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Eine Konföderation? Warum nicht?
Eine Konföderation? Warum nicht?
Uri Avnery
IN DIESEN Tagen jährt sich zum 5. Mal der Mord an Yasser Arafat. Ich erinnere mich deshalb wieder besonders an unser letztes Gespräch im Ramallah-Compound ein paar Wochen vor seinem Tod. Er war es, der den Gedanken einer dreifachen Föderation – Israel, Palästina und Jordanien vorbrachte. „Und vielleicht sollte sie auch den Libanon mit einschließen, warum nicht?“ Es war derselbe Gedanke, den er bei unserem ersten Treffen in Beirut im Juli 1982 geäußert hatte - mitten in der Schlacht. Er erwähnte den Terminus Benelux, das Bündnis zwischen Belgien, den Niederlanden und Luxemburg, das der europäischen Union vorausging.
In letzter Zeit ist der Begriff „Föderation“ wieder in Mode. Einige Leute glauben, dass er als eine Art Kompromiss zwischen der „Zwei-Staaten-Lösung“ - mittlerweile weltweiter Konsens - und der „Ein-Staatenlösung“, die sich in einigen radikalen Kreisen des linken Spektrums großer Beliebtheit erfreut, dienen könnte. „Föderation" klingt wie eine Wunderlösung; denn er vereinigt beides: die Zweistaaten-Lösung, wie auch die einer Einheit. Zwei in einem, einer in zwei.
DAS WORT "Föderation“ ängstigt mich nicht. Im Gegenteil. Ich benützte es in diesem Zusammenhang schon vor 52 Jahren.
Am 2. Juni 1957 veröffentlichte ich in meinem Magazin Haolam Hazeh den ersten detaillierten Plan für einen unabhängigen palästinensischen Staat, der neben Israel entstehen würde. Die Westbank war damals unter jordanischer, und der Gazastreifen unter ägyptischer Besatzung. Ich schlug vor, den Palästinensern zu helfen, die Besatzer loszuwerden. Nach meinem Plan würden die beiden Staaten, der israelische und der palästinensische, eine Föderation bilden. Ich dachte, sie könnte den Namen "Jordanische Union“ tragen.
Ein Jahr später, am 1.September 1958 erschien ein Dokument mit dem Namen „Das Hebräische Manifest“. Ich bin stolz auf meinen Anteil an seiner Entstehung. Es war ein umfassender Plan für eine grundsätzliche Veränderung des Staates Israel in all seinen Aspekten - eine Art Generalüberholung. In seiner Bereitschaft, die Grundlagen des Staates und das damit verbundene Denken neu zu überprüfen, gibt es seit der Gründung Israels bis heute keine Parallele zu diesem Dokument. Unter seinen Autoren waren Nathan Yellin-Mor, der Ex-Chef der Stern-Gruppe, Boaz Evron, Amos Kenan und mehrere andere.
Für das Kapitel über den israelisch-arabischen Frieden war ich verantwortlich. Es besagt, dass ein souveräner palästinensischer Staat neben Israel entstehen, und die beiden Staaten eine Föderation bilden sollten, die schrittweise mehr und mehr der staatlichen Kompetenzbereiche übernehmen würde. Ich erfand sogar ein neues hebräisches Wort, um den fremdsprachigen Begriff „Föderation“ zu ersetzen: „Ugda“ (Gruppierung) und schlug vor, das Gebilde solle „Jordan Föderation“ heißen – Ugdat ha-Yarden“ auf hebräisch und „Ittihad al-Urdun“ auf arabisch. (Leider hat der Terminus „Ugda“ keine Wurzeln geschlagen. Stattdessen adoptierte die Armee das Wort für eine Division, die eine Gruppierung von Regimentern oder Brigaden ist.)
Am Morgen nach dem Sechs-Tage-Krieg, in dem das ganze Land zwischen Mittelmeer und dem Jordan unter die Kontrolle der israelischen Armee gekommen war, rief eine neue politische Bewegung - die „Israelisch-Palästinensische Föderation" - zur sofortigen Schaffung eines palästinensischen Staates neben Israel auf. Die Gründer waren mehr oder weniger dieselben Leute, die „das Hebräische Manifest“ verfasst hatten.
Nachdem diese historische Gelegenheit versäumt worden war und die Besatzung immer rigoroser wurde, benützte ich den Terminus Föderation nicht mehr. Ich hatte das Gefühl, dass es beiden Parteien Angst einjagte. Die Israelis fürchteten, dass hinter dem Wort ein Komplott stecke, das auf die Errichtung eines bi-nationalen Staates abziele – eine Idee, die vom überwiegenden Teil der jüdischen Israelis zurückgewiesen wird. Die Palästinenser fürchteten, dass man damit eine ständige israelische Besatzung vertuschen wolle.
Es sollte daran erinnert werden, dass der ursprüngliche Teilungsplan durch die UN-Vollversammlung am 29. November 1947 ebenfalls als eine Art Föderation gedacht war - freilich ohne sie so zu benennen. Sie sah die Errichtung eines jüdischen und eines arabischen Staates vor und einen Sonderstatus für Jerusalem, das von der UN verwaltet werden sollte. All diese Entitäten sollten Teile einer wirtschaftlichen Union werden, die Zölle, Währung, Bahnverbindungen, Post, Häfen, Lufthäfen u.a. abdecken sollte. Dabei hätte es sich praktisch um eine Föderation gehandelt.
DAS HAUPTPROBLEM mit dem Wort „Föderation“ ist, dass es keine allgemein gültige Definition besitzt. In verschiedenen Ländern versteht man darunter völlig verschiedene Herrschaftssysteme. Dasselbe trifft für „Konföderation“ zu.
Keine zwei Länder in der Welt gleichen einander und keine zwei Konföderationen sind dieselben. Jeder Staat und jede Föderation hat sich auf Grund ihrer besonderen historischen Entwicklung und spezifischen Umstände gebildet und spiegelt das Volk wider, das ihn bzw. sie geschaffen hat.
Das Wort „ Föderation“ kommt vom Lateinischen „foedus“, Vertrag. Im Wesentlichen ist eine Föderation ein Pakt zwischen verschiedenen Staaten, die sich entschlossen haben, in bestimmten Dingen gemeinsam zu handeln. Die USA sind eine Föderation, auch Russland ist eine Föderation. Was haben die beiden gemeinsam?
Die Vereinigten Staaten sind theoretisch eine freiwillige Vereinigung von Staaten. Die Staaten haben viele Rechte, aber der Konföderation steht ein einziger Präsident mit einer immensen Macht vor. Tatsächlich ist es ein Staat. Als die Südstaaten 1860 versuchten, sich von den Nordstaaten zu trennen und eine eigene Konföderation zu bilden, schlug der Norden die "Rebellion" in einem brutalen Krieg nieder. Heute schwören jeden Morgen Millionen von Schülern in den Vereinigten Staaten den Treueid auf die Flagge der „einen Nation unter Gott“.
Russland ist offiziell eine Föderation, aber der Terminus wird ganz anders verwendet. Moskau ernennt die Gouverneure der Provinzregierungen, und Vladimir Putin beherrscht das Land wie ein traditioneller Gutsherr. Als Tschetschenien versuchte, sich von der „Russischen Föderation“ abzutrennen, wurde es sogar noch brutaler vernichtet als der Süden im amerikanischen Bürgerkrieg. (Dies hinderte Putin nicht, zwei Provinzen des benachbarten Georgien, die sich abgetrennt hatten, zu unterstützen).
Deutschland definiert sich als „Bundesrepublik“. Es besteht aus Ländern, die ein großes Maß an Autonomie haben. Die Schweiz nennt sich selbst „Eidgenossenschaft“ (Confédération auf Französisch), seine Kantone haben auch viel Autonomie. Aber es ist auch ein sehr vereinigtes Land.
Allgemein wird angenommen, dass eine Föderation eine engere Verbindung ist, während eine „Konföderation“ eine lockerere Verbindung ist. In Wirklichkeit sind diese Unterschiede sehr verschwommen. Es scheint, dass die Amerikaner und Russen, die Deutschen und die Schweizer sich vor allem über ihren vereinigten Staat und nicht über ihre jeweilige Provinz, den Kanton oder das Bundesland identifizieren. Mit Ausnahme der Bayern, natürlich.
Das neue Europa ist in allen praktischen Zwecken eine Konföderation, aber seine Gründer nannten es nicht so. Sie wählten den weniger eindeutigen Namen „Europäische Union“. Warum? Vielleicht weil sie dachten, die Begriffe „Föderation" und „Konföderation“ seien überholt. Vielleicht sahen sie diesen Begriff auch als zu verpflichtend an. Der Begriff „Union“ verpflichtet seine Mitglieder zu nichts Besonderem, und sie können ihn dann einstimmig mit Inhalt füllen und von Zeit zu Zeit verändern. Wenn das Lissabon-Abkommen schließlich ratifiziert wird, wird sich die Union wieder ändern.
ES MACHT deshalb keinen Sinn, allgemein über eine israelisch-palästinensische „Föderation“ zu diskutieren, ohne von Anfang an genau zu definieren, was damit gemeint ist. Dasselbe Wort kann - von verschiedenen Leuten benutzt - Verschiedenes, ja sogar Gegensätzliches bedeuten.
Zum Beispiel: Vor kurzem sah ich hier bei uns einen Plan für eine Konföderation, in der jede Person das Recht haben würde, in beiden Staaten zu siedeln, während er die Staatsbürgerschaft von einem der beiden Länder besitzt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass viele Israelis oder Palästinenser damit einverstanden wären. Die Israelis würden Angst bekommen, dass die Araber bald die Mehrheit innerhalb Israels stellen, und die Palästinenser wären beunruhigt, dass israelische Siedler dann jeden Hügel zwischen Meer und Jordan in Besitz nehmen könnten.
Bei jeder Diskussion über Konföderation wird hier die Angelegenheit der Einwanderung zu einem bedrohlichen Zankapfel. Würde es dann Millionen von palästinensischen Flüchtlingen erlaubt werden, auf israelisches Gebiet zurückzukehren? Würden dann Millionen jüdischer Einwanderer den Staat Palästina überschwemmen?
Dasselbe gilt auch für den Wohnort. Könnte ein Bürger Palästinas in Haifa wohnen und ein israelischer Siedler in Nablus, wie ein Pole jetzt in Frankreich, ein New Yorker in Miami, ein Bewohner aus dem Kanton Zürich im Kanton Uri frei leben kann?
JEDER VON uns, der die Idee der Konföderation näher betrachtet, muss genau wissen, was er wünscht. Möchte er einen wunderschönen Plan auf Papier zeichnen, der überhaupt keine Chance hat, realisiert zu werden, weil er die Aspirationen beider „Partner“ ignoriert, oder sollte er besser über realistische Optionen nachdenken?
Tatsächlich kann eine Föderation nur auf der Grundlage eines freien Abkommens zwischen den beiden Parteien zustande kommen. Dies bedeutet, dass sie nur dann realisiert werden kann, wenn jede der beiden Parteien – Israelis und Palästinenser - sie für sich als vorteilhaft ansieht und sie mit ihren nationalen Zielen vereinbar ist.
Meiner Meinung nach könnte ein praktischer Weg zur Verwirklichung dieser Idee folgendermaßen aussehen:
1. Stadium: ein souveräner palästinensischer Staat muss entstehen. Dies muss allem anderen vorausgehen. Die Besatzung muss enden, und Israel muss sich zur Grünen Linie zurückziehen (wobei dies kleineren, gemeinsam vereinbarten Gebietstausch umfassen könnte). Das gilt auch für Jerusalem.
2. Stadium: die beiden Staaten müssen eine gewisse Routine in fairen Beziehungen zueinander aufbauen und sich daran gewöhnen, Seite an Seite zu leben. Dringend erforderlich sind wirkliche Schritte der Versöhnung und der Heilung der Wunden der Vergangenheit (z.B. die Schaffung einer „Wahrheit und Versöhnungs-Kommission“ nach dem südafrikanischen Modell).
3. Stadium : die beiden Staaten beginnen mit Verhandlungen zur Errichtung von gemeinsamen Institutionen, z.B. der Öffnung der Grenzen für freie Bewegung von Mensch und Waren, eine wirtschaftliche Union, eine gemeinsame Währung, eine Zollunion, die gemeinsame Benutzung der Häfen und Flughäfen, die Koordinierung der ausländischen Beziehungen und so weiter. Es wird kein automatisches Recht für Bürger des einen Staates geben, im anderen zu siedeln. Jeder Staat wird über seine eigene Einwanderungspolitik entscheiden.
Die beiden Parteien müssen gemeinsam entscheiden, ob sie als dritten Partner Jordanien zum vorgeschlagenen Vertrag einladen wollen.
Solch eine Verhandlung kann nur gelingen, wenn die Öffentlichkeit von beiden Partnerstaaten überzeugt ist, dass die Partnerschaft Gewinn mit sich bringen wird. Da Israel der wirtschaftlich und technisch stärkere Teil ist, muss es bereit sein, großzügige Vorschläge zu machen.
4. Stadium: je mehr Vertrauen sich zwischen Parteien entwickelt, um so leichter wird es sein, die Partnerschaft zu vertiefen und die Macht der gemeinsamen Institutionen auszuweiten.
Vielleicht könnten in diesem Stadium die Bedingungen reif sein, eine weitere Verbindung in der ganzen Region zu gründen, in ähnlicher Weise wie die europäische Union. Solch eine Vereinigung könnte die arabischen Staaten, Israel, die Türkei und den Iran einschließen. Den Namen, den ich in der Vergangenheit dafür vorschlug, war „Semitische Union“. Zwar sind Türken und Iraner streng genommen keine semitischen Völker, aber das Buch des Islam, der Koran, ist auf arabisch, einer semitischen Sprache, geschrieben und spielt eine große Rolle in ihrer Kultur.
Dies ist eine Vision für die Zukunft - sie kann realisiert werden. Um Barack Obamas Parole zu benützen (obwohl sie etwas an Glanz verloren hat): Yes, we can!
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz; vom Verfasser autorisiert)