Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

  • Bild Interview Sternenjaeger.ch Copyright 2012 - sternenjaeger.ch

Archiv

Oct 17, 2009

Der schlüpfrige Abhang


Und tatsächlich: für die augenblickliche israelische Politik ist Abbas gefährlich. Er genießt die Unterstützung von Präsident Obama, der Israel unter Druck setzt, mit den Verhandlungen um 'zwei Staaten für zwei Völker' zu beginnen, was mit dem Rückzug aus der Westbank und der Auflösung der meisten Siedlungen verbunden wäre. Das würde ein Ende von 120 Jahren zionistischer Ausdehnung und einen fundamentalen Wandel in der Essenz Israels selbst bedeuten.


Der schlüpfrige Abhang

Uri Avnery

NATÜRLICH ist es die Schuld des Richters Richard Goldstone. Ihm muss man die Schuld geben, er ist  an allen unangenehmen Problemen schuld, mit denen wir uns jetzt auseinander setzen müssen.

Er ist schuld an den Schwierigkeiten, die wir sowohl mit der UN in New York als auch in Genf haben. Schuld an der Verschwörung, die darauf abzielt, unsere politischen und militärischen Führer vor das Kriegsverbrechertribunal  in Den Haag  zu stellen; schuld  an der  Krise zwischen der Türkei und uns; schuld an den vielen Initiativen in aller Welt, die einen Boykott Israels organisieren.

Nun ist er auch schuld an der  existentiellen  Bedrohung, der sich Mahmoud Abbas (Abu Masen) gegenüber sieht.


ALS DER Goldstone-Bericht dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegt wurde, entschied unsere Regierung, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um  auch nur eine Debatte darüber zu verhindern.

Die Debatte wurde natürlich von den Palästinensern verlangt. Als der Bericht veröffentlicht wurde, tat der palästinensische Vertreter in Genf das Selbstverständliche: er verlangte, dass der Bericht mit der Aussicht debattiert würde, dass er dem Sicherheitsrat vorgelegt werde, der ihn dann dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag weiterreichen würde.

Was dann kam, konnte man voraussehen. Die israelische Regierung übte starken Druck auf die  USA aus. Die USA  tat dasselbe gegenüber Mahmoud Abbas. Abbas gab nach und instruierte seinen Vertreter in Genf dahingehend, seine Forderung  nach einer Debatte zurückzuziehen.

In jeder anderen Angelegenheit wäre dies stillschweigend geschehen. Aber da  es um den Gazakrieg ging, explodierte die palästinensische Öffentlichkeit. Während des Krieges sah jeder Palästinenser der Westbank im Aljazeera-Fernsehen und in anderen arabischen Kanälen jeden Tag und jede Stunde die Grausamkeiten des Krieges, die übel zugerichteten Leichen von Frauen und Kindern, die zerstörten Schulen und Moscheen, die Bomben mit weißem Phosphor....

Für die Hamasführer war Abbas’ Order, die Forderung zurückzuziehen, ein Geschenk Allahs.  Sie fielen wütend  über Abbas her. „Verräter“, „Kollaborateur“, „Subunternehmer der zionistischen Mörder“ waren die moderateren  Schimpfwörter. Sie fanden ein Echo unter vielen Palästinensern, die nicht unbedingt Hamasunterstützer sind.

Abbas’ legale Position ist unsicher. Nach der einen Version wäre seine Amtszeit längst zu Ende. Nach einer anderen wird sie in wenigen Monaten zu Ende gehen. Egal, wie es ist, er wird gezwungen sein, bald Wahlen abzuhalten. In dieser Situation kann er  gegenüber einem wütenden Ausbruch der Öffentlichkeit  gegen  ihn nicht gleichgültig sein. Also zog er die logische Konsequenz: er instruierte seinen Genfer Vertreter, er möge sein Ersuchen um eine Debatte des Goldstone-Berichtes erneuern. Diese Debatte endete mit einer Resolution, den Bericht vor die Vollversammlung zu bringen.

Unsere frustrierte Regierung reagierte wütend. Die orchestrierten Medien erklärten, Abbas sei eine „undankbare“ Person, ja, ein Heuchler. Schließlich, war er es nicht, der die Israelis während des Gazakrieges drängte, ihre Angriffe auf die Gazabevölkerung zu intensivieren, um die Hamas zu stürzen? Diese Anklage goss Öl ins Feuer. Für die Palästinenser bedeutete dies, dass Abbas die von den Israelis begangenen Gräueltaten nicht genügten und noch mehr verlangte. Man kann sich kaum eine schlimmere Behauptung vorstellen.

Als ob dies noch nicht genug wäre, berichteten die israelischen Medien, dass Jerusalem  der Palästinenserbehörde ein  Ultimatum  gestellt habe: wenn das Ersuchen nach einer Debatte nicht zurückgezogen würde, dann würde Israel keine Zuteilung von Frequenzen für das zweite palästinensische Mobiltelefonnetz „al-Wataniya“ genehmigen, deren Partner – so wurde hämisch berichtet – Abbas’ Söhne einschließen. Solch eine Zuteilung von Frequenzen ist Hunderte Millionen  von Dollar wert. Selbst in solch einer Sache sind die Palästinenser total von den israelischen Besatzungsbehörden abhängig.


DIE GANZE Affäre wirft ein schonungsloses Licht auf die unmögliche Situation, in der sich die Palästinensische Behörde  selbst befindet. Zwischen Hammer und Ambos – tatsächlich sogar zwischen mehreren Hämmern und einem Ambos.

Der eine Hammer ist Israel. Die Palästinensische Behörde ist völlig abhängig von den Besatzungsherren. Wie die Telefonaffäre illustriert, kann in der Westbank nichts ohne israelische Zustimmung  geschehen.

Binyamin Netanyahu spricht über „wirtschaftlichen Frieden“ als Ersatz für politischen Frieden, also wirtschaftliche Vergünstigungen anstelle von nationaler Unabhängigkeit. Dies zeigt übrigens, wie weit er sich von den Lehren seines Idols Se’ev (Vladimir) Jabotinsky entfernt hat, der  sich schon vor 85 Jahren über die zionistischen Führer lustig machte, die sich der Illusion hingaben, dass das palästinensische Volk gekauft werden könne. Kein Volk verkauft sich für wirtschaftliche Vorteile, sagte er.

Der Ministerpräsident der Palästinensischen Behörde, Salam Fayad, ist in die Falle gegangen. Er weist auf den wirtschaftlichen Fortschritt hin, der – seiner Ansicht nach – in der Westbank statt gefunden hat. Mehrere Straßensperren wurden beseitigt, ein imponierendes Einkaufszentrum wurde in Nablus eröffnet. Innerhalb von zwei Jahren, so sagte er, könnten die Palästinenser so weit sein, einen palästinensischen Staat zu errichten. Er ignoriert die Tatsache, dass die israelische Armee der de facto Souverän in den besetzten Gebieten ist und all diese Bemühungen vom einen  zum anderen Augenblick beenden kann. Die Straßenblöcke können wieder zurückversetzt  und gar verdoppelt, die Städte unter Ausgangssperre gesetzt, das Einkaufszentrum zerstört werden. In der Tat vergrößert jedes neue Einkaufszentrum in der Westbank die Abhängigkeit vom  Wohlwollen der Besatzungsbehörden.

Ein anderer Hammer sind die Amerikaner. Die Palästinensische Behörde lebt vom Geld aus den USA und dem ihrer europäischen Handlanger. Die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Behörde werden vom amerikanischen General Keith Dayton trainiert. Washington behandelt Abbas, wie es den afghanischen Präsidenten Hamid Karzei und den irakischen Ministerpräsidenten  Nuri Kamal Maliki behandelt. Er ist „unser Hurensohn“. Er existiert so lange, wie wir wollen - er verschwindet, wenn wir ihn nicht mehr brauchen.

Bei einem Zusammenstoß zwischen Washington und Jerusalem würde Ramallah profitieren. Aber, wie die Goldstone-Epis
ode zeigt, arbeiten die USA und Israel  vorläufig  noch völlig zusammen. Abbas hat keine andere Wahl, als nach der israelischen Flöte zu tanzen.

Der Ambos sind die Palästinenser. Im Augenblick ist die palästinensische Öffentlichkeit passiv. Sie ist müde,  völlig fertig, frustriert, verzweifelt. Doch die Goldstone-Affäre zeigt, dass es unter der Oberfläche brodelt.

Die Hamassprecher vergleichen Abbas mit Marschall Petain, dem französischen Helden des 1. Weltkrieges, dem Idol des Volkes und der Armee. Im zweiten Weltkrieg, als die deutsche Armee das französische Militär in einem Blitzkrieg vernichtete, was die Welt fassungslos machte, löste  sich das politische Establishment in Paris auf. In dieser Stunde des Elends rief das Volk nach dem greisen Marschall, der vor den Deutschen kapitulierte, um noch zu retten, was zu retten war. Er war zweifellos ein französischer Patriot.

Hitler respektierte den Marschall und behandelte ihn anfangs gut. Etwa ein Jahr überlegte er,  ob er ihn anstelle von Mussolini als Verbündeten akzeptieren solle. Ein großer Teil Frankreichs blieb „unbesetzt“ als eine Art deutsches Protektorat – und ebenda wurde das Vichy-Regime errichtet (nach seiner Hauptstadt benannt). Aber bald verschlechterte sich die Lage, und Petain wurde ein richtiggehender Kollaborateur der Nazis, der  sich sogar an der Vernichtung der Juden beteiligte. „Vichy“ wurde ein Synonym für Verrat, und nach dem Krieg wurde Petain zum Tode verurteilt. Mit Rücksicht auf seine ruhmreiche Vergangenheit wurde sein Urteil in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt.

Ich denke, dass dies kein fairer Vergleich ist, Ramallah ist nicht Vichy. Khaled Mashal in Damaskus ist nicht De Gaulle in London. Aber „Vichy“ dient als Warnung, und die palästinensische Behörde befindet sich auf einem schlüpfrigen Abhang. Ein Regime unter Besatzung ist immer in der Gefahr, ein Kollaborateur zu werden. Die verbalen Attacken der Hamas vermehren nur das Elend von Abbas und seinen Verbündeten.

Abbas’ ursprüngliche Order,  das Ersuchen für eine Debatte über den Goldstone-Bericht  zurückzuziehen, war auch ein Hindernis für die Bemühungen, die Spaltung zwischen den palästinensischen Fraktionen zu überwinden.

Die Ägypter verbreiten Nachrichten über einen Fortschritt eines internen palästinensischen Abkommens und  lassen seinen Inhalt durchsickern. Man kann kaum glauben, dass etwas dabei herauskommt. Hamas wird aufgefordert, die Alleinherrschaft über den Gazastreifen aufzugeben; doch kann man sich kaum vorstellen, dass sie dies tun werden. Von Abbas wird erwartet, dass er in freien Wahlen Hamas gegenübertritt – und auch dies kann man  sich kaum vorstellen. Noch weniger kann man glauben, dass die Amerikaner solche Wahlen riskieren. Sie haben schon angekündigt, dass sie  alles gegen eine Versöhnung tun werden.

Die israelischen Medien berichten mit Häme, der Hass zwischen Fatah und Hamas sei nun stärker als der Hass gegenüber den Israelis. Das ist kein einzigartiges Phänomen. Als wir gegen das britische Besatzungsregime in Palästina kämpften, gab David Ben Gurion,  seinen Leuten den Befehl, die Irgunkämpfer  der  britischen Polizei anzuschließen, und nur dank der fast unmenschlichen  Zurückhaltung von Menachem Begin wurde ein Bruderkrieg verhindert. Die irischen Freiheitskämpfer töteten einander mit Leib und Seele, als die Briten einen Kompromiss anboten. So etwas ist an vielen Orten geschehen.

Falls die Palästinenser werden wählen müssen, sind sie nicht zu beneiden. Auf der einen Seite wird die Hamas als nicht korrupte Bewegung angesehen,  die dem Kampf gegen Israel  weiterhin treu bleibt. Aber die fundamentalistischen religiösen Einschränkungen, die sie jetzt den Bewohnern des Gazastreifens, besonders den Frauen, auferlegen, sind für viele Palästinenser abschreckend. Auf der andern Seite wird die palästinensische Behörde von vielen als korrupt und als Kollaborateur angesehen,  aber auch als die einzige Körperschaft, die amerikanische Unterstützung für die palästinensische Sache bekommt.

Hamas bietet heute keine wirkliche Alternative an , da auch sie eine Feuerpause mit Israel einhält. Doch die Hoffnung, dass Abbas den Frieden bringen könnte, schwindet.


WAS MACHT unsere Regierung aus dieser Situation?

Naivlinge könnten sagen: Israel ist an der Eliminierung der extremen Hamas und der Stärkung des moderaten Abbas interessiert, der für den Frieden mit Israel arbeitet. Das ist doch selbstverständlich.

Wenn es so wäre, warum hindert die israelische Regierung Abbas daran, politisch etwas zu gewinnen, und wenn es nur symbolisch wäre? Warum hat ihn Ariel Sharon ein „gerupftes Huhn“ genannt?  Warum wiederholen die israelischen Medien jeden Tag,  „Abbas sei  fürs Frieden-machen zu schwach“?

Warum lässt Netanyahu nicht ein tausend palästinensische Gefangene frei – als eine Geste des guten Willens, während er  mit der Hamas über die Entlassung von tausend Gefangenen für die Rückgabe des gefangenen Soldaten Gilad Shalit verhandelt? Warum unterbreitet er Abbas Bedingungen, deren Akzeptanz für ihn  politischer Selbstmord bedeuten würde? ( z.B. die Anerkennung „Israels als der Staat der jüdischen Nation“) Warum geht die Erweiterung der Siedlungen in Ostjerusalem und auf der Westbank mit erhöhter Geschwindigkeit weiter – unter Abbas’ Augen?

Die politische und militärische Führung Israels besteht nicht aus dummen Leuten. Weit davon entfernt. Wenn sie etwas tut, dessen Konsequenzen  klar vorausgesehen werden können, muss man vermuten, dass es genau das ist, was sie will, selbst wenn sie das Gegenteil behauptet. Wenn alle Regierungsaktionen Hamas stärken und Abbas schwächen, liegt  nicht genau das hinter ihrer Absicht?

Und tatsächlich: für die augenblickliche israelische Politik ist Abbas gefährlich. Er genießt die Unterstützung von Präsident Obama, der Israel unter Druck setzt, mit den Verhandlungen um „zwei Staaten für zwei Völker“ zu beginnen, was mit dem Rückzug aus der Westbank und der Auflösung der meisten Siedlungen verbunden wäre. Das würde  ein Ende von 120 Jahren zionistischer Ausdehnung   und einen fundamentalen Wandel in der Essenz Israels  selbst bedeuten.

Eine Machtübernahme der  Westbank würde  von diesen „Gefahren“ ablenken. Kein amerikanischer Druck für einen Kompromiss. Keine Notwendigkeit für Verhandlungen. Keine „Beschränkung“ der Siedlungstätigkeit wäre nötig oder ein Kompromiss über Jerusalem. Die Besatzung könnte ungestört weitergehen.

Dies kann in der Zukunft zu einer Katastrophe führen. Aber wer denkt schon an die Zukunft?

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz vom Verfasser  autorisiert)





Inserat von Gush Shalom vom 16.10.09 in Haaretz


Wir müssen
Die mutmaßlichen
Kriegsverbrechen in Gaza
Untersuchen

Nicht wegen der UN
Und nicht aus Angst
Vor Goldstone
Sondern wegen
Unserer Selbstachtung
Und wegen der Zukunft
Israels.


Helfen Sie uns bitte unsere Aktivitäten
Und Inserate mit zu finanzieren
Durch einen Scheck an Gush Shalom
POB 3322 Tel Aviv 61033, Israel