-Demokraten Minister  und stellvertretende Minister werden? Netanjahu bemühte sich darum, alle Moderaten aus seiner Partei hinauszuwerfen, sensible Anhänger von Vladimir Jabotinsky und Menachem Begin, die im Wettstreit mit ihm hätten siegen können. Stattdessen zog er eine Gruppe von ungebärdig begieriger, aber unbedeutender Personen ohne jede Qualifikation – außer einem gewalttätigen Charakterzug. Sie  sitzen jetzt in den Ministerien.

Es ist meine Überzeugung, dass man einen Führer nach dem beurteilen kann, mit wem es sich umgibt.  Ein selbstsicherer Führer wählt ernste und kompetente Mitarbeiter. Ein Führer, der selbst unsicher ist, umgibt sich mit unbedeutenden Personen, die seine Position nicht gefährden und im Vergleich mit ihnen  wie ein Genie aussieht. Kurz gesagt: Netanjahu.



ES GIBT einen Punkt in Zehava Galons Vorschlag, der besondere Aufmerksamkeit verdient. Sie schlug die Möglichkeit einer Union  zwischen Meretz und der Arabischen Liste nicht aus. Im heutigen Israel käme dies einer geistigen Revolution nahe.

Während der ersten Jahrzehnte Israels war die Verbindung zwischen dem israelischen Friedenslager und den arabischen Bürger eng und wurde enger. Ich selbst habe am Organisieren vieler gemeinsamer Demonstrationen für Frieden und Gleichheit teilgenommen.

Während der letzten paar Jahrzehnte, hat sich dieser Prozess umgekehrt, bis fast nichts mehr davon übrigblieb.  Die arabischen Bürger sind von der jüdischen Linken  tief enttäuscht; jüdische Linke befürchten als „Araber-Liebhaber“  und Anti-Zionisten gebrandmarkt  zu werden.

Dasselbe geschah zwischen der israelischen Friedensbewegung und den Palästinensern in den besetzten Gebieten. Israels Linke fürchteten, unpatriotisch auszusehen. Nach Yitzhak Rabins Ermordung, empfanden die Palästinenser, dass israelische Linke sich nicht sehr von israelischen Rechten unterscheiden. Auch nach Arafats Tod fürchten Palästinenser alles, das wie „Normalisierung“ aussieht, das so gedeutet werden könnte, als wäre man mit der Besatzung einverstanden.

Von keinem sensiblen Israeli kann erwartet werden, an den Frieden zu glauben, wenn nicht einmal israelische Linke mit arabisch politischen Kräften in Israel zusammen arbeiten können, noch weniger mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten.

Solch eine Zusammenarbeit  zu schaffen, wäre deshalb das Erste jedes Neu-Erwachens von israelischen Friedenskräften und einer breiten neuen Bewegung, die die Koalition des rechten Flügels, die Israel weg vom Frieden, von der Demokratie, von der Gerechtigkeit zieht, stürzt.

Falls der Held zuhört, lasst ihn (oder sie) bitte, aufstehen.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)