Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

  • Bild Interview Sternenjaeger.ch Copyright 2012 - sternenjaeger.ch

Archiv

Jul 15, 2017

Abe, Isaak & Bibi


Uri Avnery, 15.Juli 2017

 

DIE GANZE Sache könnte ein riesiger Witz gewesen sein, wenn er nicht real gewesen wäre.

 

Ganz Israel wurde davon ergriffen, die Linke, die Rechte und das Zentrum. Alle Zeitungen und Fernseh-Netzwerke, ohne Ausnahme.

 

Das war es: Die UNESCO hat die Machpelah-Höhle in Hebron zum palästinensischen Weltkulturerbe erklärt.



ICH MUSS zugeben,ich fiel auch in die Falle. Die Nachricht war so klar und so einfach, seine Aufnahme so einheitlich, dass auch ich dies gedankenlos aufnahm. Es stimmt, es war ein bisschen seltsam, aber es geschehen noch seltsamere Dinge.

 

Die „Höhle von Machpelah“ ist gar keine Höhle. Es ist ein großes Gebäude, das die Araber Ibrahimiyah, die Moschee von Ibraham nennen und im Zentrum von Hebron liegt, das die Araber Al-Khalil nennen, der Freund Gottes ( womit Abraham gemeint ist.).

 

Nach der Bibel kaufte Abraham, der Vorfahre der Juden, den Ort von seinem lokalen Besitzer (einem Hethiter) als Erbbegräbnis für seine Frau Sarah. Als seine Zeit kam, wurde auch er dort begraben, wie auch sein Sohn Isaak mit seiner Frau Rivka und sein Enkel Jakob mit seiner Frau Leah.(Seine andere Frau, Rachel, ist der Sage nach auf dem Weg nach Bethlehem beerdigt.)

 

Und jetzt kommt die UNESCO, der anti-semitische kulturelle Zweig der antisemitischen UN und erklärt, dass dies eine palästinensische heilige Stätte sei.

 

Gibt es bei Judenhetze keine Grenze?

 

Ein Tsunami von Emotionen überschwemmte Israel. Die Juden waren im Protest vereinigt. Jeder machte seiner Wut so laut wie möglich Luft. Selten wurde solch eine Einmütigkeit gesehen.

 

FALLS ICH einen Augenblick still gehalten hätte, um nachzudenken, würde ich gemerkt haben, dass die ganze Sache Unsinn ist. Die UNESCO teilt Orte nicht Nationen zu. Weltkulturerbe-Stätten sind das Erbe der ganzen Welt. Als Formalität erwähnen diese Erklärungen noch, in welchem Land jedes Weltkulturerbe liegt.

 

Die heilige Kirche in Nazareth liegt in Israel, aber sie „gehört“ nicht Israel. Die Gräber von heiligen jüdischen Rabbinern in Russland oder Ägypten gehören nicht Israel. Die UNESCO sagte nicht, dass die Machpelah-al Haram-Ibrahimi-Stätte den Palästinensern gehört. Sie sagt aus, dass sie in Palästina liegt.

 

Warum Palästina? Weil nach dem Internationalen Gesetz die Stadt Hebron ein Teil Palästinas ist, das von der UN als ein Staat unter Besatzung anerkannt wurde. Auch nach israelischem Gesetz ist Hebron nicht ein Teil des eigentlichen Israels, sondern unter militärischer Besatzung.

 

Ich bin einem ehemaligen Israeli mit Namen Ilan Landau dankbar, der in den USA lebt. Er machte sich die Mühe, las den Originaltext und sandte uns Emails, um unsern Eindruck zu korrigieren. In dem Augenblick, in dem ich dies las, schlug ich mich an die Stirn. Wie konnte ich nur so dumm gewesen sein!

 

Die UNESCO-Resolution ist fair und korrekt. Sie bemerkt, dass die Stätte allen drei monotheistischen Religionen heilig ist. Deswegen hat ein jüdischer Fanatiker – ein Siedler aus Amerika - 29 betende Muslime 1994 dort ermordet. Jüdische Fanatiker siedeln in der Nähe. (Kirjat Arba)

 

IST DER Ort wirklich heilig? Das ist eine dumme Frage. Ein Ort ist so heilig, wie die Menschen glauben, dass er heilig ist

 

Sind Abraham und seine Nachkommen wirklich hier beerdigt?

 

Selbst das ist irrelevant. Viele Leute – mich eingeschlossen – glauben, dass der erste Teil der Bibel bis in die assyrische Ära fiktiv ist. Das macht die Bibel nicht weniger wunderbar. Sie ist das schönste Werk der Literatur auf Erden. Wenigstens in der (Original ) hebräischen Fassung.

 

Selbst wenn jemand glaubt, dass Abraham, Isaak und Jakob wirkliche Personen waren, würde es zweifelhaft sein, dass sie dort beerdigt worden sind. Eine ganze Schule von Archäologen glaubt, dass der Begräbnisplatz irgendwo anders in Hebron ist, nicht das Gebäude. Die Gräber dort sind die von muslimischen Sheikhs.

 

Egal, wie es ist – Millionen glauben, dass die biblischen Vorfahren in der Höhle beerdigt sind. Für sie ist die Stätte heilig und sie liegt mitten im besetzten Palästina.

 

Aber wenn man die Bibel wörtlich nimmt, dann sollte man auch den Vers 9 im 25. Kapitel der Genesis lesen: „Und Abraham gab seinen Geist auf und starb in einem guten Alter und seine Söhne Isaak und Ismael begruben ihn in der Machpelah-Höhle“.

 

Wenn ich Leute darauf aufmerksam machte, die israelische Schulen besucht haben, waren sie zu tiefst entsetzt. Weil dieser Vers in keiner israelischen Schule erwähnt wird. Er existiert nicht.

 

Warum? Weil Ismael der Vorfahre der Araber ist, wie Isaak der Vorfahre der Juden. Wir lernten, dass Sarah unsere Urmutter ist, die in der Bibel als echtes Scheusal beschrieben wird und die ihren gehorsamen Mann, Abraham, dahin bringt, seine Konkubine Hagar und deren Sohn Ismael in die Wüste zu schicken, um dort vor Durst zu sterben. Aber ein Engel rettete sie und sie verschwanden, obwohl die Bibel noch eine lange Liste seiner Söhne gibt.

 

Die Enthüllung, dass die Bibel tatsächlich das Gegenteil sagt, ist schockierend. Ismael ist nicht verschwunden, irgendwann im Laufe der Jahre machte er mit Isaak Frieden. Die beiden Söhne beerdigten ihren Vater gemeinsam.

 

Dies verändert die Geschichte vollkommen. Es bedeutet, dass die Bibel die Araber auch rechtens zu Erben der Machpelah-Höhle macht, Seite an Seite mit den Juden und den Christen.

 

ICH GLAUBE nicht, dass Binjamin Netanjahu jemals diesen Vers gelesen hat. Er weiß nur, was jeder israelische Schüler weiß. Die strenge orthodoxe Linie.

 

In dieser Woche auf der Höhe der UNESCO-Hysterie hat Netanjahu etwas Bizarres gemacht: Mitten in einer formellen Kabinettssitzung, zog er aus seiner Tasche eine Kippah, setzte sie auf und fing an, aus der Bibel vorzulesen (natürlich, nicht den vorher erwähnten Vers). Er schaute positiv glücklich aus. Er zeigte den verdammten Goyims, dass sie alle Antisemiten seien.

 

Glaubt Netanjahu wirklich (wie ich denke), dass dieser Teil der biblischen Legende Geschichte ist? Falls ja, dann hat er den Verstand eines 10Jährigen. Falls nicht, dann ist er ein Betrüger. Auf jeden Fall ist er ein sehr fähiger Demagoge.

 

Aber er ist nicht allein – weit davon entfernt. Der Präsident von Israel, ein sehr netter Gentleman, wiederholte Netanjahus Anklagen der UNESCO. So auch der Sprecher der Knesset, ein Immigrant aus der Sowjetunion.

 

Es dauerte vier Tage, bis einige israelische Kommentatoren den wahren Text der UNESCO zitierten. Sie entschuldigten sich natürlich nicht, aber wenigstens begannen sie, den aktuellen Text zu lesen. Verlegen und leise schlossen sich ihnen einige andere Kommentatoren an. Die meisten ihrer Kollegen taten es nicht.

 

Eine besondere Erwähnung verdient Carmel Shama Hacohen, Israels Botschafter bei der UNESCO. Er ist nicht als Pfeiler der Weisheit bekannt. Tatsächlich wurde er zur UNESCO geschickt, um einem Protégé des Außenministers zu erlauben, seinen Platz in der Knesset einzunehmen.

 

Während der UNESCO-Versammlung wurde Shama-Hacohen sehr aufgeregt. (sein wirklicher Name war nur Shama, aber da dieser zu arabisch klingt, fügte er den sehr jüdisch klingenden Namen Hacohen hinzu). Er begann eine laute Auseinandersetzung mit dem palästinensischen Botschafter, eilte dann zum Podium und schrie auch den Vorsitzenden an.

 

WILLIAM SHAKESPEARE könnte – abgesehen von zwei Punkten - all dies „Viel Lärm um nichts“ genannt haben.

 

Der eine Punkt zeigt, wie leicht es ist, das ganze (jüdische) Israel, ohne Ausnahme in heiligen Zorn zu versetzen. Politiker und Kommentatoren von Links und Rechts, von Ost und West, Religiöse und Säkulare, vereinigt in einer wütenden Masse, selbst dann, wenn der Vorwand falsch ist.

 

Solch ein Ausbruch kann sehr ernste Folgen haben. Er löst alle inneren Bremsen.

 

Der andere Aspekt ist sogar noch gefährlicher.

 

Auf der Höhe des Tsunami kam es mir plötzlich, dass sich scheinbar alle sehr freuten. Und dann wurde mir klar, warum.

 

Hunderte Jahre lang wurden Juden in Europa verfolgt, deportiert und gefoltert. Es war ein Teil der Realität. Sie waren daran gewöhnt. Antisemitismus aller Arten, einschließlich einem mörderischen, war ein Teil der Realität. Der Sadismus der Goyim traf sich mit dem Masochismus der Juden.

 

(Wie ich in der Vergangenheit schon zu verstehen gab, ist dies ein Teil der westlich-christlichen Kultur, die vielleicht von der Kreuzigungsgeschichte im Neuen Testament ausging. Dies gibt es als solches nicht im Islam, da der Prophet seine Anhänger ermahnte, die beiden andern „Völker des Buches“ – Juden und Christen zu schützen.

 

Nach dem 2.Weltkrieg und dem Holocaust ist der alte bösartige europäische Antisemitismus verschwunden oder in den Untergrund getaucht. Aber Juden haben sich nicht daran gewöhnt. Sie sind sicher, dass er irgendwo wieder auftaucht. Wenn es geschieht oder wenn es scheinbar geschieht, sind Juden geneigt zu empfinden: „Ich sagte es euch ja!“

 

In Israel ist dies noch komplexer. Der Zionismus wurde geschaffen, damit die Juden ihre „Exil“-Komplexe los werden. Um uns in ein normales Volk zu verwandeln, in „ein Volk wie jedes andere“.

 

Es scheint, dass dies nicht ganz erfolgreich gewesen ist. Oder dass der Erfolg unter der Verantwortung von Netanjahu und seiner Sorte geschwunden ist.

 

Diese Episode hat viele Juden glücklich gemacht. Sie sagen sich: „Wir haben Recht! Alle Goyim sind Antisemiten!“

 

(dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)