Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

  • Bild Interview Sternenjaeger.ch Copyright 2012 - sternenjaeger.ch

Archiv

Oct 11, 2008

Ein Märchen


10. SEPTEMBER 2015


Uri Avnery
11.10.08

Vor einiger Zeit wurde ich von der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft gebeten, zu beschreiben, wie es nach der Friedensschließung aussehen würde. Ich möchte jetzt diesen Text verbreiten - besonders in der Woche, in der der jüdische Jom Kippur - der Versöhnungstag - gefeiert wird.

Ein Märchen

„Wenn Ihr wollt, so ist es kein Märchen !“
Theodor Herzl, Gründer des Zionismus
I
„Ihr wollt nicht? Dann eben nicht!“
Hebräisches Graffiti mit Herzls Bild in Tel Aviv

10. SEPTEMBER 2015

Es ist geschehen.

Bei einer feierlichen Zeremonie war auf einer mit israelischen und palästinensischen Flaggen geschmückte Bühne ein Friedensvertrag zwischen Israel und Palästina unterzeichnet worden.

Die Verhandlungen haben nicht lange gedauert. Die wesentlichen Elemente des Vertrags waren schon lange bekannt gewesen. Das Dokument enthielt keine wirklichen Überraschungen.

Israel war damit einverstanden, den Staat Palästina anzuerkennen. Die Grenze zwischen den beiden Staaten gründete sich auf die so genannte Grüne Linie (die Grenze bis zum 4.6.1967); beide Parteien waren aber auch mit einem begrenzten Landtausch einverstanden. Etwa 5% der Westbank, die mehrere „Siedlungsblöcke“ einschließen, wurden im Austausch eines gleichwertigen Gebietes entlang dem Gazastreifen, an Israel angeschlossen. Beide Seiten drückten den Wunsch aus, die Grenze für Menschen und Waren offen zu halten.

In Jerusalem wurden die arabischen Stadtteile, einschließlich des Haram-as-Sharif (Tempelberg) ein Teil Palästinas, während die jüdischen Stadtteile mit der Westmauer bei Israel blieben. Die zwei Hälften Jerusalems blieben physisch unter einer gemeinsamen Gemeindeverwaltung vereint mit zahlenmäßig gleicher Vertretung im Stadtparlament.

Israel war damit einverstanden, alle Siedlungen aus den palästinensischen Gebieten abzubauen und so zu beseitigen.

Was das Flüchtlingsproblem betrifft, so war eine komplexe Lösung gefunden worden. Ein Wahrheits- und Versöhnungskomitee wurde aufgestellt, um die Ereignisse von 1948 und 1967, die zur Entstehung des Problems führten, zu untersuchen. Beide Seiten stimmten darin überein, dass sie sich mit den Ergebnissen abfinden werden. Das Komitee wurde aus geachteten israelischen, palästinensischen und internationalen Historikern zusammengesetzt.

Israel erkannte das Prinzip des Rückkehrrechts an, aber beide Seiten waren damit einverstanden, dass nur eine begrenzte und mit einander abgestimmte Anzahl von Flüchtlingen auf israelisches Gebiet würde zurückkehren können, während alle anderen entschädigt und im Staat Palästina oder anderswo - entsprechend ihren Wünschen - mit internationaler Hilfe angesiedelt werden würden.

Außerdem wurde ein gemeinsames Komitee damit beauftragt, für eine gerechte Verteilung der Wasserressourcen zu sorgen, und mit internationaler Hilfe Meerwasser zu entsalzen.

Nachdem die Präsidenten Israels und Palästinas sich die Hände geschüttelt hatten, verharrten alle Anwesenden in einer Schweigeminute – zum Gedächtnis all derer, die bei diesem Generationen langen Konflikt ums Leben gekommen waren.

Der Sekretär der Arabischen Liga erklärte den Vertrag in Übereinstimmung mit der arabischen Friedensinitiative von 2002 und bestätigte, dass alle Mitgliedstaaten der Liga normale Beziehungen mit Israel aufnehmen würden.


DAS HISTORISCHE Ereignis kam nach einer Reihe von weitgehenden Veränderungen auf beiden Seiten zustande.

Nach der langen und schmerzlichen Spaltung war es dem neuen palästinensischen Präsidenten gelungen, die sich bekriegenden palästinensischen Fraktionen in einer verjüngten PLO und einer provisorischen Regierung von Palästina zu vereinen. Nach einigen gegenseitigen Beschuldigungen unterstützten beide, die Hamas und die Fatah, den Vertrag.

In Israel war es einem charismatischem neuen Führer, der sich allgemeiner Achtung erfreute, gelungen, die Öffentlichkeit auf die Gefahren des anhaltenden Kriegszustandes in einer Region voller Raketen und Massenzerstörungswaffen aufmerksam zu machen. Seine neue Partei, die nicht nur Führer und Mitglieder aus den diskreditierten alten Parteien anzogen, sondern auch eine ganze Generation junger Leute, die in die Politik kamen, um eine Veränderung zu veranlassen, hatte einen durchschlagenden Wahlsieg. Die Friedensbewegung, die lange geschlafen hatte, spielte bei dieser Wende eine wichtige Rolle.

Als die beiden neuen Präsidenten sich die Hände schüttelten, gab die ganze Welt einen großen Seufzer der Erleichterung von sich.


ABER DIE Unterzeichung der Dokumente durch die Politiker war nur der Beginn des Kampfes. Wie jeder wusste, lauerte eine Konfrontation zwischen der israelischen Regierung und den Siedlern.

Die Siedler und ihre Verbündeten hatten sich jahrelang auf diesen Test vorbereitet. Unterstützt von größeren Teilen der Armee und mehreren Ministern, hatten sie Zugang zu großen Ressourcen von Waffen und Geld. Viele von ihnen waren entschlossen, einen Bürgerkrieg vom Zaun zu brechen, wenn es soweit kommen sollte.

Doch als der Zusammenstoß kam, war er viel weniger dramatisch, als man befürchtet hatte. Wie man mit den Palästinensern übereingekommen war, war den Siedlern ermöglicht worden, im Laufe eines Jahres für eine großzügige Entschädigung freiwillig ins eigentliche Israel zurückzukehren. Nach anfänglichem Zögern nahm etwa die Hälfte der Siedler das Angebot an und verließ tatsächlich die besetzten Gebiete. Der Rest wurde von der massiven Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit für den Friedensvertrag demoralisiert.

Am Ende gab es nur vereinzelt Kämpfe. In der Stunde der Krise bestand die israelische Demokratie den Test, und die Armee blieb der Regierung treu, trotz der Bemühungen der Siedler, seit Jahren in das Offizierkorps zu infiltrieren.


DIE RELATIVE Leichtigkeit, mit der beide Regierungen die oft gewalttätige Opposition in ihren jeweiligen Ländern überwinden konnten, war der aktiven Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu verdanken.

Viele Kommentatoren zweifelten, ob der Friedensvertrag ohne den tief greifenden Wechsel der US-Politik im Nahen Osten möglich geworden wäre. Nach den 2012 Wahlen verkündete der Präsident, dass Amerikas grundsätzliche Interessen eine ausgeglichene Politik fordere, um den Hass von Millionen von Muslimen zu überwinden. „Wir sollten beide, Israel und Palästina bei ihrer kühnen Suche nach Frieden unterstützen“, erklärte er. Die Pro-Israel-Lobby wagte nicht, sich dagegen zustellen, da sie den fundamentalen Wechsel in der amerikanischen Öffentlichkeit spürte und eine antisemitische Gegenreaktion fürchtete.

Europa folgte diesem Beispiel – wie immer.


IN ISRAEL wurden der Öffentlichkeit schnell die praktischen Vorteile des Friedens klar. Gemeinsame israelisch-arabische Unternehmungen zogen große ausländische Investitionen an. Nach dem vorausgegangenen Friedensvertrag mit Syrien waren israelische Unternehmer schon eifrig in Damaskus tätig geworden und machten lukrative Geschäfte in einer syrischen Wirtschaft, die zu neuem Leben erwachte. Die Syrer erlaubten übrigens, der israelischen Weinindustrie auf dem Golan weiterzuarbeiten. „Lasst uns zum Hummus-Essen nach Damaskus gehen“, wurde ein israelischer Slogan. Und tatsächlich bevölkerten Israelis den berühmten Bazar der alten Stadt und machten den Trip in die syrische Hauptstadt zu einem aufregenden Abenteuer.

Während arabische Geschäftsleute die Tel Aviver Hotels füllten und nach Joint-Ventures Ausschau hielten, pilgerten ihre israelischen Kollegen nach Riyad, Bagdad, Doha und Dubai. Erfolgsgeschichten füllten die TV-Nachrichtenprogramme und stellten den Anblick der Siedler, die Szenen wie beim Abzug aus dem Gazastreifen vor 10 Jahren zu wiederholen versuchten, in den Schatten.

Dank ihrer Position zwischen der israelischen und arabischen Welt, wurden die Palästinenser gesuchte Mittelsmänner. Frühere Insassen israelischer Gefängnisse, die ausgezeichnet Hebräisch sprachen, waren beim Schaffen neuer Geschäftsverbindungen besonders erfolgreich. Dasselbe geschah auch bei arabischen Bürgern Israels mit ihren gründlichen, ja intimen Kenntnissen der israelischen politischen und wirtschaftlichen Prozesse. Ihr Lebensstandard stieg enorm und näherte sich dem der jüdischen Israelis. Ihre Geburtenrate fiel, wie es bei wachsendem Wohlstand üblich ist.

In dieser Atmosphäre fand die Rückkehr von Tausenden von palästinensischen Flüchtlingen nach Israel fast ohne Kommentar statt. Da das rapide Wachstum der israelischen Wirtschaft viele Juden aus dem Ausland angezogen hatte, veränderte sich das „demographische Gleichgewicht“ kaum.

Politiker und Wirtschaftsfachleute beider Seiten kamen immer öfter mit der Idee einer „Nah-Östlichen-Union“, einer politischen, wirtschaftlichen und Sicherheits-Organisation, nach Vorbild der EU. Andere sprachen von einer Konföderation zwischen Israel, Palästina und Jordanien, die vielleicht auch den Libanon einschließt, wo die Hisbollah jetzt eine gut etablierte Regierungspartei war.


DIE ISRAELISCHE Armee blieb ein mächtiges Instrument, um den Staat zu schützen. Aber wie in den USA und Westeuropa wurden die besten und intelligentesten jungen Leute von der High-Tech Industrie, den Wissenschaften und den Geschäften angezogen. Bald wurde der alte Konflikt als eine Sache der Vergangenheit angesehen.

Am Ende bewies sich das alte Sprichwort noch einmal „Friede wird nicht zwischen Regierungen, sondern zwischen den Völkern gemacht“. Die menschlichen Beziehungen, die wirtschaftlichen Interessen und die Zeit vervollständigten den Prozess, der mit dem formellen Friedensvertrag begann.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)