Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

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May 29, 2010

Ein Tag im November


Trotz der Kritik, die rund um die Welt widerhallt, ist Israels politische Stellung robust. Erst letzte Woche ist Israel als Mitglied der OECD aufgenommen worden, des angesehensten wirtschaftlichen Clubs der Welt. Obama hat kapituliert. Als das Heimatkommando der Armee diese Woche umfangreiche Übungen hielt, zwinkerten die Leute mit den Augen und machten sich nicht die Mühe, in Luftschutzkeller zu gehen.

 

Die Versuchung, den Siedlungsbau wieder aufzunehmen, ist groß. Aber Netanyahu wird über den Tag danach nachdenken. Und Obama auch.

 

 

UND IN der Tat, was wird am Tag nach den Wahlen sein?

 

Optimisten glauben, dass an diesem Morgen eine neue Ära beginnen wird. Bis zum November 2012 sind keine weiteren Wahlen geplant, wenn Obamas erste Amtszeit vorbei ist. Ein ganzes Jahr lang wird er frei sein, um zu handeln.



Ein Tag im November

 

Uri Avnery

 

RAHM EMANUEL ist anscheinend der von israelischen Führern am meisten gehasste Amerikaner. Er wird als der gefährlichste Gegner der Netanyahu-Regierung im Weißen Haus angesehen. Hinter geschlossenen Türen überschütten sie ihn – wenn man den Medien glauben soll – mit antisemitischen Schimpfwörtern. „Judenjunge“ ist eines davon. Nach zionistischem Jargon ist er ein „selbsthassender Jude“.

 

Und siehe da, hier bummelt er in kurzen Hosen in Galiläa herum. Er besucht die besetzten Golanhöhen, die ausländische Diplomaten sonst zu vermeiden suchen. Die IDF fliegt ihn zu ihren Einrichtungen. Er betet an der Klagemauer. Ein guter jüdischer Tourist aus Amerika.

 

Emanuels Sohn hat das Alter für die Bar-Mitzva erreicht. Und gibt es einen besseren Platz, als diese in Israel zu feiern, wo sein Großvater ein Mitglied des Irgun war – einer Gruppe, die die US-Regierung danach als Terrorgruppe bezeichnet haben würde – wie die Hamas heute.

 

Kurz gesagt, der selbsthassende Judenjunge hat sich als Zionist mit einem warmfühlenden jüdischen Herzen entpuppt, ein Bewunderer der IDF und ein Unterstützer für die Annexion der Golanhöhen.

 

 

DER BESUCH war natürlich keine zufällige Laune. Er gehörte zu einer Reihe von Gesten Barack Obamas, um vor den nächsten Kongresswahlen die Herzen der Juden zu gewinnen.

 

Es scheint, dass Obama vor einigen Monaten zu der Schlussfolgerung kam, er habe seine erste Runde im Kampf mit Binyamin Netanyahu verloren und es werde besser sein, zu einem späteren Termin weiter zu kämpfen.

 

Er selbst sprach es in einem Gespräch mit jüdischen Führern aus: zu Beginn seines Weges in den Nahen Osten sei er auf eine Landmine getreten. Nun habe er seine Lektion gelernt.

 

Die Folge war eine Kampagne mit süßen Worten und Schmeicheleien:

 

Er lud Eli Wiesel, Herrn Holocaust in Person, zu einem privaten Essen ins Weiße Haus ein. Vielleicht tauschten sie dort Erinnerungen darüber aus, „wie man, ohne eine Miene zu verziehen, den Friedensnobelpreis akzeptiert“. Wiesels Beitrag zum Frieden ist eines der großen Rätsel des Universums. (Meine eigene Meinung über Wiesel fand seinen Ausdruck in einem hebräischen Wort, das ich speziell für ihn erfand: „Shoaner“ (etwa wie „Holocauster“).

 

Danach traf sich Obama mit verschiedenen Gruppen „jüdischer Führer“ und erzählte ihnen von seiner unerschütterlichen Unterstützung Israels in punkto Sicherheit, seiner Bewunderung für Netanyahu und seiner Liebe zu Israel im allgemeinen. Es macht nichts, dass vor kurzem erst eine größere Meinungsumfrage gezeigt hat, dass diese „Führer“ meistens nur sich selbst vertreten – die große Mehrheit der jüngeren jüdischen Generation in den USA ist gegen die Politik der israelischen Regierung und entfernt sich immer mehr von Israel.

 

Die Sendung seines Vertrauten Nummer Eins in Gestalt eines glühenden Zionisten nach Israel und eine Einladung an Netanyahu, ihn im Weißen Haus zu besuchen, sind weitere Stadien dieser Kampagne.

 

 

MIT WELCHEM Ziel wohl? Nun, das ist so klar wie die Mittagssonne.

 

Am 2. November, dem 93. Jahrestag der Balfour-Erklärung, werden in den USA Wahlen abgehalten.

Alle Sitze des Abgeordnetenhauses und die 34 im Senat sollen zu haben sein.

 

Für Obama sind diese Wahlen äußerst wichtig. Im schlimmsten Falle werden die Demokraten die Kontrolle über eines der Häuser des Kongresses verlieren und machen es so für Obama unmöglich, die meisten Gesetze, die er wünscht, bestätigt zu bekommen. Im besten Falle kann er realistisch hoffen, die Mehrheit der Demokraten beider Häuser wird reduziert, womit das Leben des Präsidenten viel schwieriger werden wird.

 

AIPAC (American Israel Public Affairs Committee) hat schon gezeigt, dass es einen großen Einfluss auf die Wahlergebnisse haben kann. Wenn diese Lobby entscheidet, ein Mitglied des Kongresses zu stürzen, so ist dies das Ende seines politischen Lebens. Wenn die Lobby ihre finanzielle und politische Macht auf einen gewissen Punkt konzentriert, ist sie fast unbesiegbar.

 

Obama benötigt jetzt jede Unterstützung, die er in beiden Häusern bekommen kann. Deshalb muss er die pro-Israel-Lobby neutralisieren. Die Kosten für die Bar-Mitzva-Partie von Emanuels Familie war im Vergleich dazu ein zu vernachlässigender Preis.

 

Wenn Obama sagt, dass er auf eine Landmine getreten sei, dann meint er die Mine namens AIPAC.

 

 

DAS PHÄNOMEN selbst ist nicht neu. Es wiederholt sich alle vier und manchmal alle zwei Jahre.

 

Seit dem ersten Tag des Staates Israel sind sich alle israelischen Regierungen bewusst gewesen, dass ein Wahljahr in den USA ihnen unvergleichliche politische Möglichkeiten liefert.

 

Israel wurde im Mai 1948 gegründet, ein halbes Jahr vor den US-Wahlen. Harry Truman befand sich in einer kritischen Situation. Viele glaubten, er werde glatt besiegt werden. Er brauchte dringend Geld. Einige reiche Juden griffen tief in ihre Taschen und retteten Truman, der mit knapper Not siegte.

 

Alle politischen und militärischen Mitarbeiter Trumans rieten ihm, Israels Unabhängigkeit nicht zu unterstützen. Aber Truman erkannte den neuen Staat - wenn auch nur de facto - sofort nach seiner Ausrufung an.

 

Seitdem wartet die israelische Regierung, wann immer sie die Unterstützung der US-Regierung für eine umstrittene Handlung benötigt, auf ein amerikanisches Wahljahr. Fast immer mit Erfolg.

Die Ausnahme: eine Woche vor den 1956er-Wahlen fiel die Ben-Gurion-Regierung (von Shimon Peres gedrängt) mit Frankreich und England unter einer Decke mit ihrer Armee in den Sinai ein. Die israelischen Führer glaubten, kein amerikanischer Politiker würde es wagen, sich am Vorabend der Wahlen Israel entgegen zu stellen.

Sie hatten unrecht. Präsident Dwight Eisenhower, der frühere Oberste Befehlshaben der Alliierten, war von seinem Wahlsieg zutiefst überzeugt. Deshalb ignorierte er die jüdische Lobby und zusammen mit seinem sowjetrussischen Kollegen setzte er Israel ein Ultimatum. Das brachte David Ben-Gurion dazu, die Truppen sofort aus dem Sinai und dem Gazastreifen abzuziehen.

 

Diejenigen, die hofften, dass Obama beweisen werde, er sei ein zweiter Eisenhower, hatten unrecht. Trotz einiger durchschlagender Erfolge ist seine politische Situation weit davon entfernt, beeindruckend zu sein. Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hat auch nicht zu seinem politischen Wohlbefinden beigetragen. Als realistischer Politiker hat er sich entschlossen, dies sei nicht die richtige Zeit, gegen das jüdische Establishment anzutreten.

 

Vielleicht erinnerte er sich an den nüchternen Rat von Niccolo Macchiavelli: „Wenn du den Löwen nicht töten kannst, provoziere ihn nicht.“

 

 

DOCH AUF dem Weg zum Wahltag liegt noch eine riesige Landmine begraben: das Einfrieren des Siedlungsbaus.

 

Als Obama Netanyahu zwang, den Siedlungsbau offiziell in der Westbank (und inoffiziell auch in Ost-Jerusalem) einzufrieren, hatte man sich auf eine zehnmonatige Periode verständigt. Die ist im September zu Ende.

 

Wenn die Zeit kommt, wird Netanyahu von Seiten der Siedler und ihrer Verbündeten einem immensen Druck ausgesetzt sein, um mit dem Bauen wieder zu beginnen. „Wovor fürchtest du dich?“ werden sie fragen, „zwei Monate vor den Wahlen wird Obama es nicht wagen, einen Finger zu rühren! Und wenn nicht jetzt, wann dann?“ – um einen jüdischen Weisen zu zitieren.

 

Die Situation in Israel wird die Versuchung noch größer werden lassen. Es scheint, dass „wir es noch nie so gut hatten“. Es gibt keine Angriffe. Die Wirtschaft blüht. Trotz der Kritik, die rund um die Welt widerhallt, ist Israels politische Stellung robust. Erst letzte Woche ist Israel als Mitglied der OECD aufgenommen worden, des angesehensten wirtschaftlichen Clubs der Welt. Obama hat kapituliert. Als das Heimatkommando der Armee diese Woche umfangreiche Übungen hielt, zwinkerten die Leute mit den Augen und machten sich nicht die Mühe, in Luftschutzkeller zu gehen.

 

Die Versuchung, den Siedlungsbau wieder aufzunehmen, ist groß. Aber Netanyahu wird über den Tag danach nachdenken. Und Obama auch.

 

 

UND IN der Tat, was wird am Tag nach den Wahlen sein?

 

Optimisten glauben, dass an diesem Morgen eine neue Ära beginnen wird. Bis zum November 2012 sind keine weiteren Wahlen geplant, wenn Obamas erste Amtszeit vorbei ist. Ein ganzes Jahr lang wird er frei sein, um zu handeln.

 

Das ist ein „Fenster für Möglichkeiten“. Ein weit geöffnetes Fenster. Während dieser Zeit kann Obama seine Hoffnung verwirklichen und Frieden bringen und die Position der USA im Nahen Osten wieder gewinnen. Als zusätzliche Prämie wird er auch in der Lage sein, seiner angesammelten Wut gegen Netanyahu freien Lauf zu lassen.

 

Nach dieser Prognose wird in diesem Jahr – von Ende 2010 bis Ende 2011 - der Schlussakt des Dramas aufgeführt werden. Obama wird einen amerikanischen Friedensplan präsentieren, der Druck auf die israelische Regierung wird verstärkt werden, Israel wird schließlich zwischen Frieden und den Gebieten wählen müssen, und letzten Endes wird sich Frieden einstellen.

 

Aber es gibt auch eine gegenteilige Voraussage: Obama wird weiter enttäuschen, wie er bis jetzt enttäuscht hat. Er wird schon an die nächsten Präsidentenwahlen denken und sich weiter vor der AIPAC fürchten.

 

Diese Voraussage hat viel für sich. Als ich jung war, hat mich mein Vater ermahnt, nie, wirklich nie einer Erpressung nachzugeben. Derjenige, der einen Erpresser bezahlt, wird bis an sein Lebensende zahlen. Ein Erpresser wird sein Opfer nie loslassen.

 

(Im Laufe meines Lebens habe ich versucht, auf seinen Rat zu hören; meine Methode ist folgende: wenn jemand versucht, mich zu erpressen und droht, mir etwas anzutun, stelle ich mir vor, er habe es bereits getan. Auf diese Weise verliert die Bedrohung ihren Stachel.)

 

AIPAC erpresst Obama, und bis jetzt war sie erfolgreich. Es wird auch nach dem November so weiter machen. Obama sollte sich mit dem Gedanken abfinden und entscheiden: nicht mehr.

 

Wird er den Mut haben, dies zu tun? Ich weiß es nicht. Ich hoffe.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)