Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

  • Bild Interview Sternenjaeger.ch Copyright 2012 - sternenjaeger.ch

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May 15, 2010

Ein schwarzes Loch


Viele glauben, dass die Regierung viel früher fallen wird, vielleicht in ein paar Monaten. Dann ist die zugewiesene Frist für das Einfrieren des Siedlungsbaus in der Westbank vorbei. Benyamin Netanyahu wird dann entscheiden müssen, ob er dem amerikanischen Druck nachgibt und sie verlängert oder ob er mit dem Vergrößern der Siedlungen weitermacht und eine Konfrontation mit Barack riskiert. Im ersten Fall werden die Siedler und ihre Verbündeten in der Regierung rebellieren. Im zweiten Fall werden die von der Laborpartei übrig gebliebenen die Koalition verlassen.

 

Ich zweifle, dass dies geschehen wird. Alle Mitglieder der Regierung haben ein wesentliches Interesse, dabei zu bleiben.



Ein schwarzes Loch

 

Uri Avnery

 

MAN MÖCHTE vor Neid platzen, wenn man sieht, wie die Briten dies gemanagt haben. Was für eine Demokratie! Mit welcher Würde!

 

Wahlen innerhalb eines Monats. Eine neue Koalition innerhalb von fünf Tagen. Ein Wechsel der Regierungen innerhalb von 70 Minuten. Ein Besuch bei der Königin. Der scheidende Ministerpräsident nimmt seine Frau und seine zwei kleinen Kinder, verlässt die Residenz des Ministerpräsidenten und geht. Der neue Ministerpräsident betritt die Residenz.

 

Elegant, ruhig, kurz und anstandslos. Das Volk hat gesprochen. Das ist es.

 

Und bei uns?

 

Unsere Wahlkampagne läuft monatelang. Der Tumult füllt die Luft, eine Kakophonie von Flüchen und allgemeinen Geschmacklosigkeiten. Danach vergehen Monate, bevor eine neue Koalition gebildet wird. In der Zwischenzeit tauschen die Sieger und Besiegten Beleidigungen mit einander aus: Linke, Faschisten, Verräter, Zerstörer Israels, Plünderer Jerusalems, Lakaien der Besatzung, Diebe – alles geht.

 

Das Chaos hat seinen großen Tag. Neue Parteien wachsen wie Pilze nach dem Regen.

Bis zum letzten Augenblick weiß keiner, wer mit wem konkurriert.

 

 

UNSERE NÄCHSTE Wahl ist noch weit weg. Wenn nicht eine plötzliche Krise auftaucht, wird sie 2014 stattfinden. In Israel sind drei Jahre eine politische Ewigkeit.

 

Viele glauben, dass die Regierung viel früher fallen wird, vielleicht in ein paar Monaten. Dann ist die zugewiesene Frist für das Einfrieren des Siedlungsbaus in der Westbank vorbei. Benyamin Netanyahu wird dann entscheiden müssen, ob er dem amerikanischen Druck nachgibt und sie verlängert oder ob er mit dem Vergrößern der Siedlungen weitermacht und eine Konfrontation mit Barack riskiert. Im ersten Fall werden die Siedler und ihre Verbündeten in der Regierung rebellieren. Im zweiten Fall werden die von der Laborpartei übrig gebliebenen die Koalition verlassen.

 

Ich zweifle, dass dies geschehen wird. Alle Mitglieder der Regierung haben ein wesentliches Interesse, dabei zu bleiben. Keiner ihrer Komponenten ist bereit, draußen zu bleiben. Ehud Barak, ein General ohne Soldaten, klebt an seinem Sitz. Avigdor Lieberman, ein Außenminister, den fast kein Ausländer treffen will, hat kein einziges Wahlversprechen gehalten. Warum sollte man seine Macht vergrößern? Eli Yishai, ein Lieberman mit Kipa, fühlt, dass ihm sein früherer Rivale Aryeh Der’i die Hölle wieder heiß machen und seines Gottes kleines Stück Land festhalten will. Sie alle fühlen, dass sie alle entweder zusammen hängen oder sie getrennt aufgehängt werden.

 

Das ist politische Logik. Doch Logik ist ein seltener Gast in der Politik. Wenn das Einfrieren – oder das sogenannte Einfrieren – nicht beendet wird, gibt es einen Aufstand der Siedler. Die Aller-Extremsten werden die Nur-Extremen hinter sich sammeln. Gegen den Wunsch aller ihrer Mitglieder wird die Regierung trotzdem fallen.

 

Was wird dann geschehen?

 

 

DAS IST die Frage, die jetzt viele Gemüter beschäftigt – Entertainer, TV- Leute, Kommentatoren, Generäle, berühmte Persönlichkeiten aller Arten und Geschlechts, Pensionäre, Studenten, Professoren und was sonst noch alles – die von einer neuen Partei träumen.

 

Dies Phänomen hat einen spezifisch israelischen Hintergrund.

 

In England ist das Wahlkreissystem vollkommen diskreditiert. Viele Millionen gehen verloren. Dort träumen alle von einem neuen System, das wenigstens zum Teil proportional sein wird. In Israel ist es gerade umgekehrt: das proportionale System hat das politische Leben korrumpiert, und viele Leute träumen von einem neuen System, das wenigstens zum Teil auf Wahlkreisen besteht. Anscheinend ist die beste Lösung mit einem System, das zum Teil proportional und zum Teil auf Wahlkreisen beruht, wie das deutsche. Aber hier in Israel sind alle Politiker gegen eine Veränderung.

 

Innerhalb großer Teile der Wählerschaft hat unser System weitverbreitete Ekel für alle Politiker hervorgerufen. Die Leute verabscheuen das ganze politische System und alle bestehenden Parteien.

 

Deshalb entstehen bei jeder Wahlkampagne neue Parteien und versuchen, Hunderttausende von Wählern anzuziehen, die sagen, sie hätten niemanden, den sie wählen könnten. Diese Bürger könnten natürlich nicht an der Wahl teilnehmen und an den Strand gehen, aber sie wollen ihre Wahlstimme nicht verschwenden. Deshalb entscheiden sie sich im letzten Augenblick für eine der neuen Parteien, die den Zorn gegen alles, was gerade die Öffentlichkeit wütend macht, zum Ausdruck bringt. Die Partei, die diese Stimmung auffängt, gewinnt diese Stimmen, um bald wieder zu verschwinden.

 

Das geschah der Dash-Partei von General Yigael Yadin, die bei den 1977er-Wahlen entstand. Sie hatte ein Patentmedikament gegen alle Übel, wie Kriege. Korruption, Armut und religiösen Zwang: Wahlreform. Sie gewann einen fantastischen Sieg (15 Sitze in der Knesset) und verschwand, ohne eine Spur bei den nächsten Wahlen zu hinterlassen. Dann erschienen alle Arten von „Zentrum-“ und „Dritter Weg“-Parteien und verschwanden. Die Wahlen von 2005 sahen Shinui (Wandel), die Partei von Tommy Lapid, einem TV-Talkshowmaster, der sich mit seiner Aggressivität und seiner ungezügelten Geschmacklosigkeit einen Namen machte. Er hisste die Flagge des Hasses für die Orthodoxen und gewann 15 Knessetsitze - nur um in der nächsten Wahlrunde wieder zu verschwinden. Nach ihm kam Rafi Eitan, der Mann, der Adolf Eichmann gekidnappt hatte und der für die Jonathan Pollard-Affäre verantwortlich war, der eine Partei der Pensionäre gründete. Er gewann stattliche sieben Sitze – nicht dank der Pensionäre, die nichts für ihn übrig hatten, sondern dank der jungen Leute, die sie für einen großen Scherz hielten. Bei den nächsten Wahlen war diese Partei natürlich auch verschwunden.

 

( Übrigens: gründeten meine Freunde und ich 1965 die „Haolam Hazeh – Neue-Kraft-Partei“, die zwei Knessetperioden arbeitete und dann Teil der „Sheli“-Partei wurde und später die „Progressive Liste für Frieden“. Diese hatten alle ein unpopuläres Programm).

 

Nun träumen viele Leute wieder – jeder/jede für sich – über einen neuen Versuch. Sie scheinen sich nicht darum zu kümmern, dass es immer nur für eine Knessetperiode ist – Hauptsache sie kommen wenigstens einmal in die Knesset. Unter den Kandidaten ist Yair Lapid, der Sohn des oben erwähnten Tommy, ein hübscher, ruhiger und liebenswürdiger TV-Moderator, der täglich auf dem Bildschirm erscheint und fast nie eine Meinung äußert, die nicht für jeden angenehm ist. Er nimmt auch keinen eigenen Standpunkt ein, noch äußert er eine originelle Idee. Der ideale Kandidat.

 

Er ist nicht allein. Es gibt noch viel andere: Hochzeitssänger, die beim Publikum beliebt sind, populäre Fußballspieler, Berühmtheiten, die ihren Ruhm einem PR-Agenten verdanken. Sogar Rafi Eitan ist wieder aus dem Nirgendwo aufgetaucht. Wenn Hunderttausende von Stimmen auf den Straßen liegen, ist die Versuchung groß.

 

Parteien kommen und gehen, wie die Staude in der Bibel, „die in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb“. Der Prophet Jona, der sich über ihren Schatten freute, war so ärgerlich , „dass er matt wurde, als sie verschwand. Da wünschte er sich den Tod und sprach: ich möchte lieber tot sein als leben“ (Jona 4). Aber das ist nicht wichtig.

 

 

WAS ABER wichtig ist, ist, das klaffende Loch im israelisch-politischen System zu schließen, das schwarze Loch der Linken.

 

Die Rechte blüht. Offene Faschisten, die einmal marginal waren, werden jetzt von der Mitte akzeptiert. Ein Schüler des ultra-Rassisten Meir Kahane spielt eine Hauptrolle in der Knesset, und es scheint niemanden zu stören. Die Siedler planen eine „feindliche Übernahme“ des Likud.

 

Außer dem Likud gibt es nur noch eine große Partei, die so weit von der Linken ist wie die Erde vom Alpha Centauri. Jüngst legten zwei Kadima-Knessetmitglieder – Ronit Tirosh und Othniel Schneller – einen haarsträubenden rassistischen Gesetzentwurf vor , der bestimmte, dass Friedensorganisationen, die Brutalitäten aufdecken, die Israel „besudeln“ und zur Verhaftung israelischer Armeeoffiziere im Ausland führen könnten, für ungesetzlich erklärt werden können. Zipi Livni rührte keinen Finger, um dies zu verhindern.

 

Man stimmt allgemein darin überein, dass bei den nächsten Wahlen die Laborpartei, die nichts anderes als eine Verteidigungsministeriumspartei ist, erledigt wird, so auch Meretz. Beide sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie werden eine politische Wüste hinter sich lassen.

 

Die Situation schreit zum Himmel. Hunderttausende von Israels Wählern tragen in ihrem Herzen die Grundwerte der Linken: Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit, Demokratie, Menschenrechte für alle, Feminismus, Umweltschutz, Trennung zwischen Staat und Religion. Wo sind sie? Wer vertritt sie?

 

Ein großer Teil der Öffentlichkeit stellt nun diese Frage. Viele sind sich darin einig, dass „etwas getan werden muss“. Aber anscheinend weiß keiner genau wie.

 

 

EINIGE SCHAUEN nach einem Kochbuchrezept, wo es klipp und klar heißt: „Man nehme 2 Eier, 4 Löffel Mehl, eine Prise Salz …“

 

Also: Man nehme 12 Promis, 7 respektierte Professoren, 3 Menschenrechtsanwälte, 2 Friedensaktivisten (nicht zu radikal), einen Popstar, eine berühmte TV-Person, bestreue sie vorsichtig mit Slogans (nicht zu extrem), rühr tüchtig um und dann serviere lauwarm…“

 

Oder alternativ: man nehme 4 Mitglieder der restlichen Labor, 2 Flüchtlinge von Merez, 3 enttäuschte Kadima-Mitglieder, einen Grünen, einen Aktivisten aus den armen Stadtteilen…“

 

Nein, so wird es nicht gehen.

 

Die Schaffung einer neuen Partei – einer Partei, die die politische Szene verändern kann, die ernsthaft um die Macht kämpft und eine lange Zeit funktioniert – ist keine Kochübung.

 

Es ist ein Schöpfungsakt nötig, nicht weniger als ein Bild von Leonardo da Vinci, als das Taj Mahal oder der Dom von Florenz.

 

Solch eine Partei muss all diese Werte verkörpern – nicht als eine Kollektion von Slogans, sondern als ein integrales Ganzes. Eine Partei, die nicht die Fortsetzung eines politischen Wracks ist noch an überholten Gedankenmustern und Slogans der PR- Genies klebt. Eine Partei, die einen vollkommen neuen Plan umreißt. Eine Partei, die nicht einen Flicken auf den andern setzt und keinen Reparaturjob hier und dort vorschlägt, sondern ein neues Modell eines Staates Israel vorschlägt, einen kompletten Plan für eine zweite israelische Republik.

 

Der Führer für solch eine Partei wird nicht auf dem politischen Schrottplatz gefunden. Ein wirklicher Führer kommt mit eigener Macht hoch wie Barack Obama, eine junge Person mit einer neuen Botschaft.

 

So lange wie kein solcher Führer erscheint, muss die Initiative von unten kommen. Bei allen Demonstrationen sehe ich junge Leute, Idealisten, die mich mit ihrer Ernsthaftigkeit und ihrem Mut beeindrucken, Friedensaktivisten, Menschenrechtsaktivisten, Umweltaktivisten.

Aus ihren Reihen müsste die neue Initiative kommen, die uns alle um sich sammelt.

 

Natur verabscheut ein Vakuum. Früher oder später wird das schwarze Loch gefüllt. Wenn wir es nicht selbst tun, wird es von einem vielfüßigen Monster gefüllt werden.

 

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)