Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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Archiv

Aug 15, 2009

Wessen Akko ?


Vor vielen Jahren las ich ein Buch des amerikanisch-arabischen Gelehrten Philip Hitti, einem maronitischen Christen aus dem Libanon, mit dem Titel: „Die Geschichte Syriens“. Entsprechend der arabisch historischen Ansicht gehören zu Syrien (A-Sham im klassischen Arabisch) auch die heutigen Länder Libanon, Jordanien, Israel, die Westbank und der Gazastreifen.

Das Buch machte einen nachhaltigen Eindruck auf mich. Es beschreibt die Geschichte dieses Landes von den prähistorischen Zeiten bis zur Gegenwart mit all seinen Stadien wie eine fortlaufende Geschichte, die die Kanaaniter und Israeliten, die Phönizier und Philister, die Aramäer und Araber, die Kreuzfahrer und die Mameluken, Türken und Briten, Muslime, Christen und Juden einschließt. Sie gehören alle zur Geschichte des Landes, alle hatten zu seiner Kultur, der Sprache und Architektur, den Palästen und Festungen, Synagogen und Kirchen, Moscheen und Friedhöfen beigetragen.

Jeder, der über Frieden und Versöhnung nachdenkt, sollte dieses Bild aufnehmen.


Wessen Akko ?

Uri Avnery

DER ALTE Hafen von Akko ist zur Zeit das Objekt einer wilden Schlacht. Die arabischen Bewohner der Stadt wollen, dass der Hafen den Namen eines arabischen Helden trägt, den von Issa Al-Awam, einem General von Saladin, dem muslimischen Führer, der die Kreuzfahrer besiegte. Der Gemeinderat von Akko, der natürlich von den jüdischen Bewohnern dominiert wird, hat entschieden, dem Hafen den Namen eines israelischen Funktionärs zu geben.

Die arabischen Bürger errichteten für ihren Helden ein Denkmal. Der Gemeinderat erklärte dieses für eine „illegale Struktur“ und entschied, es zu zerstören.

Dies könnte ein kleiner lokaler Konflikt gewesen sein, wenn er nicht solch tiefe ideologische und politische Auswirkungen hätte.


ICH LIEBE das alte Akko. Für mich ist es - abgesehen von Ost-Jerusalem - die schönste und interessanteste Stadt im Land.

Sie ist eine der ältesten Städte des Landes. Sie wird in der Bibel im 1. Kapitel der Richter erwähnt (das übrigens dem mörderischen Buch Josua völlig widerspricht) Das Kapitel zählt die kanaanitischen Städte auf, die nicht von den Kindern Israels erobert worden waren. Es blieb eine phönizische Stadt, eine der Hafenstädte, von der unerschrockene Matrosen abfuhren und die Küsten des Mittelmeeres kolonisierten, von Tyros bis Kartago. (Es waren vor allem die Phönizier, die im ganzen Mittelmeerraum kolonisierten und das phönizische Alphabet bis zu den Etruskern in Italien verbreiteten)

Akko erreichte während der Kreuzzüge seinen Höhepunkt. Es war damals der einzige Hafen des Landes, der während aller Jahreszeiten des Jahres benutzt werden konnte. Den Kreuzfahrern gelang es, sie nach einer hartnäckigen Verteidigung zu erobern. Hundert Jahre später als der große Salah-ad-Din (Saladin) der Herrschaft der Kreuzfahrer in Jerusalem ein Ende setzte, trieb er diese auch aus Akko heraus. Die Kreuzritter eroberten sie zurück, und Akko diente ihnen noch einmal hundert Jahre als Hauptstadt des reduzierten Kreuzfahrerstaates. Als 1291 der Rest des Kreuzfahrerreichs ausgelöscht wurde, war Akko die letzte Kreuzfahrerstadt, die in die Hände der Muslime fiel. Das Bild der letzten Kreuzfahrer und ihrer Frauen, die von den Quais von Akko ins Meer sprangen, hat sich ins Gedächtnis eingegraben und den Ausdruck „ins Meer werfen“ entstehen lassen.

Auch später hatte die Stadt eine bewegte Geschichte. Dhaher al-Omer, ein Beduinenhäuptling, übernahm die Stadt und schuf eine Art unabhängigen Beinahe-Staat Galiläa. Sogar Napoleon, einer der großen Feldherren der Geschichte, kam 1799 von Ägypten her, belagerte die Stadt, wurde aber von den Arabern und mit Hilfe britischer Matrosen klar besiegt.

Als die Briten 1917 die Herren des Landes wurden, verwandelten sie die imponierende Kreuzfahrerfestung in Akko in ein Gefängnis, in dem unter anderem auch die Führer der hebräischen Untergrundorganisationen eingekerkert waren. In einer ihrer gewagtesten Heldentaten brach die Irgun in die Festung ein und befreite ihre Gefangenen. 1948 eroberten die Israelis die Stadt, die bis dahin völlig arabisch war.

Der alte Teil der Stadt mit seinen wunderschönen Minaretts, der Moschee und den Kreuzfahrerfestungen blieb weiter arabisch. Auch der Hafen, der nun Fischern diente. Aber rund um diesen alten Stadtteil entstanden jüdische Stadtteile, anonym wie viele hundert solcher Stadtteile in ganz Israel, und ihre Bewohner stellen nun die Mehrheit dar. Sie lieben ihre arabischen Nachbarn nicht besonders.

Von Zeit zu Zeit gibt es Auseinandersetzungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen. Die arabischen Bewohner glauben, Akko sei seit alters her ihre Stadt und betrachten die Juden als Eindringlinge. Die Juden sind davon überzeugt, die Stadt gehöre ihnen und die Araber seien bestenfalls eine tolerierte Minderheit und sollten ihren Mund halten.

Der augenblickliche Streit kann leicht zu Gewaltausbrüchen werden.


BEI JEDEM Konflikt zwischen Juden und Arabern in diesem Land taucht die kindische Frage auf: wer war zuerst da?

Die Araber eroberten 635 n. Chr. das Land, das sie Jund Filistin (militärischer Distrikt Palästina) nannten, und seit damals ist es (abgesehen von der Kreuzfahrerperiode) unter muslimischer Herrschaft gewesen, bis zur Ankunft der Briten. Sie, die Araber, behaupten: „Wir waren zuerst hier“.

Die zionistische Version ist anders. In biblischen Zeiten gehörte der größte Teil des Landes dem Königreich Judäa und Israel, obwohl die Küste im Norden den Phöniziern und im Süden den Philistern gehörte. Trotz verzweifelter Anstrengungen in Hunderten von Jahren konnte kein archäologischer Beweis gefunden werden, dass es jemals einen Exodus aus Ägypten, eine Eroberung Kanaans durch die Kinder Israels oder ein Königreich Davids oder Salomos gegeben hat. Aber seit dem Königreich Ahabs um 870 v. Chr. ist Israel auf der wohl bewiesenen historischen Karte. Nach dem babylonischen Exil, herrschten die Juden im Lande mit ständig wechselnden Grenzen bis in die Zeit der Römer. Also: „Wir waren die ersten.“

Wenn die Israeliten vor den Muslimen da waren, wer war dann vor den Israeliten hier? Die Kanaaniter natürlich. „Sie waren die ersten“. Aber wer repräsentiert sie?

Ich schrieb einmal eine Satire über den „ersten kanaanitischen Kongress“, der irgendwo auf der Welt stattfindet. Die Teilnehmer erklären, sie seien die Nachkommen der Ureinwohner des Landes und beanspruchten dieses für sich.

Das ist nicht ganz ein Scherz. In den ersten Jahren des letzten Jahrhunderts versuchte Yitzhak Ben-Zwi, der der 2. Präsident Israels wurde, die Kanaaniter für den Zionismus zu beanspruchen. Er forschte und fand, dass die Bevölkerung dieses Landes sich seit den frühesten Zeiten nicht wirklich verändert hat. Die Kanaaniter vermischten sich mit den Israeliten, wurden Juden und Hellenen, und als das byzantinische Imperium kam, das damals das Land beherrschte und die christliche Religion annahm, wurden sie Christen. Nach der arabischen Eroberung wurden sie nach und nach Muslime und übernahmen die arabische Sprache.

Mit andern Worten: dasselbe Dorf war kanaanitisch, wurde israelitisch, machte alle Stadien durch und wurde schließlich arabisch. Heute ist es palästinensisch, wenn es nicht 1948 dem Erdboden gleich gemacht wurde und durch eine jüdische Siedlung ersetzt wurde. Während all der Jahrhunderte hat sich die Bevölkerung nicht verändert. Und viele der Ortsnamen haben sich auch nicht geändert. Jeder neue Eroberer brachte einen neuen Glauben und eine neue Elite mit sich, aber die Bevölkerung hat sich kaum verändert. Kein Eroberer war daran interessiert, die Bevölkerung zu vertreiben, die ihn mit Nahrung und mit Einkünften versorgte. Nach Meinung von Ben-Zwi waren die palästinensischen Araber die wirklichen Nachkommen der alten Israeliten. Aber als der israelisch-palästinensische Konflikt in Gang kam, wurde diese Theorie vergessen.

Vor kurzem nahmen einige Palästinenser eine ziemlich ähnliche Theorie an. Mit derselben historischen Logik behaupteten sie, die palästinensischen Araber seien die Nachkommen der alten Kanaaniter und deshalb „seien sie die Ersten“, noch vor den Kindern Israels aus biblischen Zeiten. Es war die zionistische Eroberung, die zum ersten Mal die Zusammensetzung der Bevölkerung radikal veränderte.

Die Kanaaniter und die alten Israeliten sprachen verschiedene Dialekte derselben semitischen Sprache, die heute Hebräisch genannt wird. Dann wurde aramäisch die Sprache des Landes und später arabisch. In der letzten Woche wurden neue Forschungsergebnisse veröffentlicht, die aufzeigen, dass der volkstümlich syrisch-palästinensisch-arabische Dialekt viele Wörter einschließt, die ihren Ursprung im alten Hebräisch und Aramäischen hat und die nicht im volkstümlichen Dialekt anderer arabischer Länder vorkommen. Eindeutig wurden sie vor vielen Jahrhunderten vom einheimischen arabischen Dialekt absorbiert. Es sind hauptsächlich landwirtschaftliche Wörter des Alltags. Und es ist logisch, zu vermuten, dass sie von der arabischen Sprache aus dem Aramäischen übernommen wurde, die sie ja ersetzte.


WARUM IST das so wichtig? Wie wirkt sich dies auf den Akko-Streit aus?

Vor vielen Jahren las ich ein Buch des amerikanisch-arabischen Gelehrten Philip Hitti, einem maronitischen Christen aus dem Libanon, mit dem Titel: „Die Geschichte Syriens“. Entsprechend der arabisch historischen Ansicht gehören zu Syrien (A-Sham im klassischen Arabisch) auch die heutigen Länder Libanon, Jordanien, Israel, die Westbank und der Gazastreifen.

Das Buch machte einen nachhaltigen Eindruck auf mich. Es beschreibt die Geschichte dieses Landes von den prähistorischen Zeiten bis zur Gegenwart mit all seinen Stadien wie eine fortlaufende Geschichte, die die Kanaaniter und Israeliten, die Phönizier und Philister, die Aramäer und Araber, die Kreuzfahrer und die Mameluken, Türken und Briten, Muslime, Christen und Juden einschließt. Sie gehören alle zur Geschichte des Landes, alle hatten zu seiner Kultur, der Sprache und Architektur, den Palästen und Festungen, Synagogen und Kirchen, Moscheen und Friedhöfen beigetragen.

Jeder, der über Frieden und Versöhnung nachdenkt, sollte dieses Bild aufnehmen.


WELCHE ART von Geschichte wird heutzutage in den Schulen beider Völker gelehrt? Beide haben eine mobile Geschichte, die durch die Landschaft wandert.

Die jüdische Geschichte beginnt mit „Abraham, unserm Vater“ im heutigen Irak und dem Exodus aus Ägypten, der Übergabe der Zehn Gebote auf dem Berg Sinai im heutigen Ägypten, der Eroberung Kanaans, König David und den andern Legenden in der Bibel, die als authentische Geschichte gelehrt wird. Es geht weiter im Land mit der Zerstörung des Tempels durch Titus und mit dem Bar-Kochba-Aufstand gegen die Römer, dann geht es ins „Exil“ und konzentriert sich dabei immer auf die Reihe von Vertreibungen und Verfolgungen. Schließlich die Rückkehr in das Land mit den frühen zionistischen Siedlern.

Die Geschichte ignoriert nicht nur alles, was sich vor der israelitischen Ära im Land abspielte, sondern auch was während der 1747 Jahre zwischen dem Bar-Kochba-Aufstand im Jahr 135 n.Chr. und dem Beginn der vor-zionistischen Besiedlung um 1882 geschehen ist. Ein Schüler aus dem israelischen Bildungssystem weiß nahezu nichts über das Land während dieses Zeitraumes.

Auf der arabischen Seite ist es kaum besser. Das palästinensisch-arabische Geschichtsbild beginnt auf der arabischen Halbinsel mit der Ankunft des Propheten Mohammed und erwähnt noch die Ära der Jahilija (Ignoranz) davor und die Ankunft der muslimischen Eroberer in Palästina. Was sich vor 635 n. Chr. hier ereignet hat, ist von keinem Interesse.

Die Schüler beider Bildungssysteme - des jüdisch-israelischen und des palästinensisch-arabischen – wachsen mit völlig verschiedenen historischen Narrativen auf.


ICH TRÄUME von dem Tag, an dem in allen Schulen dieses Landes in Israel und Palästina Juden und Araber nicht nur beide Narrative lernen, sondern die komplette Geschichte des Landes, die alle Perioden und Kulturen einschließt.

Sie werden z.B. lernen, dass als die Kreuzfahrer das Land eroberten, Muslime und Juden zusammen gegen die grausamen Eroberer standen und gemeinsam massakriert wurden. Sie werden lernen, dass in Haifa die einheimischen Juden die Verteidigung anführten und für ihren Heldenmut bewundert wurden, bis sie Seite an Seite mit den Muslimen ermordet wurden. Solch eine Identifizierung mit der Geschichte des Landes kann als solide Basis für eine Versöhnung zwischen den Völkern dienen.

1995 schrieb ich – vom unvergesslichen Feisal al-Husseini inspiriert – im Auftrag von Gush Shalom ein Manifest für Jerusalem. In einem seiner Absätze heißt es: „Unser Jerusalem ist ein Mosaik aller Kulturen, aller Religionen und aller Perioden, die die Stadt bereichert haben, von der ältesten Antike bis zum heutigen Tag – Kanaaniter und Jebusiter und Israeliten, Juden und Griechen, Römer und Byzantiner, Christen und Muslime, Araber und Mameluken, Ottomanen und Briten, Palästinenser und Israelis. Sie und alle anderen, die der Stadt ihren Beitrag geleistet haben, haben einen Platz in der geistigen und physischen Landschaft der Stadt.“

In dieser Liste fehlen die Kreuzfahrer – und keinesfalls durch einen Irrtum. Sie waren in unserm ursprünglichen Text. Aber als ich den bekannten arabisch-israelischen Schriftsteller Emil Habibi fragte, ob er beim Unterschreiben der erste sein möge, rief er aus: „Ich werde kein Dokument unterschreiben, das diese abscheulichen Mörder erwähnt!“

Fast alles, was über Jerusalem gesagt wird, gilt auch für Akko. Seine Geschichte beginnt in prähistorischen Zeiten und setzt sich bis in die Gegenwart fort. Und der arabische General Issa Al-Awan gehört dazu wie der englische Kreuzfahrer Richard Löwenherz und die Irgunkämpfer, die die Gefängnismauern durchbrachen.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)