Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

  • Bild Interview Sternenjaeger.ch Copyright 2012 - sternenjaeger.ch

Archiv

Dec 20, 2008

Suche den Unterschied!


Keiner der drei ist aufgestanden und hat der Öffentlichkeit in einfachen Worten gesagt: Ich werde im Laufe des nächsten Jahres (2009) mit den Palästinensern Frieden schließen. Dieser Frieden gründet sich auf der Errichtung eines palästinensischen Staates entlang der Grenze von vor 1967, mit geringen Grenzveränderungen auf der Basis von 1:1, Jerusalem wird zur Hauptstadt von zwei Staaten werden, mit einer gemeinsam vereinbarten vernünftigen Lösung des Flüchtlingsproblems, einer Lösung, mit der Israel leben kann.


Suche den Unterschied!

Uri Avnery


EIN MANN wurde nach seinen Söhnen gefragt. „Ich habe drei“, sagte er, „aber einer von ihnen ist ein kompletter Idiot.“

„Welcher?“ fragten sie. „Such dir einen aus!“ antwortete er.

In 51 Tagen werden wir eine neue Knesset und eine neue Regierung wählen.

Drei große Parteien konkurrieren um den Sieg: Kadima, Likud und Labor.

Was den Rest der Geschichte angeht: die Fortsetzung einfach beim Witz suchen.


GIBT ES eine wirkliche Auswahl? Mit andern Worten, gibt es irgendwelche realen Unterschiede zwischen den drei Parteien?

Wie bei dem Spiel: „Suche die Unterschiede!“ sind sie so winzig, dass man wirklich gute Augen braucht, um sie zu entdecken.

Natürlich gibt es politische Unterschiede zwischen den dreien. Aber was die drei Parteien und ihre drei führenden Verantwortlichen gemeinsam haben, ist viel bedeutsamer, als was sie trennt.

Binyamin Netanyahu sagt, dies sei nicht die Zeit, um mit den Palästinensern Frieden zu machen. Wir müssen warten, bis die Zeit dafür reif ist. Nicht auf unserer Seite, sondern auf der palästinensischen Seite. Und wer wird dies entscheiden, wann auf der palästinensischen Seite die Zeit dafür reif ist? Netanyahu natürlich. Er oder sein Nachfolger oder die Nachfolger seiner Nachfolger.

Zipi Livni sagt – so scheint es wenigstens – genau das Gegenteil. Wir müssen mit den Palästinensern reden. Worüber? Nicht über Jerusalem, Gott bewahre. Und nicht über die Flüchtlinge. Worüber dann? Vielleicht über das Wetter? Zipis Plan – so muss man daraus schließen – ist der, dass man weiter redet und redet und redet und doch kein konkretes Abkommen erreicht.

Ehud Barak hat seine schicksalhafte Ankündigung von vor acht Jahren nicht zurückgezogen, als er von der (auf Grund seines Versagens) fehlgeschlagenen Camp David Konferenz zurückkam: „Wir haben keinen Partner für den Frieden.“

Keiner der drei ist aufgestanden und hat der Öffentlichkeit in einfachen Worten gesagt: Ich werde im Laufe des nächsten Jahres (2009) mit den Palästinensern Frieden schließen. Dieser Frieden gründet sich auf der Errichtung eines palästinensischen Staates entlang der Grenze von vor 1967, mit geringen Grenzveränderungen auf der Basis von 1:1, Jerusalem wird zur Hauptstadt von zwei Staaten werden, mit einer gemeinsam vereinbarten vernünftigen Lösung des Flüchtlingsproblems, einer Lösung, mit der Israel leben kann.

Keiner der drei hat überhaupt irgend einen Friedensplan angeboten. Nur hohle Worte. Nur PR, Phantasien.

Wie z.B. die Alternative, die Netanyahu angeboten hat: die Verbesserung der Lebensbedingungen der Palästinenser. Lebensbedingungen unter Besatzung? Wenn 600 Straßensperren in der Westbank die freie Bewegung behindern? Wenn jeder gewalttätige Widerstandsakt zu kollektiver Bestrafung führt? Wenn Todesschwadronen nachts unterwegs sind, um „Gesuchte“ zu liquidieren? Nur ein Verrückter wird in solch ein Gebiet Geld investieren.


ALLE DREI sind sich in der Ansicht einig, dass die Hamas eliminiert werden muss. Keiner von ihnen erklärt öffentlich, dass der Gazastreifen wieder besetzt werden sollte – etwas, das von der Öffentlichkeit genau so wie vom Militär sehr ungern gesehen würde. Aber alle drei unterstützen die strenge Blockade des Gazastreifens, da sie glauben, dass wenn die Bevölkerung kein Brot mehr habe und die Krankenhäuser keine Medikamente oder Kraftstoff, sich die Bevölkerung des Gazastreifens erheben und das Hamas-Regime stürzen würde. Bis jetzt geschah das Gegenteil. In der vergangenen Woche hat eine Viertelmillion Menschen – etwa die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung des Gazastreifens – an einer Rallye teilgenommen, die den Geburtstag von Hamas feierte.

Nicht einer der drei stand auf und sagte: Ich werde mit der Hamas reden, um sie in den Friedensprozess einzubinden.

Und keiner der drei stand auf und sagte: Ich werde im Laufe des nächsten Jahres Frieden mit den Syrern machen. Die Bedingungen sind bekannt, ich akzeptiere sie, ich beabsichtige diese zu unterzeichnen.

Vielleicht denken alle drei im Geheimen so. Aber jeder von ihnen sagt sich: „Ich bin doch nicht verrückt? Ich werde mich doch nicht mit den Golansiedlern und ihren Unterstützern anlegen?“ Jemand, der nicht bereit ist - aus Angst vor den fanatischen Siedlern dort - einen einzigen elenden Außenposten aus der Westbank zu entfernen, wird auch auf den Golanhöhen kein Risiko eingehen.


ANDERERSEITS haben alle drei denselben Notausgang: die iranische Bombe. Was würden wir ohne sie tun? „Die Hauptgefahr für die Existenz Israels ist die iranische Bombe!“ erklärt Barak, erklärt Zipi und erklärt Netanyahu. Ein fein abgestimmter Chor.

Von Anfang an hat der Zionismus nach Auswegen gesucht, um vor dem „palästinensischen Problem“ wegzulaufen. Warum? Wenn die zionistische Bewegung zugegeben hätte, es gäbe ein palästinensisches Volk, hätte sie für die aktuelle Situation und für das moralische Problem eine Lösung finden müssen. Deshalb sind jeweils Hunderte verschiedener Vorwände gefunden worden, um das Dilemma ignorieren zu können.

Heute erfüllt die iranische Bombe diese Funktion. Hier besteht eine klare und gegenwärtige Gefahr. Eine existentielle Gefahr. Belästige mich nicht ständig mit dem palästinensischen Problem! Das eilt gar nicht. Das kann noch ein paar Jahre (oder ein paar Generationen) hinausgeschoben werden. Jetzt braucht die iranische Bombe unsere ganze Aufmerksamkeit. Nachdem wir dieses Problem gelöst haben - wie, ist allerdings nicht klar - werden wir freie Hand haben und uns mit der palästinensischen Plage beschäftigen.

Die Logik sagt natürlich genau das Gegenteil. Wenn wir ein Friedensabkommen mit dem ganzen palästinensischen Volk abschließen und mit der Besatzung aufhören, wird der Perserteppich unter den Füßen eines Ahmadinejad und seinesgleichen weggezogen. Wenn die Palästinenser Israel anerkennen und Frieden machen, dann wird der anti-israelische Kreuzzug (oder eher Halbmondzug) seinen Dampf ablassen.


OK, IN den Angelegenheiten von Krieg und Frieden gibt es bei den Dreien keinen Unterschied. Aber wie ist es mit den anderen Problemen?

Die Wirtschaftskrise beherrscht die Schlagzeilen. Alle drei Kandidaten schlagen vor, sich damit zu befassen. Um irgendwelche Unterschiede zwischen ihren Ankündigungen dazu festzustellen, braucht man schon ein Mikroskop.

Es könnte angenommen werden, dass Netanyahu sich von den anderen unterscheidet. Schließlich war er der Hohe Priester der Privatisierung. Alles zu privatisieren, von den Stahlkabeln bis zu den Schnürsenkeln. Dieses Dogma ist nun in den USA kollabiert – und ist dabei, auch in Israel zu kollabieren. Stört dies Netanyahu? Lässt ihn das bescheidener werden? Nicht im Geringsten. Nun verlangt er – ohne mit der Wimper zu zucken – massive Staatsinterventionen. Genau wie Zipi. Genau wie Barak.

Und wie ist es mit dem Staat und der Religion? Keiner von ihnen verlangt eine Trennung. Keiner fordert zivile Trauung oder das Zurücknehmen der religiösen Zwangsgesetze oder die Einberufung von Tausenden von Yeshiva-Studenten zum Militär. Keiner verlangt, dass Hauptfächer – wie Englisch und Mathematik – in das Curriculum der staatlich finanzierten religiösen Schulen mit aufgenommen wird. Gott bewahre, Gott bewahre! Schließlich benötigen sie morgen alle die Shas und/oder die orthodoxen Parteien.

Die arabischen Bürger? Alle Parteien hofieren sie eifrig. Aber keiner von ihnen verspricht ihnen etwas Reales. Wirkliche Gleichheit? Nur mit Worten. Kulturelle Autonomie? Natürlich nicht. Die Ausführung von Empfehlungen der Regierungsuntersuchungskommission, die nach den Oktober-2000- Tötungen ernannt wurde? Keine Chance!

Und die Liste könnte noch lange fortgesetzt werden.


ALSO GIBT es keinen wirklichen Unterschied zwischen ihnen? Ist es wirklich vollkommen gleichgültig, wem man seine Stimme gibt?
Ganz soweit würde ich nicht gehen.

Da gibt es kleine Differenzen – wenn es um schicksalsschwere Dinge geht, ist auch ein kleiner Unterschied bedeutsam.

Netanyahu, zum Beispiel, bringt eine extrem rechte Mannschaft mit sich. Diese schließt faschistische Elemente mit ein, die man nicht ignorieren sollte. Es besteht die Gefahr, dass er eine Regierung aufstellt, die „extrem-rechte ( d.h. geradezu faschistische) Parteien, zusätzlich zur rechts-orthodoxen Shaspartei, mit einschließen würde. Sein Sieg würde der ganzen Welt signalisieren, dass Israel den Weg in den Abgrund gewählt hat. Damit wäre auch die Möglichkeit gegeben – der Alptraum israelischer Politiker – mit den USA, jetzt von Barack Obama geführt, zusammenzustoßen.

Die (und zwar zu Recht) lädierte Labour-Partei schließt wenigstens ein sozial-demokratisches Element ein, das sie von den beiden anderen unterscheidet. Dieses ist schwach, aber nicht ganz unbedeutend.

Kadima, diese Kreuzung von linken Rechten und rechten Linken ist trotz allem besser als der Likud, aus dem die meisten ihrer Kandidaten herkommen. Netanyahu und Livni wuchsen auf demselben Baum, aber auf verschiedenen Zweigen. Zipi könnte uns noch Überraschungen zum Besseren bereiten. Ob Netanyahu uns plötzlich noch mit Überraschungen konfrontieren wird? Es wäre ein Wunder.

Neben den drei großen Parteien gibt es natürlich mehrere kleinere Ein-Thema-Parteien, jede in ihrer Nische, die sich jeweils mit besonderen Problemen der Bevölkerung befassen. Sie haben wenigstens eine klare und ehrliche Botschaft: die arabischen Parteien, Meretz, die Orthodoxe Liste, Shas, die Liberman-Partei, die „Jüdisches Heim“-Partei ( früher die national-religiöse Partei). Wahrscheinlich wird es noch einige neue Wahllisten geben. Jede dieser Parteien hat eine Geschichte für sich, aber keine von ihnen wird die nächste Regierung stellen.

Die wirkliche Geschichte spielt sich zwischen den drei Großen ab – und dabei handelt es sich tatsächlich um eine sehr traurige Geschichte.

Die Wahl zwischen ihnen ist eine Wahl zwischen schlimm, schlimmer und noch schlimmer. Zwischen Zahnschmerzen, Migräne und Rückenschmerzen.

Diese Wahl wird nichts Erfreuliches mit sich bringen. Die Frage ist nur, wie schlecht die Ergebnisse sein werden.


DIE SCHLUSSFOLGERUNG: dies darf nicht noch einmal geschehen.

Ziemlich wahrscheinlich wird auch die nächste Knesset nicht länger als ein oder zwei Jahre halten. Dann würde es neue Wahlen geben, die sehr wohl schicksalhaft sein könnten.

Am 11. Februar 2009, am Tag nach den Wahlen müssen die, die einen Wechsel wollen, anfangen, aufs Neue nachzudenken. Diejenigen, die sich nach einem demokratischen, säkularen, progressiven Israel sehnen, einem Israel, das im Frieden mit seinen Nachbarn lebt und von sozialer Gerechtigkeit bestimmt wird, müssen sich entscheiden, die Sache in die eigenen Hände zu nehmen.

Sie müssen mit einem neuen intellektuellen und organisatorischen Versuch anfangen, um diese wichtigen Ziele zu erreichen. Sie sollten nicht mehr damit zufrieden sein, das „kleinere Übel“ zu wählen, sondern endlich für das größere Gute und - zusammen mit Bevölkerungsteilen, die bis jetzt keine Partner waren – Lösungen zu erarbeiten, die bis jetzt nicht versucht worden sind. Um ein Obama-ähnliches Wunder zu vollbringen.

Anstelle der drei Söhne, die Taugenichtse sind, muss ein vierter Sohn erscheinen.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)