Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Archiv

Sep 27, 2008

Es kann hier geschehen?


Die fanatischen Siedler wissen schon, dass sie die öffentliche Meinung in Israel nicht mehr hinter sich haben und dass die normalen Bürger sie als gefährliche Schlägertypen ansehen. Ihre Aktionen, die man im Fernsehen sieht, erzeugen Widerwillen, ja sogar Abscheu. Die Vision „ das ganze Land Erez Israel“ hat nicht nur an Höhe verloren – sie zerschmettert auf dem Boden der Realität. Die Zeloten handeln aus Schwäche und Frustration.

So wie die Nazis die deutsche Republik hassten, beginnen diese Fanatiker, den Staat Israel zu hassen. Und aus gutem Grund. Sie sehen, dass sie keinen Platz im nationalen Konsens haben, der sich um das Konzept „Zwei Staaten für zwei Völker“ festigt, ob dies nun aus negativen Gründen akzeptiert wird - aus demographischen Befürchtungen oder wegen der Last der Besatzung - oder aus positiven Gründen, wie der Hoffnung auf Frieden und Wohlstand nach dem Rückzug aus den besetzten Gebieten.


Es kann hier geschehen?

Uri Avnery


ES GIBT Namen, die einfach zu ihrem Besitzer passen. Professor Ze’ev Sternhells Position hebt sich tatsächlich scharf gegen den dunklen Himmel ab. Er warnt vor israelischem Faschismus. In dieser Woche legten israelische Faschisten eine Rohrbombe an den Eingang seiner Wohnung, und er wurde bei der Explosion leicht verletzt.

Die Wahl des Opfers scheint zunächst überraschend. Aber die Täter wussten, was sie taten.

Sie griffen nicht die Aktivisten an, die jede Woche gegen die Trennungsmauer in Bil’in und Na’alin demonstrieren. Sie griffen nicht die Linken an, die jedes Jahr – auch dieses Jahr – die Hilfe für die Palästinenser bei der Olivenernte in der Nähe der gefährlichsten Siedlungen organisieren. Sie griffen nicht „die Frauen in Schwarz“ an, die jeden Freitag gegen die Besatzung demonstrieren oder die Frauen von Machsom Watch, die an den Checkpoints ein aufmerksames Auge auf das, was dort durch das Militär geschieht, werfen. Sie griffen eine Person an, deren ganze Aktivität auf akademischem Feld liegt.

Die Kämpfe der Aktivisten vor Ort sind wichtig. Aber ihr Hauptzweck ist der Einfluss auf die öffentliche Meinung. Dies ist das Hauptschlachtfeld, und dort hat der Wissenschaftler eine wichtige Rolle zu spielen.

Auf diesem Schlachtfeld stehen sich zwei Visionen gegenüber, zwei Visionen, die so weit von einander entfernt liegen wie der Westen vom Osten. Auf der einen Seite das fortschrittliche Israel, modern, säkular, liberal und demokratisch, das in Frieden und in Partnerschaft mit Palästina lebt und ein integraler Teil der Region ist. Auf der andern Seite: ein fanatisches Israel, religiös, faschistisch, abgeschnitten von der Region und der zivilisierten Welt, ein Volk, das „abgesondert wohnt und sich nicht zu den Völkern rechnet“ (4. Mose 23,9) und „wo das Schwert ohne Ende fressen soll?“
(2. Samuel 2,26)

Ze’ev Sternhell ist einer der herausragenden Vertreter der fortschrittlichen Vision. Seine Positionen sind klar wie die Sterne, entschlossen und scharfsinnig. Kein überraschendes Ziel für die Neo-Nazi- Rohrbombenleger.


DAS FELD von Sternhells akademischer Forschung sind die Ursprünge des Faschismus, ein Thema, das auch mich mein ganzes Leben lang beschäftigt hat. Die Gründe unseres Interesses sind ähnlich: der Nazismus hat unserer Kindheit und unserm Schicksal einen unauslöschlichen Stempel aufgedrückt. Als Kind war ich Zeuge, wie der Aufstieg des Nazismus in Deutschland hoch kam. Als Kind erlebte Sternhell dies in Polen, als er – nach dem Tod seines Vaters – seine Mutter und die Schwester im Holocaust verlor.

„Derjenige, der von kochendem Wasser verbrüht worden ist, ist auch mit kaltem Wasser vorsichtig,“ sagt ein hebräisches Sprichwort. Diejenigen, die erlebten, wie der Faschismus in das Leben ihrer Kindheit einbrach, sind sensibel für die kleinsten Anzeichen des Ausbruches dieser Krankheit. 1961 schrieb ich ein Buch „ Das Hakenkreuz“ (das es nur auf Hebräisch gibt). In diesem Buch versuchte ich, den Code der Ursprünge des Nazismus zu knacken. Am Ende des Buches stellte ich die Frage: kann dies auch hier geschehen? Meine eindeutige Antwort war: Ja.

Genau deshalb bin ich sensibel gegenüber jedem warnenden Anzeichen in unserer Gesellschaft. Als Journalist und Magazinherausgeber drehte ich den Scheinwerfer auf alle derartigen Anzeichen. Als politischer Aktivist kämpfte ich gegen sie, in der Knesset und auf der Straße.

Sternhell seinerseits ist - nach einer militärischen Karriere - ein reiner Akademiker. Er gebraucht die Instrumente der Wissenschaft: forschen, lehren und veröffentlichen. Er sucht nach exakten Definitionen und schert sich nicht um Beliebtheit oder darum, Provokation zu vermeiden. Vor Jahren behauptete er in einem seiner Artikel, dass die gewalttätige Reaktion der Palästinenser auf die Siedlungen ganz normal sei. Dadurch zog er sich die anhaltende Wut der Siedler und der extremen Rechte zu, die sich darum bemühte, ihn daran zu hindern, den Israel-Preis, Israels höchste Auszeichnung, entgegen zu nehmen.

Jetzt sprechen die Rohrbomben.


WER LEGTE die Bombe? Ein einzelner Täter? Eine Gruppe? Ein neuer Untergrund? Die Terroristen aus den Siedlungen? Das ist Sache der Polizei und des Shin Bet.

Vom öffentlichen Gesichtspunkt aus ist die Sache viel einfacher: es ist ganz klar, in welchem Blumenbeet dieses giftige Unkraut wächst, welche Ideologie als Düngemittel dient, und wer sie verbreitet.

Israelischer Faschismus ist quicklebendig. Er wächst in einem Saatbeet, das schon in der Vergangenheit verschiedene national-religiöse Untergrundgruppen hervorbrachte: die Gruppe, die die Heiligen Stätten des Islam auf dem Tempelberg zu zerstören versuchte, der Untergrund, der die palästinensischen Bürgermeister umzubringen versuchte, die „Kach“-Bande, den Täter des Hebron-Massakers Baruch Goldstein, den Mörder des Friedensaktivisten Emil Gruenzweig, den Mörder von Yitzhak Rabin und all die Untergrundgruppen, die rechtzeitig entdeckt wurden und deshalb gar nicht in der Öffentlichkeit bekannt wurden.

All diese Akte können nicht einfach Einzeltätern oder „Außenseitergruppen“ zugeordnet werden. In der israelischen politischen Gesellschaft existiert eindeutig ein faschistischer Sektor. Seine Ideologie ist religiös-nationalistisch, und seine spirituellen Führer sind meistens „Rabbiner“ , die das entsprechende Weltbild und die praktische Anwendung formulieren. Diese jüdischen Götzendiener arbeiten nicht im Geheimen - im Gegenteil. Sie bieten ihre Waren offen auf dem Markt an.

Dieser Sektor ist in den ideologischen Siedlungen konzentriert. Das heißt nicht, dass alle Siedler Faschisten sind. Aber die meisten Faschisten sind Siedler. Sie sind konzentriert in bestimmten wohl bekannten Siedlungen. Zufällig - oder auch nicht zufällig - liegen alle diese Siedlungen mitten in der Westbank, jenseits der Trennungsmauer. Die ersten von diesen wurden mit Hilfe des „Linken“ Yigal Allon im Raum Hebron und im Raum Nablus mit Hilfe des „Linken“ Shimon Peres errichtet.


WÄHREND der letzten Monate haben sich die Vorfälle stark vermehrt, bei denen die Siedler Palästinenser, Soldaten, Polizisten und „Linke“ angreifen.

Diese Taten werden ganz offen begangen, um zu terrorisieren und abzuschrecken. Siedler randalieren in palästinensischen Dörfern, deren Land sie begehren, oder aus Rache. Es sind „Pogrome“ im klassischen Sinn des Wortes: Ausschreitungen durch einen bewaffneten Mob, der von Hass gegen hilflose Leute erfüllt ist, während die Polizei und die Armee zusieht. Die Aufrührer zerstören, verletzen und töten. In diesen Tagen geschieht dies immer häufiger.

In den wenigen Fällen, bei denen die Armee oder die Polizei einschreitet, wenden sie sich nicht gegen die Siedler, sondern gegen den belagerten palästinensischen Bauern und die israelischen Friedensaktivisten, die ihnen zu Hilfe kommen. Die Sprecher des Sicherheitsestablishments und die Kommentatoren versuchen, ausgewogen zu klingen und sprechen über „Aufrührer von Links und Rechts“. Das ist ein Beispiel für Pseudo-Objektivität, das selbst wiederum aus dem faschistischen Trickarsenal stammt.

Die Siedlerpogrome sind von Natur gewalttätig, und zwar in Gedanken und Taten, während die Friedensaktivisten im Prinzip gewaltlos sind. Wenn es Gewalt gibt, dann kommt sie von der Armee und der Grenzpolizei unter dem Vorwand, dass einheimische Jugendliche Steine geworfen hätten. Was nicht erwähnt wird, ist, dass die Soldaten und Grenzpolizisten in schwerer Schutzkleidung und in gepanzerten Jeeps die palästinensischen Demonstranten bis in die Gassen ihrer Dörfer verfolgen.

Die „Kühnheit“ der rechtsextremen Schlägertypen – oder „rechte Aktivisten“ wie die Medien sie höflicherweise nennen – nimmt täglich zu. Sie tun, was ihnen gefällt, da sie genau wissen, dass ihnen kein Leid angetan wird, die Polizei geht nicht weiter gegen sie vor, da sie weiß, dass die Gerichte sie nicht entsprechend bestrafen werden.


JEDER, DER die Geschichte des Nazismus kennt, kennt auch die schändliche Rolle, die die Gerichte und Polizeibehörden in der deutschen Republik gegenüber Gesetzesübertretern gespielt haben, deren erklärtes Ziel es war, dem demokratischen System ein Ende zu bereiten. Die Richter verhängten lächerlich leichte Strafen für Nazi-Aufrührer, die sie als „fehlgeleitete Patrioten“ betrachteten, während kommunistische Aufrührer als ausländische Agenten und Verräter bestraft wurden.

Nun erleben wir dieses Phänomen hier. Die das Gesetz-übertretenden Siedler erhalten symbolische Strafen, während die Palästinenser, die wegen viel geringerer Straftaten angeklagt werden, harte Strafen erhalten. Selbst ein Siedler, der seinen Hund auf einen Kompaniekommandeur ansetzt, oder ein Siedler, der einem Bataillonchef die Knochen bricht, geht heutzutage straffrei aus.

Das interne Armee-Justizsystem kann nur noch als monströs bezeichnet werden: Der Kommandeur, der eine blutende, in starken Wehen befindliche Frau am Kontrollpunkt aufhielt, was den Tod des Neugeborenen verursachte, wurde nur mit zwei Wochen Arrest bestraft. Der Kommandeur, der einem Soldaten befahl, einem gefesselten palästinensischen Gefangenen ins Bein zu schießen, wurde „versetzt“, was bedeutet, dass dieser Kriegsverbrecher in einer andern Einheit dienen kann.


WEIST DAS Anwachsen und die Schwere der Vorfälle auf ein Anwachsen des israelischen Faschismus hin? Auf den ersten Blick könnte man diesen Eindruck bekommen.

Doch nach längerem Nachdenken glaube ich, dass das Gegenteil der Fall ist

Die fanatischen Siedler wissen schon, dass sie die öffentliche Meinung in Israel nicht mehr hinter sich haben und dass die normalen Bürger sie als gefährliche Schlägertypen ansehen. Ihre Aktionen, die man im Fernsehen sieht, erzeugen Widerwillen, ja sogar Abscheu. Die Vision „ das ganze Land Erez Israel“ hat nicht nur an Höhe verloren – sie zerschmettert auf dem Boden der Realität. Die Zeloten handeln aus Schwäche und Frustration.

So wie die Nazis die deutsche Republik hassten, beginnen diese Fanatiker, den Staat Israel zu hassen. Und aus gutem Grund. Sie sehen, dass sie keinen Platz im nationalen Konsens haben, der sich um das Konzept „Zwei Staaten für zwei Völker“ festigt, ob dies nun aus negativen Gründen akzeptiert wird - aus demographischen Befürchtungen oder wegen der Last der Besatzung - oder aus positiven Gründen, wie der Hoffnung auf Frieden und Wohlstand nach dem Rückzug aus den besetzten Gebieten.

Die Diskussion über die Grenzen geht weiter, aber die Mehrheit sieht die Trennungsmauer als die zukünftige Grenze (wie wir das von Anfang an klar machten: die Mauer war nicht gebaut worden, um die palästinensischen Selbstmordattentäter fern zu halten – wie behauptet wurde - sondern als zukünftige Grenze zwischen den beiden Staaten).

Das israelische Establishment wünscht das Land zwischen der Mauer und der Grünen Linie zu annektieren und ist bereit, den Palästinensern israelische Gebiete dafür zu geben. Was bedeutet dies für die Siedler?

Die meisten Siedler leben in Siedlungen nahe der Grünen Linie, die nach diesem Konzept Israel angeschlossen werden sollen. Dies sind – nicht zufällig - die nicht ideologisierten Siedler. Ihnen ging es um billige Wohnungen und um „Lebensqualität“ - nicht weit von Tel Aviv oder Jerusalem entfernt. Diese Siedler werden wahrscheinlich einem Frieden zustimmen, der sie innerhalb Israels belässt.

Die große Mehrheit der extremen Siedler, die von einer religiös-faschistischen Ideologie motiviert sind, leben in kleinen Siedlungen östlich der Mauer, die aufgelöst werden müssen, wenn Frieden einkehrt. Dies ist sogar unter den Siedlern eine kleine Minderheit, die von einer radikalen Minderheit der extremen Rechten unterstützt wird. Es ist dort, wo der israelische Faschismus wächst.


ES GAB einmal eine Zeit, da schien es, als gäbe es eine rote Linie, die parallel zur Grünen Linie lief – der national-religiöse Terrorismus würde „nur“ Palästinenser treffen und keine Israelis. Sogar Rabbi Meir Kahane, ein geborener Faschist, sprach so.

Diese Illusion wurde mit dem Mord an Yitzhak Rabin zunichte gemacht. Israelischer Faschismus wurde wie jeder andere klassische Faschismus befunden, der gegen den „fremden Feind“ wettert, aber seinen Terrorismus gegen den „Feind von innen“ anwendet. Die Rohrbombe am Eingang von Sternhells Wohnung müsste alle roten Warnlampen aufleuchten lassen, da sie sich dem Mord an Emil Gruenzweig anschließt und das Leben anderer bekannter Friedensaktivisten gefährdet.

Die entscheidende Schlacht, die Schlacht für Israel, tritt in eine neue Phase – viel gewalttätiger und viel gefährlicher. Aber schlimmer als die Gefahr für einzelne ist die Gefahr für die israelische Gesellschaft als Ganze. Besonders, wenn sie jetzt nicht alle Ressourcen - Regierung, Polizei, Sicherheitsdienste, das Gesetz, die Gerichte, die Medien und das Bildungssystem – für den entscheidenden Einsatz gegen diese Gefahr mobilisiert.

Ich glaube nicht, dass Faschismus in unserer Gesellschaft die Oberhand bekommt. Ich bin von der Stärke unserer israelischen Demokratie überzeugt. Aber wenn ich in eine Ecke gestoßen und gefragt werden würde: „Kann dies auch uns passieren?“ Dann bin ich verpflichtet zu sagen: „Ja, es ist möglich.“

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)