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So gut, so schlecht
Uri Avnery
Nie war die Situation der Linken in Israel besser. Nie war die Situation der Linken schlechter.
Auf dem entscheideneden Schlachtfeld – dem nationalen Bewusstsein – arbeiten wir uns von einer Errungenschaft zur nächsten. Erst am Kampf der Rechten erkennt man das Ausmaß unseres Sieges.
Erinnert Euch: Gleich nach dem Krieg 1948, als wir sagten, es gibt ein palästinensisches Volk und wir müssen Frieden mit ihm schließen – gab es hier und auf der ganzen Welt keine hundert Leute, die zustimmten. Wir galten als Nestbeschmutzer, als wir behaupteten, es müsse neben dem Staat Israel einen Staat Palästina geben. Als wir darauf bestanden, es sei nötig, mit der PLO zu sprechen, hat man uns Verräter genannt und vier Minister forderten, mich für mein Treffen mit Arafat im belagerten Beiruth 1982 wegen Landesverrats vor Gericht zu stellen. Die Beschimpfungen wollten schier nicht aufhören, als wir klar machten, Ost-Jerusalem müsse die Hauptstadt Palästinas werden. Man bedrohte unser Leben, als wir darauf hinwiesen, dass die Siedlungen wie ein Krebs am Körper der Nation fressen, und als wir darauf bestanden, dass man mit Hamas sprechen muss, ging es uns nicht anders.
All diese Standpunkte werden inzwischen von der Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit eingenommen. Bei der "Zwei-Staaten-Lösung" hat sich weltweit ein Konsens gebildet, dass dies die einzig durchführbare Lösung darstellt. Auch Politiker, die im Grunde ihres Herzens dagegen sind, müssen notgedrungen so tun, als seien sie dafür.
Wenn alles so gut geht, warum ist die Situation dann so schlecht?
Wir haben gesiegt beim nationalen Bewusstsein, aber der Sieg in der politischen Arena bleibt aus. Vor Ort wird die Situation immer schlimmer.
Die Siedlungen entwickeln sich mit erschreckender Geschwindigkeit, obwohl die Siedler in der Gesellschaft insgesamt eher isoliert sind. Die Besatzung manifestiert sich von Tag zu Tag härter. Die Siedler gelangen in die Befehlsebene der Armee. Die drei großen Parteien liefern Lippenbekenntnisse zum Frieden und tun genau das Gegenteil. Bei den nächsten Wahlen stellen sich drei große, müde, veraltete Parteien zur Wahl, die alle drei schon an der Macht waren und ihre Unfähigkeit und / oder ihren Unwillen, eine Veränderung herbeizuführen, schon bewiesen haben. Wir haben keine Chance auf eine Regierung, die willens oder in der Lage ist, es mit den Siedlern in der Westbank und auf den Golan-Höhen aufzunehmen und wirkliche Friedensverhandlungen zu führen.
Dafür kann man verschiedene Gründe anführen und viele Faktoren beschuldigen. Die letzten Präsidenten der USA haben das Friedenslager an der Nase herumgeführt und unterstützten die Befürworter von Siedlungen und Unterdrückung. Ehud Barak zog dem Friedenslager den Boden unter den Füßen weg, als er von Camp David zurückkehrte und die Lüge verbreitete: "Ich habe nichts unversucht gelassen, um Frieden zu erreichen / Ich habe den Palästinensern die großzügigsten Angebote gemacht, die sie je erhalten haben / Sie haben alles abgelehnt / Wir haben keinen Partner für den Frieden".
Lasst uns aber nicht nur auf andere zeigen. Hat das israelische Friedenslager, mit all seinen Gruppen und Grüppchen, seine Pflicht erfüllt?
Politik hat mit Macht zu tun. Die Arbeiterbewegung im damaligen Palästina hat das seinerzeit gewusst und in allen Bereichen Machtpositionen aufgebaut. Deshalb hat sie zwei Generationen lang hier geherrscht. Das hatte viele negative Nebenwirkungen, aber mit Hilfe dieser Macht trug es bei der Staatsgründung den Sieg davon. Seither ist die Linke von einem Extrem zum anderen gelangt, bis zum politischen Aus. Sie dachte, es sei genug, eine politische Botschaft zu formulieren, der Rest der Arbeit erledige sich von selbst.
Die Linke hat sich aller politischen Machtpositionen entledigt. Sie hat fast alle ihre eigenen Medien verloren. Sie sprach eine Sprache, die großen Teilen der Bevölkerung nicht verständlich ist. Sie verlor den Kontakt zu weiten Teilen der Bevölkerung – den Peripherie-Städten, den orientalischen Juden, den russischen Einwanderern. Sie hat sich verstümmelt, als sie zustimmte, den arabischen Teil der Bevölkerung aus jeder Koalition auszuschließen. Das Ergebnis: Sie versagte darin, die Bevölkerung zu überzeugen, ein Friede sei möglich, es gebe einen Partner für den Frieden.
Die Stimme der aktiven, hingebungsvoll und überzeugt arbeitenden Friedensaktivisten wurde ohne Zugang zu den gehirngewaschenen Medien immer dünner.
Viele verzweifelten. Manche verzichten auf den Staat und suchen Scheinlösungen wie die vom "einen Staat". Parolen wie "Es bleibt uns nichts übrig", "Alles ist verloren", "Man hat uns den Staat gestohlen" nähren bei vielen einen Pessimismus, der sie zu nichts verpflichtet.
Das Erscheinen Barack Obamas aus dem Nichts ließ in den USA eine neue nationale Koalition entstehen und bewirkte einen historischen Umbruch, der beweist, dass alles möglich ist. Leute mit begeisternden Visionen, kreativem Denken, mit Mut, Entschlossenheit und einer klaren Botschaft können Wunder wirken. Vor zwei Jahren hätte niemand es für möglich gehalten, jetzt ist es Wirklichkeit.
Obama hat eine geschlagene Partei in die Hand genommen, die schon fast begraben wurde, und hat sie zu neuem Leben erweckt. Er hat eine ganze neue Generation mobilisiert, die verstand, dass jede Änderung sich politisch vollziehen muss, dass politisches Engagement für jeden verpflichtend ist, der die Welt verbessern will.
Am letzten Samstag versammelten sich die Friedensbewegten am Rabin-Platz, hörten sich höflich traurige Lieder und all die Klischees der Politiker an, die schon versagt haben. An diesem Abend wurde das Wort "Palästinenser" nicht ein einziges Mal erwähnt. Eine Atmosphäre stiller Bedrücktheit schwebte über den Köpfen. Aber vielleicht befand sich im zahlreichen Publikum der Zuhörer unser Obama, der auf seine Stunde wartet.
Diese Stunde rückt näher; wir haben ja das nationale Bewusstsein schon gewonnen. Auch die Vorraussetzungen ändern sich weltweit zu unseren Gunsten.
Ich glaube, ein israelischer Obama wird hier einen fruchtbaren Boden vorfinden, wenn er Frieden bringen will. Ich wünsche mir sehr, bei seiner Siegesfeier auf dem Rabin-Platz dabei zu sein.
(dt. Weichenhan-Mer, vom Verfasser autorisiert)