Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Archiv

Nov 22, 2008

„Mit weit geschlossenen Augen“ *


BARACK OBAMA wird 20 Tage vor den israelischen Wahlen sein Amt übernehmen. Er hat noch immer eine Chance, das hiesige Ergebnis entscheidend zu beeinflussen. Keiner in Israel will sich mit den USA anlegen.

Wenn der neue Präsident unmittelbar nach seiner Amtsübernahme verkündet, er sei entschlossen, schon vor Ende 2009 Frieden zwischen Israel und den Arabern im Sinne der Saudi-Friedens-Initiative zu erreichen, dann wird das viele Wahlberechtigte beeinflussen.


„Mit weit geschlossenen Augen“ *

Uri Avnery

VORGESTERN erschienen in Haaretz zwei Dokumente neben einander: ein sehr großes Inserat der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und die Ergebnisse einer Meinungsumfrage.

Die Nähe war rein zufällig, besaß aber durchaus eine Pointe. Das PLO-Inserat ging im einzelnen auf das Saudi-Friedensangebot von 2002 ein, dekoriert mit den bunten Flaggen der 22 arabischen und der 35 muslimischen Länder, die das Angebot unterstützt haben.

Die allgemeine Meinungsumfrage sagte einen überwältigenden Sieg des Likud voraus, der jedes einzelne Wort des Saudi-Vorschlages ablehnt.


DAS PLO-INSERAT ist das erste seiner Art. Schließlich und endlich entschlossen sich die PLO-Führer, sich direkt an die israelische Öffentlichkeit zu wenden.

Das Inserat gab der israelischen Bevölkerung die genauen Bedingungen für das gesamt-arabische Friedensangebot bekannt: volle Anerkennung des Staates Israel durch alle arabischen und muslimischen Länder, völlige Normalisierung der Beziehungen – im Gegenzug dafür: der israelische Rückzug auf die Grenzen von vor 1967 und die Errichtung des palästinensischen Staates in der Westbank und im Gazastreifen mit Ost-Jerusalem als seiner Hauptstadt. Eine Lösung des Flüchtlingsproblems durch ein beiderseitiges Abkommen – was bedeutet, dass Israel jede Lösung, die es für unannehmbar hält, mit Veto einlegen kann.

Ich habe es schon an anderer Stelle einmal gesagt: wenn dieses Angebot am 4. Juni 1967 – einen Tag vor dem Sechs-Tage-Krieg - gemacht worden wäre, dann hätten die Israelis geglaubt, die Tage des Messias wären gekommen. Aber als es 2002 veröffentlich wurde, sahen es viele Israelis als einen listigen Trick an, um Israel der Früchte seines 1967er-Sieges zu berauben.

Die israelische Regierung hat auf dieses historische Angebot nie offiziell reagiert. Die öffentliche Meinung und die Medien ignorierten es fast vollständig, verschanzten sich hinter dem nationalen Konsens, es gebe keine Chance für den Frieden.

Vor kurzem erwachte das Angebot zu neuem Leben. Shimon Peres und Ehud Barak entdeckten es so plötzlich, als ob sie einen versteckten Schatz in einer entfernten Höhle gefunden hätten. Zipi Livni entdeckte, dass es einige interessante Punkte darin gebe. Das ist der Hintergrund der lobenswerten Initiative von Saeb Erekats PLO-Verhandlungs-Abteilung, das Inserat zu veröffentlichen.

Israels Reaktion war gleich Null.


DIE ÖFFENTLICHE Meinungsumfrage – andererseits – machte großen Eindruck. Sie warf ihre Schatten über die ganze politische Arena.

Es sind zwar noch 80 Tage bis zum Wahltag – und in Israel sind 80 Tage eine sehr, sehr lange Zeit.
Außerdem sind die durch Medien durchgeführten Umfragen in Israel – im Gegensatz zu US-Umfragen - geradezu notorisch unzuverlässig. Trotzdem verursachte die Umfrage einen Schock.
Sie macht klar, dass der Likud, wenn die Wahlen in dieser Woche gehalten worden wären, dann 34 Sitze in der 120-Sitze-Knesset gewonnen hätte – also dreimal mehr als in der auslaufenden Knessetperiode, und damit zur stärkeren Fraktion avanciert wäre. Kadima würde nur 28 Sitze gewinnen, einen weniger als in der gegenwärtigen Knesset. (Erklärung: Kadima würde viele Stimmen verlieren, die zum Likud zurückkehren wollen, aber beinahe dieselbe Anzahl der Stimmen von der Labour-Partei gewinnen.) Die Labour-Partei würde auf 10 Sitze kommen, auf die Hälfte der gegenwärtigen erbärmlichen Anzahl. Shas würde dieselbe Anzahl haben wie auch die ultrarechte Liberman-Partei. Meretz würde von 5 auf 7 kommen (In der konkurrierenden Umfrage von Yedioth Aharanot erhält der Likud 32, Kadima 26 und Labour 8)


DER BLENDENDE Aufstieg des Likud ist ein bedrohliches Phänomen an sich, aber noch wichtiger ist das allgemeine Bild: der Block aller Parteien, die den Frieden unterstützen, ob nun nur als Lippenbekenntnisse oder ernsthaft (die sog.“Linke“) wird nach den Umfragen höchstens 56 Sitze haben gegenüber den 64 Sitzen der Anti-Friedensparteien zusammen (die sog. „Rechte“).

Das heißt: wenn die Wahlen in dieser Woche stattgefunden hätten, dann wäre das Ergebnis eine Knesset gewesen, die die Politik mit der Besatzung, den Siedlungen und der Annexion weiter geführt hätte. Binyamin Netanyahu wäre Ministerpräsident geworden und würde in der Lage sein, frei zwischen einem Dutzend verschiedener Zusammensetzungen der nächsten Regierungskoalition wählen zu können.

Wie erreichte Netanyahu solch einen Status? Schließlich wurde er vor 10 Jahren schändlich aus dem Amt des Ministerpräsidenten verstoßen und dies von einer Öffentlichkeit, die sich entschlossen hatte, ihn nicht einen einzigen Tag länger zu ertragen. Kein vorausgegangener Ministerpräsident hatte so viel Gegnerschaft, Verachtung und sogar Abscheu hervorgerufen.

Während mehrerer Monate hat Netanyahu sich jetzt wie ein vorbildlicher Schüler benommen. Er verhielt sich ruhig, wenn es angebracht war, nichts zu sagen. Er handelte, wie es sich für einen Staatsmann gehört, um dann wie ein Zauberer auf einem Kindergeburtstag ein Kaninchen nach dem anderen aus dem Zylinder zu ziehen. Alle paar Tage schloss sich eine andere Person mit viel Tamtam dem Likud an, in einer wohl kontrollierten Auswahl und Dosis: Binyamin Begin, ein Mann der extremen Rechten und Dan Meridor von der moderaten Rechten, Assaf Hefetz, früherer Polizeichef, Moshe („Bogi“)Yaalon, früherer Armeechef und so weiter. Große und kleine Sterne, was den Eindruck erweckte, als ob der Likud jetzt von jedem als die kommende Regierungspartei betrachtet werde. Eine vielfarbige Partei, eine Partei der Erneuerung, geführt von einem erfahrenen und verantwortlichen Führer. Eine Partei, in der es viele Schattierungen von Meinungen gibt, die aber vereinigt ist durch unerschütterliche Grundsätze: nein zum Rückzug, nein zu einem palästinensischen Staat, nein zu einem Kompromiss bezüglich Jerusalem, nein zu jeder bedeutsamen Friedensverhandlung. Und natürlich nein zum arabischen Friedensangebot.

Gibt es auch ein ja? Das hätte ich beinahe vergessen. Netanyahu schlägt einen „wirtschaftlichen Frieden“ vor – um die Situation der Palästinenser auf der Westbank zu verbessern, damit eines Tages in der Zukunft - bevor oder nachdem der Messias kommt - Israel vielleicht ein Abkommen erreichen kann – oder auch nicht. Aber wirtschaftliche Verbesserung unter einem Besatzungsregime ist natürlich ein Widerspruch in sich. Denn Besatzung erzeugt Widerstand, Widerstand erzeugt Unterdrückung, Unterdrückung bedeutet wirtschaftliche Bestrafung. Keiner wird Geld in einem besetzten Gebiet investieren.

Falls Netanyahu gewählt werden wird, müssen wir mit vier Jahren rechnen, in denen wir nicht nur keinen einzigen Zoll Fortschritt in Richtung Frieden machen werden, sondern im Gegenteil, der anhaltende Schwung des Siedlungsunternehmens wird den Frieden immer weiter hinausschieben.


DER FLUG Zipi Livnis, hingegen, hat nicht an Höhe gewonnen. Das ist eine andere klare Schlussfolgerung aus den Meinungsumfragen.

Sie hatte ein paar Monate lang eine Gnadenfrist. Als das ganze Land gebannt auf die Korruptionsaffären von Ehud Olmert blickte, sah Livni vergleichsweise wie eine blütenreine Taube aus. Ein idealer Kandidat, dazu eine Frau, dazu auch ehrlich und eine, die in einer Sprache gewöhnlicher Menschen redete, dazu eine, die an das glaubt, was sie sagt.

Aber nach Olmerts Abgang verschwand die Korruption als zentrales Thema der Wahlen: Was hat Zipi also anzubieten?

Sie hat kein überwältigendes Charisma. Sie ist keine Rednerin (und dies ist vielleicht gut so). Sie ist nicht begeisternd. Sie spricht auch nicht die Gefühle an. Sie berührt nicht das Herz der Leute. Sie ist gezwungen, sich mit logischen Argumenten zufrieden zu geben.

Aber was ist ihr politisches Glaubensbekenntnis? Sie ist sehr von „Friedensverhandlungen“ überzeugt. Aber „Friedensverhandlungen“ können wie der „politische Prozess“ leicht ein Ersatz für Frieden selbst werden.

Livni hat keine aufregende Friedensbotschaft. Sie macht keinen eigenen Friedensvorschlag. Sie ist ‚diplomatisch’ und hält ihre Karten verdeckt. Keine klare Lösung für Jerusalem (erwähne es möglichst gar nicht – das könnte für Bibi Munition sein), keine Lösung für die Flüchtlinge (Gott bewahre!). Sie hatte die zweite Stelle auf ihrer Liste Shaul Mofaz versprochen, der leicht seinen Platz zwischen Bibi, Begin und Bogi finden kann. Auf diese Weise könnte man die Herzen der Hunderttausende nicht gewinnen, die noch unentschieden und/ oder müde Bürger sind, die glauben, dass es „keinen Partner für Frieden“ gibt. Es gibt auch keine Neuerwerbungen: keine neuen Persönlichkeiten treten Kadima bei. Es gibt kein Gefühl eines nahenden Sieges. Die Chancen stehen nicht gut.


DIE SITUATION der Labourpartei sieht sogar noch schlimmer aus. Viel schlimmer. Die Umfragen geben Labour höchstens 10 Sitze, oder kaum 8. Die Partei, die in ihren früheren Inkarnationen 44 Jahre absolute Kontrolle über den Yishuw und den neuen Staat hatte, kann in der nächsten Knesset nur auf die fünftgrößte Fraktion zusammenschrumpfen (nach dem Likud, Kadima, Shas und Liberman-Partei).

Kein Wunder. Wie eine alternde Stripteaserin hat sie alle ihre Gewänder fallen gelassen. Sie hat sich wie andere Parteien dem „saumäßigen Kapitalismus“ (eine von Peres geprägte Formulierung) hingegeben. Was den Frieden betrifft, hinkt sie hinter Kadima her, und manchmal versucht sie sogar den Likud rechts zu überholen. Es hat den Anschein, als bestünde ihr Grundsatzprogramm nur mehr aus einem einzigen Punkt: Ehud Barak muss der Verteidigungsminister bleiben, egal, wer der nächste Ministerpräsident sein wird, Netanyahu oder Livni.

Es ist kein besonders attraktiver Anblick: nicht nur die Ratten verlassen das sinkende Schiff, sondern auch der Admiral selbst: Ami Ayalon, früherer Kommandeur der israelischen Flotte, verkündete in dieser Woche, dass er die Partei verlassen werde.
Die amtierenden Knessetmitglieder konkurrieren gerade miteinander und mit der Handvoll Neuer (einschließlich des Vorsitzenden von ‚Peace Now’ Yariv Oppenheimer und des Journalisten Daniel Ben-Simon.) um die paar verbliebenen aussichtsreichen Sitze.

Ehud Barak ist eine wandelnde Katastrophe. Aber er kann nicht vor den Wahlen aus der Laborparteiführung entfernt werden. Die Partei kriecht ‚ ‚mit weit geschlossenen Augen’ * auf ihre Niederlage zu.


MEHRERE GELEHRTE, Professoren und politische Berater, einige, die der Labourpartei den Rücken gekehrt haben, haben sich zusammen getan und verkündigt, dass sie sich Meretz anschließen wollen, um eine Art Super-Meretz zu schaffen.

Darauf gab es eine gewisse Resonanz. Doch die kürzlichen Umfragen gaben der verstärkten Meretz nicht mehr als 7 Sitze (im Vergleich zu den gegenwärtigen 5). Das ist nicht gerade eine Revolution.

Warum? Die Initiatoren sind alle wohl bekannt. Sie sind alle Mitglieder der ashkenazischen Elite wie alle von Meretz. Die Öffentlichkeit bekommt den Eindruck, dass anstelle der früheren Führer, die die Meretzführung einer nach dem anderen verlassen haben (Shulamit Aloni, Yossi Sarid, Yossi Beilin, Ran Cohen, alle mit positiven Reverenzen), andere Leute dazu kommen, gute Leute, aber nicht wirklich von ihren Vorgängern unterschiedliche, mit denselben guten aber fehlgeschlagenen Parolen. Sie haben keine neuen Botschaften für die neue Generation, für die orientalischen Juden, für die arabischen Bürger, für die russischen Immigranten, für die Säkularen, die gegen das religiöse Vordringen ankämpfen wollen.

Die aktiven Friedensgruppen mit ihren jungen begeisterten Mitgliedern wurden nicht eingeladen, um der Partei kein „radikales“ Aussehen zu geben. Bestenfalls wird die erneuerte Partei von Labour ein paar Sitze übernehmen. Soweit es das allgemeine Bild betrifft, so wird dies ganz unwichtig sein, da nur Veränderungen im Gleichgewicht der beiden großen Blöcke irgendeine reale Wirkung haben. Viele neue Wähler müssten mobilisiert werden.

Es gibt Platz für eine neue linke Partei, mit einem neuen Namen, einem neuem Geist und einer Botschaft der Hoffnung, die im Stile Obamas die Massen der jungen Generation anspricht, sie mit Begeisterung ansteckt und einen wirklichen Wandel verspricht.

Solch ein Experiment wurde gerade bei den Tel Aviver Gemeindewahlen mit verblüffenden Resultaten durchgeführt. Eine neue Wahlliste erschien aus dem Nirgendwo, die junge Generation von Tel Avivern hat sich ihr mit Begeisterung angeschlossen. Sie zog die neuen Wähler an, die von den alten Politikern die Nase voll hatten, Leute mit Grüner Agenda, Leute mit sozialem Gewissen, Schwule und Lesben und viele andere. Hunderte meldeten sich freiwillig, ihre Kandidaten gewannen ein Drittel der Stimmen gegen einen beliebten amtierenden Bürgermeister.

Das bedeutet: Ja, es ist möglich. Aber es wird nicht dieses Mal passieren - noch nicht.


BARACK OBAMA wird 20 Tage vor den israelischen Wahlen sein Amt übernehmen. Er hat noch immer eine Chance, das hiesige Ergebnis entscheidend zu beeinflussen. Keiner in Israel will sich mit den USA anlegen.

Wenn der neue Präsident unmittelbar nach seiner Amtsübernahme verkündet, er sei entschlossen, schon vor Ende 2009 Frieden zwischen Israel und den Arabern im Sinne der Saudi-Friedens-Initiative zu erreichen, dann wird das viele Wahlberechtigte beeinflussen.

Falls Netanyahu gewählt werden wird, wird Obama mit einem Dilemma konfrontiert sein: entweder in einen ernsthaften Konflikt mit der Regierung Israels geraten, mit allen daraus resultierenden inner- amerikanischen Implikationen, oder den Frieden in ein Gefrierfach stecken, wie es seine Vorgänger getan haben.

Die amerikanischen Wahlen waren für Israel wichtig. Die israelischen Wahlen werden auch für Amerika wichtig sein.

* Titel eines ironischen Filmes

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert.)